Ausstellung

Politische Bildung hinter Gittern

Blick in die Ausstellung »Lasst mich ich selbst sein. Anne Franks Lebensgeschichte«

Adrian Hoffmann (Name geändert) ist Insasse der Justizvollzugsanstalt Geldern. »Wir haben 450 Gefangene. Jeder weiß: Ich bin hier der Jude. Ich gehe auch offen damit um, ich stehe dazu«, sagt Hoffmann, der eine Kippa trägt. »Manche machen Witze, sagen ›Ah, der Jude‹. Ich sage dann immer: ›Ah, der Moslem‹.« Manchmal allerdings wird aus Spaß auch Ernst: » ›2025 treiben wir die letzten Israelis ins Meer‹, hat mal einer zu mir gesagt«, erzählt der gebürtige Bayer.

Antisemitismus im Gefängnis – das gibt es. Um über den Holocaust aufzuklären, hat das Berliner Anne-Frank-Zentrum – die deutsche Partnerorganisation des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam – eine Schau konzipiert. Seit dem Start 2018 wurden bereits 40 Wanderausstellungen in Haftanstalten in der ganzen Bundesrepublik gezeigt.

zielgruppe Zurzeit wird die Schau Lasst mich ich selbst sein in Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt. Gefördert wird das Projekt vom Bundesjustizministerium. Es gehe darum, »Inhaftierte als Zielgruppe zu erkennen. Die politische Bildung fällt in den Gefängnissen oft hinten runter«, erklärt der Politikwissenschaftler Roman Guski, der das Projekt betreut.

Dabei bilden Mitarbeitende des Zentrums in einem zweitägigen Trainingsseminar Inhaftierte zu »Peer Guides« aus. Sie erläutern dann Mitgefangenen, JVA-Personal und Besuchern die Ausstellung über die junge Jüdin Anne Frank (1929–1945), die im nationalsozialistischen Konzentrationslager Bergen-Belsen starb und durch ihr Tagebuch weltbekannt ist.

Der Zugang zu den Gefangenen gelinge leichter, wenn Mithäftlinge die Geschichte erklären: »Sie nutzen dieselben Formulierungen wie etwa »Bruder, was sagst du dazu?«, so Guski. Viele Gefangene hätten noch nie von Anne Frank gehört. »Aber sie haben durch ihre Haft einen Bezugspunkt zu ihr, weil sie ja auch lange in ihrem Versteck in Isolation war – auch wenn die Situation grundsätzlich nicht vergleichbar ist.« Auch hätten manche ebenfalls Diskriminierungserfahrungen gemacht.

problembewusstsein In den Gesprächen gibt es diejenigen, die über sich nachdenken und ihr eigenes Verhalten hinterfragen, und jene, die kein großes Problembewusstsein haben. »Einer hat mal gesagt: ›Ja, es ist schlimm, was den Juden passiert ist. Aber dass Homosexuelle verfolgt wurden, war richtig‹ «, berichtet Guski. Die Grundhaltung habe man also nicht erschüttern können.

Die Forschung zu Antisemitismus in Gefängnissen steckt noch in den Anfängen. Die Hochschule Merseburg in Sachsen-Anhalt hat deshalb ein Pilotprojekt gestartet. Es soll das Thema bundesweit in Haftanstalten untersuchen. Befragt werden zunächst JVA-Mitarbeiter und auch etwa jüdische Seelsorger.

Der Kriminologe und Professor für Sozialarbeit an der Hochschule Merseburg, Jens Borchert, unterscheidet drei Gruppen von Häftlingen. Die einen haben durch ihre gescheiterte Schullaufbahn sehr wenig Wissen über den Holocaust, aber meist Interesse, mehr darüber zu erfahren. Dann gibt es die Migranten, die viel politisches Wissen über ihren Herkunftsort besitzen, aber fast keines über die Nazizeit.

hintergrund »Die kennen nicht mal Hitler«, habe ein Mitarbeiter ihm einmal erzählt, sagt Borchert. Die dritte Gruppe schließlich sei gut ausgebildet, habe aber einen rechtsextremen Hintergrund. »Die sind durchideologisiert. Meist war der Opa schon in der NSDAP.«

Typisch ist laut Borchert etwa »die Behauptung, dass Juden etwas ausnutzen, um bestimmte Dinge zu erreichen«, oder auch, den Holocaust zu leugnen. Offene antisemitische Äußerungen seien in der Gefängnisöffentlichkeit zwar eher selten – aber vielleicht auch, weil die Gefangenen wissen, dass sie unter Beobachtung stehen. Dabei nutzten die Häftlinge »gute Strategien, um es nicht zu offensichtlich zu äußern«, wie sprachliche Codes. Manche kleben ein tätowiertes Hakenkreuz auch einfach ab.

Der Halle-Attentäter Stephan B., das NSU-Mitglied Beate Zschäpe, der Holocaust-Leugner Horst Mahler: »Über rechte Vordenker wissen wir zu wenig. Das ist nicht die Forschung, die ich mir wünschen würde«, kritisiert Borchert. Dabei sei das Thema wichtig: »Wir wollen nicht, dass Gefängnisse Durchlauferhitzer für radikalisierte Menschen werden«, fordert er.

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