Jubilar

Pionier der Synagogenmusik - Andor Izsak wird 80

Der Musikprofessor und Hausherr der Villa Seligmann: Andor Izsák Foto: dpa

Neulich saß Andor Izsak in Budapest in einer Runde zu seinem 62. Abiturtreffen - »zusammen mit neun Männern, da kam ich mir alt vor«. Dieser charmant-ironische Ton zieht sich durch das Telefonat anlässlich seines Geburtstages am Samstag - des 80. Izsak, geboren am 6. Juli 1944 im jüdischen Ghetto in Budapest, ist Pionier der jüdischen Sakralmusik und Sammler von Synagogenorgeln. »Wenn Simon Wiesenthal der Nazijäger war, bin ich der Orgeljäger«, sagt der Musikwissenschaftler. Der emeritierte Professor lebt in Hannover, einer der Orte, von dem aus er einst auf die Pirsch ging.

Izsaks Leidenschaft hat etwas mit dem 19. Jahrhundert zu tun. 1810 wurde mit dem Jacobstempel im niedersächsischen Seesen der weltweit erste Synagogenbau des Reformjudentums eröffnet, mit einer Orgel. »Damit war das Eis gebrochen«, erklärt Izsak und meint damit, dass weitere Gemeinden die Orgel für sich entdeckten. Allerdings nicht das orthodoxe Judentum, denn in dieser Strömung ist das Instrument nicht Bestandteil von Gottesdiensten.

Zäsur durch Nationalsozialismus

Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Synagogenorgeln auch dort nicht mehr erklangen, wo sie selbstverständlich dazugehörten: Bei den Novemberpogromen von 1938 verwüsteten die Nazis Synagogen mitsamt Orgeln. »Ich bin ein einfacher Mensch und kann nicht die ganze Welt retten«, sagt Izsak. Aber immerhin hat er bisher sieben Synagogenorgeln gesammelt. Eine stehe in der Villa Seligmann in Hannover. Dieses Haus versteht sich seit 2012 als »Ort für die Aufführung, Vermittlung, Erforschung und Dokumentation jüdischer Musik«.

Dass es dazu kam, ist ebenfalls Izsaks Verdienst. Er gewann unter anderen den damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff dafür, die Anfang des 20. Jahrhunderts errichtete Villa des Geheimkommerzienrats Siegmund Seligmann für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Izsak stand an der Spitze der Siegmund-Seligmann-Stiftung, die das Gebäude erworben hatte, und ist heute deren Ehrenpräsident.

Und nicht nur das. Durch seine Ehefrau Erika Lux, eine Pianistin, war Izsak 1982 nach Deutschland gekommen. Hier hoffte er auf eine blühende Synagogenmusikszene - was nicht der Fall war. Denn trotz der Orgelpremiere in Seesen und der einstigen Hochzeit des liberalen Judentums in Deutschland konnte nach dem Holocaust daran nicht angeknüpft werden.

Europäisches Zentrum für Jüdische Musik

Izsak gründete 1988, zum 50. Jahrestag der Novemberpogrome, in Augsburg das Europäische Zentrum für Jüdische Musik (EZJM). Dort setzte er sich nicht nur für die Orgel, sondern auch die Musik von Louis Lewandowski (1821-1894) ein. Dieser war einer der bedeutendsten Komponisten von Synagogenmusik in Deutschland. Nachdem Izsaks Ehefrau nach Hannover gewechselt war, kam auch er für eine Professur an der Hochschule für Musik dorthin. Das EZJM nahm er mit.

Izsaks Eltern, die mit ihrem Sohn in Ungarn die Schoah überlebten, waren orthodox. Als Kind habe er eine Orgel in einem Film gehört und sei ergriffen gewesen. Nach dem Krieg habe ihn eine Ordensschwester heimlich in eine Kirche mitgenommen, in der er sich an das Instrument habe setzen dürfen. »Da habe ich mich selbst entdeckt und meinen Kompass in die richtige Richtung gestellt.« Seinen Eltern habe er von diesen verbotenen Ausflügen nie erzählt.

