Urheberrecht

Piraterie als Normalfall

Doron Rabinovici Foto: dpa

Benjamin Stein meint, der Aufruf »Wir sind die Urheber« tue zu Unrecht so, als wolle irgendjemand das Urheberrecht abschaffen. Niemand strebe das ernsthaft an, lässt uns Stein wissen. (Jüdische Allgemeine vom 16. Mai.) Da habe ich Neuigkeiten für ihn. Die Forderung nach Streichung des Urheberrechts las ich durchaus im Feuilleton und in diversen Blogs. Nichts anderes wünschte etwa Joost Smiers in der Süddeutschen oder Michael Seemann auf Spiegel Online. Ich habe das Manifest der Autoren zwar nicht unterschrieben, aber hierin werden zunächst »die öffentlichen Angriffe auf das Urheberrecht« beklagt. Will Stein diese täglichen Attacken leugnen? Die Künstler reagieren auf das, was seit Jahren geschieht.

kommerz Der Bruch des Rechts wird zum Normalfall. Dabei geht es keineswegs bloß um das Kopieren von Dateien unter Freunden oder Gleichgesinnten. Mächtige Konzerne machen Geld mit Kunst, aber auf Kosten von Kunstschaffenden. Das Verbrechen hat nicht nur Name und Webadresse, sondern ist zum Markenzeichen geworden. Wenn dem »Aufruf der Urheber« irgendetwas vorgeworfen werden kann, dann das Faktum, der Entwicklung hinterherzuhinken.

Sogar das Parteiprogramm der Piraten, argumentiert Stein, spreche bloß von Anpassungen des Gesetzes an neue Bedingungen. Stimmt schon, aber glaubt Stein, der Name der Piraten verweise nur auf ihre Sehnsucht nach Seeluft? Nein, sie kämpfen für die Legalisierung von Praktiken, die das geistige Eigentum missachten. Sie wehren sich – aus guten Gründen – gegen die Kriminalisierung des einfachen Users und ge-
gen die Überwachung im Netz, aber ihre Reformpläne laufen dennoch auf die Schwächung und auf die Einschränkung der Interessen der Urheber hinaus. Da gibt es nichts zu beschönigen. Im Übrigen: Das Urheberrecht »den heutigen Bedingungen des schnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeit anzupassen«, ist eben das, was auch der Aufruf der Urheber fordert. Mit dieser Phrase operieren alle. Die Frage ist nur, was darunter zu verstehen ist.

zensur? Müsste er, so Stein, »zwischen Aufgabe des Gema-Cents und chinesischen Netzverhältnissen« wählen, sei seine Entscheidung klar. Diese vermeintliche Alternative tut so, als verhindere nur die Aushöhlung des Urheberrechts die zunehmende Einengung der freien Kommunikation. Just der Blick nach Peking legt eine andere Sichtweise nah: Was, wenn die Enteignung geistiger Werke und die totalitäre Kontrolle nur zwei Seiten ein und derselben Medaille sind? Wer die Zensur im Netz bekämpfen will, sollte die Menschenrechte nicht preisgeben, sondern stärken; eines der Menschenrechte ist der Schutz der Urheber. Es gibt sehr wohl Lösungen und Geschäftsmodelle jenseits von gewerblicher Piraterie, aber ohne repressive Überwachung. Wenn nicht solche innovativen Wege versucht werden, dann werden jene Praktiken vorherrschen, in denen die einen um ihre geistigen Werke gebracht und die anderen von Anfang an als Verdächtige gehandelt werden.

Doron Rabinovici lebt als Romancier und Essayist in Wien. Zuletzt erschien 2010 bei Suhrkamp sein Roman »Andernorts«.

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024

Immanuel Kant

Aufklärer mit Ressentiments

Obwohl sein Antisemitismus bekannt war, hat in der jüdischen Religionsphilosophie der Moderne kein Autor mehr Wirkung entfaltet

von Christoph Schulte  21.04.2024

TV

Bärbel Schäfer moderiert neuen »Notruf«

Die Autorin hofft, dass die Sendung auch den »echten Helden ein wenig Respekt« verschaffen kann

von Jonas-Erik Schmidt  21.04.2024

KZ-Gedenkstätten-Besuche

Pflicht oder Freiwilligkeit?

Die Zeitung »Welt« hat gefragt, wie man Jugendliche an die Thematik heranführen sollte

 21.04.2024

Memoir

Überlebenskampf und Neuanfang

Von Berlin über Sibirien, Teheran und Tel Aviv nach England: Der Journalist Daniel Finkelstein erzählt die Geschichte seiner Familie

von Alexander Kluy  21.04.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Nur nicht selbst beteiligen oder Tipps für den Mietwagen in Israel

von Ayala Goldmann  20.04.2024