»Es bleibt nichts, wie es ist« – unter diesem Titel lud am 17. Juni Holger Friedrich, Verleger der »Berliner Zeitung«, im Rahmen des »Ettersburger Gesprächs« auf das gleichnamige Schloss nahe Weimar zum Talk ein, um über »gesellschaftlichen Wandel, Medien, Verantwortung und seine ostdeutsche Biografie« zu reden.
Zur Sprache kamen auch die Vorwürfe von Nicholas Jacobsohn, in den USA lebender Enkel von Siegfried Jacobsen, dem jüdischen Journalisten und Gründer der berühmten »Weltbühne«, einem Magazin, das vor 1933 für seine Themen und Autoren berühmt war. Dieser hatte Friedrich vorgeworfen, die »Weltbühne« ohne seine Einwilligung neu ins Leben gerufen zu haben.
Der Verleger wiederum behauptete, mehrfach versucht zu haben, Kontakt mit Jacobsohn aufzunehmen. Dieser hätte aber mit einer herablassenden Haltung den publizistisch ambitionierten Holger Friedrich ignoriert, weshalb er das Projekt »Weltbühne« nun ohne dessen Zustimmung durchgezogen habe. Jetzt zeige sich der Enkel »enttäuscht« und »vielleicht auch bisschen erschrocken«, dass der »amerikanische Ostküsten-Geldadel von einem Ossi dann so an die Wand gespielt« worden wäre, so Friedrich in dem »Ettersburger Gespräch«. Die »westdeutsch-dominierten Medien« wären daraufhin auf den Zug aufgesprungen, um ihn, den »Ostdeutschen«, zu diskreditieren.
Der von Friedrich benutzte Begriff »Ostküsten-Geldadel« sorgt nun für Diskussionen. Zuerst hatte die Tageszeitung »taz« über den Fall berichtet und geurteilt: »Die bewusste Rhetorik des gebürtigen Ostberliners könnte antisemitische Ressentiments andeuten.«
Felix Klein: »Formulierung bewusst gewählt«
Ein Zufall sei die Begriffswahl Friedrichs nicht, glaubt Remko Leemhuis. »In der Aufzeichnung des Gesprächs, in dem er die beiden Begriffe benutzt, die auf zwei der ältesten antisemitischen Stereotype verweisen, wird deutlich, dass er sie sehr bewusst gewählt hat«, lautet dazu die Einschätzung des Direktors des American Jewish Committee (AJC) Berlin. »Sie sind nämlich Teil einer größeren Erzählung und Erfolgsgeschichte von Holger Friedrich über Holger Friedrich«, so Leemhuis. »Er ist sichtlich stolz darauf, dass es ihm, dem ›Ostler‹, gelungen sei, dem ›Finanzadel‹ – also jener in seiner Vorstellung zwar kleinen, aber mit unendlichen finanziellen Ressourcen ausgestatteten sinistren Elite, die Einfluss auf die Geschicke der Welt nimmt – einen Schritt voraus gewesen zu sein.«
Ähnlich die Einschätzung von Felix Klein. »Der Berliner Verleger Holger Friedrichs hat den Enkel des jüdischen Gründers der traditionsreichen Weltbühne öffentlich als ›Ostküsten-Geldadel‹ betitelt«, sagt der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen den Antisemitismus und verweist auf die Rolle des Begriffs als antisemitisches Chiffre. »Gerade im Zusammenhang mit der angedeuteten Machtlosigkeit Jacobsons ihm gegenüber liegt leider die Vermutung nahe, dass Friedrich, dessen Metier nun einmal Sprache und Kommunikation ist, diese Codes bekannt sind und er die Formulierung daher bewusst verwendet hat.«
»Die Formulierung des ›Ostküsten-Geldadels‹ ist ein historisch belastetes Stereotyp der reichen, einflussreichen amerikanischen Elite«, erklärt Benjamin Steinitz. »Friedrichs Formulierung ruft das Bild eines Verschwörers auf: die Vorstellung von einer einflussreichen, finanzstarken Elite an der US-Ostküste, dem Sitz der US-amerikanischen Börse«, so der Geschäftsführer des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS). »In Verbindung mit der Abwertung durch die Wendung ›vom Ossi an die Wand gespielt‹ entsteht zusätzlich eine manichäische Erzählung, die in antisemitischen Denkstrukturen verankert ist: Mit dieser Aussage stellt Friedrich einen Gegensatz zwischen einem einfachen Ostdeutschen und einer vermeintlich elitären, westlich-amerikanischen Figur her.«
Friedrich weist Antisemitismus-Vorwurf von sich
Holger Friedrich sieht das anders und verwahrt sich gegen den Vorwurf des Antisemitismus. »Er verwendet den Begriff so wie viele Wissenschaftler«, hieß es dazu auf Anfrage der »Jüdischen Allgemeinen« seitens des »Berliner Verlags«. »Bezugspunkte sind beispielhaft der U.S.-amerikanische Historiker George Dyson in ›Turings Cathedral‹ oder die britische Historikerin Frances Stonor Saunders.« Diese beschreibe »die ›so genannte Ostküstenaristokratie‹ im Zusammenwirken mit der ›Ivy League‹ als ›eine Art Bruderbund anglophiler Bildungsbürger, die die Rechtfertigung für ihr Handeln in den Traditionen der Aufklärung und der Unabhängigkeitserklärung verankert sahen‹«.
Der Verlag verwies zudem auf die »Berliner Zeitung«, die »regelmäßig, ausführlich und ausgewogen über die Geschehnisse in Israel« sowie »regelmäßig und wohlwollend über das jüdische Leben in Deutschland in all seinen Facetten« berichte.
Kontroverse um »Weltbühne«-Text
Friedrich hatte die »Weltbühne« Ende Mai neu aufgelegt. Die Zeitschrift enthielt unter anderem einen Beitrag der jüdischen Publizistin Deborah Feldmann, in dem die jüdische Herkunft des Chefredakteurs der »Jüdischen Allgemeinen«, Philipp Peyman Engel, anzweifelte. Feldmans Behauptungen sind erwiesenermaßen falsch.
Nicholas Jacobsohn zeigte sich von Feldmans Aufsatz angewidert: »Hier wird ein jüdisches Medium mit einer so langen und wechselvollen Geschichte missbraucht, um Juden gegen Juden zu instrumentalisieren.« Das, wofür sein Großvater gestanden habe, sei durch Friedrich »beschädigt« und »beschmutzt« worden, so Jacobsohn, dessen Großvater die Weltbühne gegründet hatte.