Porträt

Oper als Bekenntnis

Szene aus »Die Passagierin« Foto: dpa

Begonnen hat die Entdeckung des polnisch-russischen Komponisten im Jahr 2010 bei den Bregenzer Festspielen, wo die Auschwitz-Oper Die Passagierin 14 Jahre nach Weinbergs Tod erstmals szenisch aufgeführt wurde. Inzwischen ist sie auch in Karlsruhe, vor wenigen Wochen in Frankfurt am Main und in Chicago gespielt worden.

Weinbergs Dostojewski-Oper Der Idiot wurde in Mannheim und Oldenburg inszeniert. Und es gibt eine DVD der Bregenzer Passagierin und CDs mit Kammermusik und Orchesterwerken. Die Mieczyslaw-Weinberg-Gesellschaft mit Sitz in Augsburg spricht von »seltener menschlicher Tiefe« im Werk des Komponisten.

NS-Zeit Das Leben des Komponisten war bestimmt von Krieg und Verfolgung. 1919 in Warschau geboren, studierte er in den 30er Jahren am Warschauer Konservatorium. Weinberg war Jude, floh 1939 beim Einmarsch der deutschen Truppen nach Polen in die Sowjetunion, wo er in Minsk und Taschkent ein unruhiges, getriebenes Leben führte. Seine Eltern und seine Schwester, die in Polen geblieben waren, wurden in einem Lager ermordet.

Weinberg begann zu komponieren und schickte Dmitri Schostakowitsch die Partitur seiner Ersten Symphonie. Daraus entstand eine lebenslange Freundschaft, die Weinberg auch half, den Stalinismus und den sowjetischen Antisemitismus zu überstehen. Als Weinberg im Februar 1953 inhaftiert wurde, intervenierte Schostakowitsch. Erst als Stalin im März 1953 starb, verbesserte sich die Lage der Juden in der Sowjetunion.

Der Musiker, der zweimal verheiratet war und zwei Töchter hatte, wurde freischaffender Komponist. »Ich sehe es als meine moralische Pflicht, vom Krieg zu schreiben, von den Gräueln, die der Menschheit in unserem Jahrhundert widerfuhren«, erklärte Weinberg. Er schuf mit Kammermusik und 22 Symphonien ein umfangreiches Werk, das aber kaum aufgeführt wurde.

Filmmusik Darüber hinaus komponierte er auch die Musik für zahlreiche Filme, darunter für den berühmten Antikriegsfilm Wenn die Kraniche ziehen, der 1958 in Cannes als einziger sowjetischer Film die Goldene Palme gewann. Nun ist das Drama bei den Wiener Festwochen wieder zu sehen.

Als Weinbergs Hauptwerk aber gilt die Oper Die Passagierin aus den 60er-Jahren. Sie geht auf einen Roman von Zofia Posmysz zurück, einer polnischen Autorin, die darin eigene Erlebnisse als Gefangene in Auschwitz verarbeitete. Weinberg las 1962 die russische Übersetzung. Sie wurde zur Grundlage des Librettos, das er zusammen mit Alexander Medwedew schrieb. 1968 war die Oper fertig. Die konzertante Uraufführung fand 2006 in Moskau statt.

Bei Zofia Posmysz treffen zwei Frauen Ende der 50er-Jahre auf einem Luxusliner Richtung Brasilien aufeinander. Sie sind sich schon einmal begegnet – in Auschwitz. Lisa war damals Aufseherin, Marta Gefangene. Der Roman, der ein grausam-realistisches Bild des Lagers zeichnet, ist aus der Perspektive von Lisa erzählt, die den gefangenen Frauen gegenüber ihre Macht ausspielt, zwischen angeblicher oder tatsächlicher Zuneigung und harter Bestrafung.

Berührend Medwedew und Weinberg haben den Text vereinfacht und zum Teil andere Akzente gesetzt. Das Ende gehört Marta. Sie sitzt in einer neu erfundenen Szene an einem Fluss. Ihr Monolog: »Ich werde euch nie und nimmer vergessen. Keine Vergebung niemals.«

An dem schwierigen Thema Auschwitz zeigt Weinberg seine großen Qualitäten als Komponist. Auf tonaler Basis kann er alle Härten und Schrecken des Lagers ausdrücken, aber auch alle Gedanken und Gefühle.

Die Musik kann attackieren, wenn sie den Lieblingswalzer des KZ-Kommandanten zitiert, der auch auf dem Schiff gespielt wird. Sie kann aber auch trösten, ohne sentimental zu sein, wenn die weiblichen Häftlinge aus mehreren Ländern nachts heimlich in vier verschiedenen Sprachen ihre Lieblingslieder singen.

Am kühnsten ist die Szene, in der Martas Geliebter im Lager, der Musiker Tadeusz, für den Kommandanten auf der Geige dessen Walzer spielen soll. Todesmutig wehrt er sich mit Bachs Chaconne, die das Orchester übernimmt: das bekannte Stück eines großen deutschen Komponisten als Bekenntnis zur Humanität – und als Widerstand gegen die Nazi-Ideologie.

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