Rezension

Plädoyer einer linken Zionistin

Foto: Flash 90

Es gibt nur wenige Länder, in denen intellektuelle Debatten so beherzt und leidenschaftlich geführt werden wie in Israel. Eine der prominentesten Stimmen in diesem Diskurs ist die Soziologin Eva Illouz, die sich seit vielen Jahren zu politischen und sozialen Fragen im jüdischen Staat äußert. 1964 im marokkanischen Fes geboren, wuchs sie zunächst in Frankreich auf und kam zum Studium nach Israel.

Mittlerweile ist Illouz Professorin an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Wissenschaftlich reüssierte sie vor allem mit Studien über die Veränderung emotionaler Muster im Kapitalismus. Mit ihrem Buch Warum Liebe weh tut, in dem sie romantische Gefühle als Tausch zwischen ungleichen Marktteilnehmern beschreibt, gelang ihr 2011 ein Weltbestseller.

Haaretz Der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit ist sie aber insbesondere für ihre Beiträge in der linken Tageszeitung Haaretz bekannt, wo sie seit vielen Jahren über tagespolitische Entscheidungen und persönliche Beobachtungen schreibt. Jetzt liegt daraus zum ersten Mal ein Band von ihr auf Deutsch vor. In der Essaysammlung, schlicht mit Israel betitelt, versucht Illouz eine kritische Analyse des jüdischen Staates und seiner Gesellschaft.

Sie beruft sich dabei auf den französischen Denker Michel Foucault, der die Aufgabe der Intellektuellen darin sah, der Macht die Wahrheit zu sagen. Die Macht wird bei Illouz mit Blick auf den Nahen Osten von Israel repräsentiert. Und wie manch andere linke Intellektuelle fühlt sich die Autorin in ihrer Heimat nicht mehr wohl. Sie sieht, so das Leitmotiv des Buches, die Gefahr, dass Israel ein ethno-theokratischer Militärstaat wird, der sich von dem universalistischen und säkularen Projekt des Zionismus immer weiter entfernt.

So weit, so bekannt. Was Illouz dabei jedoch wohltuend von anderen Kritikern wie Uri Avnery unterscheidet, ist, dass aus ihren Zeilen große Zuneigung für Israel und den Zionismus spricht. So plädiert sie nicht für einen Post- oder Antizionismus, sondern für Kritik, die in einen »Code der Liebe und Solidarität« eingebettet ist. Sie verzichtet auf Polemik und beschäftigt sich ernsthaft mit Fragen, die um die ethnische Verfasstheit Israels kreisen.

Gesellschaft Aufschlussreich ist das Kapitel über die veränderte Rolle der Misrachim. Illouz, die selbst aus einer sefardischen Familie stammt, reflektiert darin über ihre eigene Identität, arbeitet aber vor allem gekonnt die jahrzehntelange Ausgrenzung der misrachischen Israelis durch ihre aschkenasischen Mitbürger heraus. Gleichwohl kritisiert sie die Misrachim auch, weil sie es nach einer Öffnung der israelischen Gesellschaft Anfang der 80er-Jahre nicht geschafft hätten, eine Politik zu formulieren, die universalistischer angelegt ist.

Bei aller Verve, mit der Illouz gegen den wachsenden Einfluss von Ultraorthodoxen, Siedlern und Nationalisten wettert, gibt es zwei entscheidende Leerstellen in ihren Essays: Zum einen ist das eine Selbstkritik an der israelischen Linken, die über Jahrzehnte die Vormacht der Aschkenasim ausgebaut hat und viele arabische Israelis bis 1966 unter Kriegsrecht stellte. Zum anderen sind es bei Illouz’ Plädoyer für ein universalistisches Israel die arabischen Israelis selbst. Die Soziologin redet über sie, aber in keinem Aufsatz beschäftigt sie sich wirklich mit ihnen. Das wirkt bizarr und macht ihre Thesen angreifbar.

Am Ende fordert Illouz, Israel müsse sich wieder als eine Gemeinschaft der Hoffnung verstehen, die auf universalen Werten beruht. Nicht zuletzt deshalb ist das Buch eine gewinnbringende, anregende Lektüre – und vor allem ein starkes Plädoyer für einen linken Zionismus.

Eva Illouz: »Israel. Soziologische Essays«. Suhrkamp, Berlin 2015, 229 S., 18 €

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  11.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025