Wuligers Woche

Platonischer Zionismus

Wir sind mit dem Herzen bei den israelischen Soldaten. Mit dem Herzen. Mit dem Hintern sitzen wir auf unseren sicheren deutschen Sofas und stellen bestenfalls rasch einen Scheck für den KKL aus. Foto: Marco Limberg

Wuligers Woche

Platonischer Zionismus

Szenen einer Fernbeziehung: Wir Diasporajuden und unser Verhältnis zu Israel

von Michael Wuliger  24.04.2017 18:18 Uhr

Ob ich Zionist sei, wollte neulich jemand von mir wissen. Gute Frage. Das Ziel des Zionismus, ein jüdischer Staat, ist seit inzwischen 69 Jahren erreicht. Der logische Schluss daraus lautet: Wer Zionist ist, lebt in Israel.

Aber was sind dann wir Juden, die in der Diaspora leben, uns aber dennoch Israel zutiefst verbunden fühlen? Platonische Zionisten könnte man uns nennen. Wir unterhalten eine Fernbeziehung zum jüdischen Staat. Und wie bei Fernbeziehungen oft der Fall, wächst die Inbrunst proportional zur räumlichen Entfernung. Je seltener der reale Kontakt zum Objekt der Zuneigung, umso idealer wird das Bild von ihm in der Vorstellung.

Huren Deshalb lassen wir platonischen Idealisten auf Israel nichts kommen. Zwar hat Eliezer Ben-Yehuda, der Vater des modernen Iwrit, einmal gesagt, dass der jüdische Staat erst dann ein normales Gemeinwesen sein würde, wenn es dort auch jüdische Diebe und jüdische Huren gäbe. Auftrag ausgeführt! Aber wir blenden Korruption, extreme soziale Ungleichheit und politische Idiotien in Israel lieber aus. Um den Antizionisten kein Futter zu geben, behaupten wir. Aber das stimmt nur zum Teil. Hauptsächlich geht es darum, die eigene Bilderbuchvorstellung nicht durch unschöne Wirklichkeiten (zer-)stören zu lassen.

In Israel selbst werden solche Themen offen bis zur Schmerzgrenze diskutiert. In einer gelebten Beziehung kennt man eben die Unzulänglichkeiten seines Gegenübers. Man liebt es dennoch, oder hat sich zumindest mit dessen Fehlern abgefunden. Nur so kann das Miteinander funktionieren.

Doch ein Miteinander ist unsere Fernbeziehung zu Israel sowieso nicht. Ja, wir zittern mit, wenn Hamas-Raketen in Sderot und Aschkelon einschlagen. Aber wir zittern in Berlin, Frankfurt oder Düsseldorf. Da ist gut zittern. Und wir sind mit dem Herzen bei den israelischen Soldaten, die in Gaza ihr Leben einsetzen. Mit dem Herzen. Mit dem Hintern sitzen wir auf unseren sicheren deutschen Sofas. Bestenfalls stellen wir rasch einen Scheck für den Jüdischen Nationalfonds aus. Die Spende ist steuerlich abzugsfähig.

Lebensversicherung Da schlägt das schlechte Gewissen. Denn ganz uneigennützig ist unsere platonische Liebe nicht. Wir sprechen zwar gern vom selbstbewussten Diasporajudentum, das ein Partner Israels auf gleicher Augenhöhe sein will. Doch wir wissen, und geben es auch offen zu, dass Israel unsere Lebensversicherung für den Fall ist, dass der Judenhass hierzulande wieder lebensgefährlich werden könnte.

Das ist eine ziemlich instrumentelle Einstellung dem angeblichen Partner gegenüber. Es erinnert an Hipster, die von zu Hause ausziehen, um ihr eigenes Start-up-Unternehmen zu gründen, im sicheren Bewusstsein, dass, falls die Sache schiefgeht, sie wieder zurück ins sichere Hotel Mama kommen können.

Der Zionismus findet in der Zwischenzeit in Form von Urlaubsreisen statt. Wir fliegen regelmäßig nach Tel Aviv und posten bei Facebook Fotos mit herzlichen Grüßen aus »Erez schelanu« – unserem Land. Das Rückflugticket ist dabei schon gebucht. Kein Wunder, dass uns viele Israelis nicht wirklich ernst nehmen.

Und kommenden Dienstag werden wir wieder Jom Haazmaut begehen, den israelischen Unabhängigkeitstag. Wir werden die Nationalhymne anstimmen: »Lihjot am chofschi be-arzenu – Erez Zion« – »Ein freies Volk zu sein, in unserem Land, im Lande Zion«. Im Bewusstsein, dass wir dort, im Lande Zion, nicht leben. Aber dafür singen wir besonders inbrünstig.

Andrea Kiewel

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