Interview

»Nichts ist heilig«

Doron Rabinovici Foto: dpa

Herr Rabinovici, der Europäische Tag der Jüdischen Kultur am 2. September steht unter dem Motto »Humor«. Passt das angesichts der aktuellen Lage – möglicher Krieg gegen Iran und Beschneidungsstreit in Deutschland – in die Landschaft?
Wenn sich jüdischer Humor nur in jenen Jahren weiterentwickelt hätte, in denen die Juden gar keine Bedrohung fürchteten, wäre er etwa so traditonsreich und weltberühmt wie der deutsche.

Jüdischer Humor braucht widrige Umstände?
Es muss nicht sein, aber es hilft. Und seien wir ehrlich, irgendwelche widrigen Umstände werden sich schon finden.

Wenn nicht von außen kommend, dann im eigenen Biotop.
Die besten jüdischen Witze sind jene, die einen über sich selbst lachen lassen. Der Witz nimmt so nicht nur vorweg, was als Angriff kommen könnte, sondern dreht den Spieß um. Das Lachen wird zum Triumph. Nichts ist heilig. Nicht einmal Gott. Nicht die Rabbiner. Nicht die eigene Mutter, die jiddische Mamme.

Fällt Ihnen dazu ein Witz ein?
Nein. Viele. Berühmt etwa der kurze: Was ist der Unterschied zwischen einer jiddischen Mamme und einem Terroristen? – Mit Terroristen kann man verhandeln.

Über jüdische Väter gibt es seltsamerweise kaum Witze. Warum eigentlich nicht?
Über die Mamme kann gelacht werden, seit ihre Rolle obsolet wirkt. Früher – im Schtetl – war sie die Frau des Hauses und der Familie. Erst in der Moderne und in der Stadt hat sich das überlebt, und so kann über die jiddische Mamme als Überbleibsel früherer Zeiten gelacht werden. Die jüdischen Väter waren bei der Erziehung der Kleinsten eben nicht so präsent. Aber immerhin kenne ich einige moderne jüdische Väter, die durchaus als jiddische Mammes durchgehen könnten.

Sie waren vor Kurzem als »Writer in Residence« in London. Die Briten haben bekanntlich ihren ganz eigenen Humor. Die britischen Juden auch?
Von den beiden, die ich traf: der eine nicht, der andere schon.

Jetzt sind Sie wieder daheim in Österreich. Worüber witzeln die Juden dort gerade?
Über die zwei weltweit wichtigsten Präsidentschaftswahlen in diesem Herbst: jene in den USA und jene in der Wiener jüdischen Gemeinde.

Kennen Sie auch einen Witz zur Beschneidungsdebatte?
Es gibt dazu viele alte Witze, aber das ist mein Neuer, den ich mir zusammengesponnen habe: Fragt ein Christ einen Juden: »Verzeihen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber wurden Sie auch beschnitten?« – »Klar, am achten Tag nach der Geburt.« – »Und wie war das für Sie?« – »Was soll ich Ihnen sagen: Ich konnte ein Jahr nicht gehen und noch zwei Jahre danach nicht reden!«

Doron Rabinovici lebt als Romancier und Essayist in Wien. Zuletzt erschien 2010 bei Suhrkamp sein Roman »Andernorts«.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert