Lesen!

»Opa, warum hast du Falten?«

Gut möglich, dass David Grossman sein Buch nicht nur für den Enkel und andere Kinder geschrieben hat, sondern auch für sich selbst

von Katrin Diehl  30.06.2023 11:47 Uhr

Gut möglich, dass David Grossman sein Buch nicht nur für den Enkel und andere Kinder geschrieben hat, sondern auch für sich selbst

von Katrin Diehl  30.06.2023 11:47 Uhr

In David Grossmans Texten liegt Melancholie, die sich noch einmal mehr Raum greift, wenn Menschen in Dialog treten in sparsam gesetzten Sätzen. Und es sind ja gerade die Kleinkinderbücher, die sich den Luxus erlauben dürfen, mit nur ganz wenig Text auszukommen.

David Grossman schreibt schon immer auch für Kinder. Waren es in den 90er-Jahren – da waren seine eigenen Kinder noch klein - die Joram-Geschichten, die aus dem Hebräischen ins Deutsche übersetzt wurden, ist es heute Jotam, der in Opa, warum hast du Falten? mit seinem »Opa Amnon« im netten Café von Frau Aviva zusammensitzt. So ist das jeden Dienstag, weil der Opa dienstags den Jotam vom Kindergarten abholt. Welcher Gesprächsstoff sich dann entwickelt, ist ganz dem Zufall überlassen.

zugewandtheit Dieses Mal macht Jotam die Falten im Gesicht seines Opas zum Thema. Ein wenig erstaunt nimmt der Großvater den Faden auf, wie er generell so einer ist – und da sind wir uns ganz sicher –, der voller Zugewandtheit kein Wort des Kindes unbeachtet lässt. In wenigen Sätzen gibt er seinen Falten Geschichten: schöne (zur Geburt von Jotam), aber auch traurige.

Und es ist ja nicht so, dass ihm der kleine Enkel da, woʼs schwer wird, nicht sehr wissend zur Seite springen würde: »Traurige Dinge, wie als Oma Dina krank war?« Da wird das Eis dünn für die jungen Zuhörer, und so berührt auch Jotam immer wieder die Haut des Opas, was sehr viel Nähe und Körperlichkeit entstehen lässt.

Könnte gut sein, dass Grossman Opa, warum hast du Falten? nicht nur für den Enkel und damit alle Kinder ab vier bis fünf Jahren geschrieben hat, sondern auch für sich selbst. Auf Melancholie als Ton der Nachdenklichkeit setzt er auch für die Kleinsten.

ILLUSTRATIONEN Nimmt man den hebräischen Originaltitel von 2021 in die Hand, meint man, ein anderes Buch vor sich zu haben, was nicht an der Übersetzung von Anne Birkenhauer liegt, sondern an den Illustrationen.

Während »Jede Falte hat eine Geschichte« – so nämlich heißt das Buch im Hebräischen ziemlich treffend (im Deutschen liebt man Fragezeichen im Titel) – sehr konkret, farbenkräftig, lebendig, fast lustig von Maya Shleifer bebildert wurde, illustrierte für die deutsche (wie italienische Ausgabe – dort mit Titel: »Falten«) die in Mailand lebende Illustratorin »Ninamasina«. Mit einem leicht-blauen, luftigen Wasserfarbenstrich öffnet sie die Text-Bild-Schere sehr weit und damit auch den möglichen Gedankenaustausch der Bilderbuchbetrachter.

David Grossman: »Opa, warum hast du Falten?«. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Ab vier Jahren. Hanser, München 2023,
40 S., 17 €

Graphic Novel

»Wir hatten das große Glück der vielen Zeit«

Die Künstlerin Barbara Yelin über ihre Gespräche mit der Schoa-Überlebenden Emmie Arbel

von Knut Elstermann  05.05.2024

Ausstellung

Im hohlen Baum

In Frankfurt werden neun exemplarische Verstecke polnischer Juden in der Schoa gezeigt – eines erinnert an das Hamas-Massaker

von Eugen El  05.05.2024

Eurovision Song Contest

»Malmo wird in der nächsten Woche der Brennpunkt Europas sein«

Boykott-Aufrufe gegen Israel und eine Stadt, in der der Antisemitismus besonders stark grassiert: Der ESC dürfte dieses Jahr in aufgeheizter Stimmung stattfinden

von Melissa Erichsen  05.05.2024

Aufgegabelt

Hühnchen mit Aprikosen

Rezepte und Leckeres

 04.05.2024

Antisemitismus

Margot Friedländer: »So hat es damals auch angefangen«

Die 102 Jahre alte Holocaust-Überlebende hat beim Deutschen Filmpreis eindringlich vor dem wachsenden Judenhass gewarnt

 04.05.2024

Berlin-Brandenburg

Jüdisches Filmfestival zeigt Filmreihen zu Terror und Sex

Das Festival zeigt zwischen dem 18. bis 23. Juni 70 Filme aus 15 Ländern

 03.05.2024

Literatur

Am Ort, an dem wir recht haben

Zum 100. Geburtstag des Jerusalemer Dichters Jehuda Amichai, der aus Unterfranken stammte

von Alexander Kluy  03.05.2024

Serie

Geschichte des Überlebens und der Liebe

Die Verfilmung des Romans »Der Tätowierer von Auschwitz« ist ab dem 8. Mai bei Sky zu sehen

von Patrick Heidmann  03.05.2024

Glosse

Stricken für den Frieden

Regelmäßig ineinander gehende Maschen als Sinnbild für eine nicht aus den Fugen geratene Welt?

von Nicole Dreyfus  03.05.2024