Als 13-Jähriger wünschte er sich zu seiner Bar Mitzwa, in der Großen Synagoge in Budapest dem Orgelspiel zuschauen zu dürfen - was sich regelmäßig wiederholte. Auf dieser Orgel hatten schon Franz Liszt und Camille Saint-Saens gespielt. Zu Izsaks Zeit spielte dort ein einstiger Salesianerpater an Schabbat das Instrument. Er wurde sein Meister: »Von einem Katholiken habe ich alles über Synagogenmusik gelernt.« Warum ausgerechnet die Orgel? »Dieser sphärische Klang der Synagogenorgel hat mich immer fasziniert.«

»Das gibt mir Kraft«

Zu seinem 80. Geburtstag blickt Andor Izsak auf ein großes Werk zurück, zu dem auch die Herausgabe der Chorpartitur »18 liturgische Psalmen« und die Veröffentlichung der CD von Lewandowski gehört. Kürzlich bekam er in Anerkennung seines Wirkens in Budapest das Ritterkreuz, er ist auch Träger des Bundesverdienstkreuzes. Izsak sagt, diesmal in ernstem Ton, dass er auch durch schwere Zeiten gegangen und im Alter etwas müde sei. In der Villa Seligmann befinde sich sein Archiv, und er sei sicher, dass jemand seine Arbeit weiterführen werde. Allerdings habe er selbst auch noch reichlich zu tun damit: »Das gibt mir Kraft.«

Alexander Estis

»Ich bin Pessimist – aber das wird bestimmt bald besser«

Der Schriftsteller über die Folgen der Kriege in der Ukraine und Nahost, Resilienz und Schreiben als Protest

von Ayala Goldmann  12.12.2024

Kino

Film-Drama um Freud und den Lieben Gott

»Freud - Jenseits des Glaubens« ist ein kammerspielartiges Dialogdrama über eine Begegnung zwischen Sigmund Freud und dem Schriftsteller C.S. Lewis kurz vor dem Tod des berühmten Psychoanalytikers

von Christian Horn  12.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 12. Dezember bis zum 18. Dezember

 12.12.2024

London

Hart, härter, Aaron Taylor-Johnson

Ein Marvel-Schurke zu sein, ist körperlich extrem anstrengend. Dies räumt der jüdische Darsteller nach dem »Kraven The Hunter«-Dreh ein

 11.12.2024

PEN Berlin

»Gebot der geistigen und moralischen Hygiene«

Aus Protest gegen Nahost-Resolution: Susan Neiman, Per Leo, Deborah Feldman und andere verlassen den Schriftstellerverein

 11.12.2024

Medien

»Stern«-Reporter Heidemann und die Hitler-Tagebücher

Es war einer der größten Medienskandale: 1983 präsentierte der »Stern« vermeintliche Tagebücher von Adolf Hitler. Kurz darauf stellten die Bände sich als Fälschung heraus. Ihr »Entdecker« ist nun gestorben

von Ann-Kristin Wenzel  10.12.2024

Imanuels Interpreten (2)

Milcho Leviev, der Bossa Nova und die Kommunisten

Der Pianist: »Ich wusste, dass ich Bulgarien verdammt zügig verlassen musste«

von Imanuel Marcus  10.12.2024

Glosse

Der Rest der Welt

»Mein kleiner grüner Kaktus« – ein Leitfaden für Frauen von heute

von Nicole Dreyfus  10.12.2024

Gelsenkirchen

Bayern-Trainer Kompany: Daniel Peretz genießt mein Vertrauen

Daniel Peretz soll Manuel Neuer bis zum Jahresende im Bayern-Tor vertreten. Trainer und Mitspieler vertrauen dem Israeli. Neuer könnte in einem Monat in Gladbach zurückkehren

 10.12.2024