Wuligers Woche

Normal ist das nicht

»Wir wollen normal hier leben können.« Foto: Gregor Zielke

Falls Ihnen, als Nichtjuden, die Antisemitismusdiskussionen und -aktionen der vergangenen Wochen auf den Geist gegangen sind: Uns auch. Entgegen weit verbreiteten Vermutungen ist Judenhass nicht unser liebstes Thema.

Im Gegenteil: Wir wären froh, uns damit nicht befassen zu müssen. Und so sehr wir es auch begrüßen, dass Politik und Öffentlichkeit Solidarität demonstriert haben – ein Grund zur Freude ist das nicht. Dass es überhaupt notwendig war, zeugt vom traurigen Zustand des jüdischen Lebens in Deutschland heute.

Fussball Wir fühlen uns nicht sicher hier. Fast schlimmer noch: Wir sind Objekt der Fürsorge von anderen. Das hat etwas Demütigendes an sich. Auf die Hilfe Stärkerer angewiesen sind nur Opfer. Und Opfer wollten wir nie wieder sein. Lieber hätten wir gewöhnlichen Alltag. Wir würden gern, wie alle anderen Menschen auch, in unseren Berufen arbeiten, unsere Kinder gut aufwachsen sehen, ins Kino gehen, zum Fußball, und manchmal auch in die Synagoge. Ohne dass wir darum großes Aufhebens machen und ohne dass andere es tun.

Doch das wird zunehmend schwieriger. Gewiss, physische Gewalt ist (noch) die Ausnahme. Anpöbeleien und Schlimmerem kann man aus dem Weg gehen, indem man Orte und Viertel meidet, in denen bestimmte Migrantengruppen oder Neonazis tonangebend sind. Und wer von uns trägt schon normalerweise eine Kippa?
Natürlich, verglichen mit der Lage in Städten Frankreichs oder Schwedens geht es uns noch passabel.

Ein Glück. Aber um Friedrich Torbergs Tante Jolesch zu zitieren: Der Herr behüte uns vor allem, was noch ein Glück ist. Dass Juden in Deutschland nicht existenziell gefährdet sind, gibt zum Jubeln keinen Anlass. Ein bisschen mehr sollte es schon sein. Normalität zum Beispiel.

Davidstern Doch die haben wir nicht. Stattdessen leben wir in beständiger Vorsicht. Den Anhänger mit Davidstern verstecken wir sicherheitshalber, wenn wir U-Bahn fahren. Unseren Kindern muten wir lieber einen halbstündigen Schulweg zu, als sie in die Bildungseinrichtung nebenan mit 70 Prozent Migrantenanteil zu schicken. Am Arbeitsplatz halten wir uns bedeckt, um aggressive Diskussionen über Gaza, Beschneidung, die Macht der Rothschilds oder was gerade sonst so auf der Tagesordnung steht, zu vermeiden. Lebensqualität sieht anders aus.

Und um die geht es. Lediglich nicht beschimpft oder attackiert zu werden, reicht nicht. Vor Gewalt geschützt zu sein, ist nicht genug. Wir wollen normal hier leben können. Mit allen Mühen, die das Dasein nun mal mit sich bringt. Aber ohne zusätzliche Stressfaktoren, nur weil wir jüdisch sind.

Die Frage, ob Deutschland ein Ort für Juden sein kann, stellt sich nicht erst bei Beleidigungen, Bedrohungen und handgreiflichen Attacken. Sie steht schon zur Debatte, wenn Juden sich als Juden hier unbehaglich fühlen müssen. Deshalb: Danke für die Solidarität. Wohler wäre uns, wir würden sie nicht brauchen.

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  20.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. November bis zum 27. November

 20.11.2025

»Lolita lesen in Teheran«

Klub der mutigen Frauen

Der Israeli Eran Riklis verfilmt die Erinnerungen der iranischen Schriftstellerin Azar Nafisi an geheime Literaturtreffen in Teheran – mit einem großartigen Ensemble

von Ayala Goldmann  20.11.2025

Ausstellung

Sprayende Bildhauerin mit Geometrie

Das Museum Wiesbaden zeigt Werke Louise Nevelsons und eines Künstlerpaares

von Katharina Cichosch  20.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025