Es sind markante Zeilen. »Gebt die Geiseln zurück; Hört auf, Gaza zu bombardieren; Öffnet die Herzen«: Diese und weitere Sentenzen hat Bracha Lichtenberg Ettinger am 20. Oktober 2023 auf Englisch und Hebräisch in ihr kleines Notizheft geschrieben. Umschlossen werden die handschriftlichen Textfragmente von einer flüchtigen, malerischen Skizze. Am unteren Seitenrand ist zudem »El Maleh Rahamim«, ein Verweis auf das jüdische Totengebet, zu lesen.
Das aufgeschlagene Notizbuch ist derzeit in Düsseldorf zu sehen. Die »K21« genannte Gegenwartsdependance der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen widmet der 1948 in Tel Aviv geborenen Malerin, Psychoanalytikerin und Philosophin Bracha Lichtenberg Ettinger (BRACHA) eine umfassende Einzelpräsentation. BRACHAs letzte Einzelausstellung in Deutschland fand 1987 in der Moltkerei Werkstatt in Köln statt, während ihre Werke seitdem regelmäßig in europäischen, amerikanischen und israelischen Museen zu sehen waren.
Mediale Bekanntheit erlangte die in Tel Aviv und Paris lebende Künstlerin, als sie im November 2023 die Findungskommission für die Künstlerische Leitung der documenta 16 verließ. Ihren Rücktritt begründete Bracha Lichtenberg Ettinger mit den »dunklen Zeiten«, durch die die Welt seit dem 7. Oktober geht.
Fast schon mutige Geste in Zeiten des stillen Israelboykotts
Dass sie nun in Düsseldorf, einem traditionellen Hotspot des deutschen Kunstbetriebs, mit einer institutionellen Einzelausstellung geehrt wird, muss in Zeiten des stillen (und mitunter auch brüllend lauten) Israelboykotts fast schon als mutige Geste gewertet werden.
Und auch wenn das K21 an mehreren Stellen Bracha Lichtenberg Ettingers Rolle als Friedensaktivistin betont, steht ihr in den 80er-Jahren begonnenes künstlerisches Werk unmissverständlich im Mittelpunkt der Schau.
In Deutschland wurde BRACHA bekannt, als sie die Findungskommission zur documenta 16 verließ.
BRACHA, in Paris als Psychotherapeutin tätig, begann damals, mit der Übermalung halbfertiger Fotokopien von Bildern aus Zeit- und Familiengeschichte zu experimentieren. Diese frühen Arbeiten werden in Düsseldorf neben jüngst entstandenen Werken präsentiert. Als Vorlagen verwendet BRACHA etwa Luftaufnahmen vom osmanischen Palästina, die deutsche Fliegerpiloten im Ersten Weltkrieg schossen, oder das Foto eines von der SS in der besetzten Ukraine an jüdischen Frauen und Kindern verübten Massakers.
Eine Aufnahme von Bracha Lichtenberg Ettingers Eltern im Łódz der Vorkriegszeit ist ebenso zu einem Ausgangspunkt für ihre Kunst geworden wie eine Fotografie, die ihre Mutter kurz nach der rettenden Ankunft in Tel Aviv zeigt. Etliche Verwandte wurden indes in der Schoa ermordet, was die eher distanzierte Beziehung der Künstlerin zu Deutschland nachvollziehbar macht.
Eindrückliche künstlerische Entfaltung
Von BRACHAs eindrücklicher künstlerischer Entfaltung zeugen die seit 2015 in mitunter mehrjähriger akribischer Arbeit entstandenen Gemälde, die zu den Glanzpunkten dieser Ausstellung zählen. Sie zeigen fließende, an Zellstrukturen erinnernde Formen, in denen sich immer wieder geisterhafte Gesichter und Körperfragmente abzeichnen. Die unscharfen, in mehreren Farbschichten aufgetragenen Formen ergänzt die Künstlerin durch unzählige kleine, penibel gesetzte Punkte.
BRACHAs zumeist kleinformatige Leinwände muten wie ein von Halluzinationen begleiteter Blick durch das Mikroskop an. Die von Lila, Dunkelrot und Violett dominierte Farbpalette verstärkt den Eindruck des Blickes ins Körperinnere – und korrespondiert, wenn man so will, mit Bracha Lichtenberg Ettingers professioneller Fähigkeit zum präzisen Blick ins menschliche Seelenleben.
Ihre Düsseldorfer Ausstellung erweist sich als intensiv und fordernd. Dabei gelingt es BRACHA, existenzielle Themen jenseits von Drastik oder Plakativität zu verhandeln. Dass sie sich eingehend mit der von Nazis gegen jüdische Frauen und Kinder verübten Gewalt beschäftigt, verleiht dieser Schau angesichts der Brutalität der Hamas gegen israelische Geiseln eine zusätzliche, traurige Aktualität.
»K21«, Ständehausstraße 1, Düsseldorf, bis 31. August