Musik

Neue jüdische Töne

Ein fingerfertiger Künstler, dessen Werk in der Moderne gründet: Josef Tal 1910–2008 Foto: JA

Den Tag seiner Abreise aus Berlin 1934, in einem Sonderzug für jüdische Auswanderer vom Anhalter Bahnhof via München und Triest nach Palästina, hat der Komponist Josef Tal in bleibender Erinnerung behalten: »Eine halbe Minute vor Abgang des Zuges begann die Menschenmenge die jüdische Nationalhymne ›Hatikwa‹ zu singen. Im Echo der mächtigen Bahnhofshalle brach sich der Klang viele Male. Unter diesem Klangrausch setzte sich der Zug langsam in Bewegung. Die Eltern saßen auf ihrer Bank wie zwei Skulpturen. Sie saßen regungslos und schauten ins Leere. Wir sollten uns nicht mehr wiedersehen.«

Josef Grünthal, wie er damals noch hieß, war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Am 18. September 1910 in Pinne bei Posen geboren, wuchs er in Berlin auf, wo sein Vater, ein Rabbiner, das Jüdische Waisenhaus in der Charlottenburger Roscherstraße leitete und an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums lehrte. Der Sohn entwand sich der religiösen Tradition: »Synagogenbesuch wurde tabu, die Speisegesetze in fremden Häusern habe ich nicht mehr eingehalten, auch die Sabbatgesetze außerhalb des Hauses sehr feinsinnig negiert.«

Oeuvre Statt Tora und Talmud zu lernen, studierte er lieber an der international renommierten Hochschule für Musik bei den bedeutendsten Lehrern der Zeit: »Wem das Glück zuteil wurde, bei Curt Sachs studieren zu können, der trägt an diesem Erbe mit nie verlöschender Freude«, schrieb Tal später. Dieses Erbe brachte er nach Israel mit. Anders als etwa Paul Ben-Chaim, dessen Musik Einflüsse traditioneller jüdischer Volksmelodien reflektiert, sind Tals Kompositionen hörbar in der Berliner Avantgarde der Weimarer Republik verankert. Zwölftonarbeiten sind in seinem umfangreichen Oeuvre ebenso zu finden wie elektronische Musik, die Tal in der von Paul Hindemith gegründeten »Rundfunkversuchsstelle« der Hochschule für Musik kennengelernt hatte. So sehr Tals Musik aber stilistisch in der Moderne gründet: Thematisch ist sie jüdisch geprägt. Dafür stehen Werke wie die Opern Saul in Endor (1957), Massada (1972) oder das Vokalwerk Sukkoth-Kantate (1955).

Nach seiner Alija arbeitete Tal zunächst als Fotograf, bevor er 1937 am damaligen Palestine Conservatory begann, Klavier, Musiktheorie und Komposition zu lehren. Nach der Staatsgründung übernahm er die Leitung der Jerusalemer Akademie für Musik und Tanz. 1951 wurde er Dozent an der Hebräischen Universität Jerusalem, deren renommiertes »Center for Electronic Music in Israel« er 1961 gründete. Bis 1971 leitete Tal die Musikwissenschaftliche Fakultät der Hochschule. Zu seinen Schülern zählen die Komponistin Naomi Schemer, der Cellist Uzi Wiesel und die Sopranistin Hilde Zadek. Tal, der heute als einer der Gründungsväter der israelischen klassischen Musik gilt, wurde für seine Arbeit mit dem Israelpreis ausgezeichnet.

Seiner Heimatstadt Berlin blieb der Komponist verbunden. Er war Mitglied der Akademie der Künste und des Wissenschaftskollegs der Stadt. Zwei Jahre vor seinem 100. Geburtstag starb Josef Tal 2008 in Jerusalem

Hörtipp: Zu den wenigen auf CD erhältlichen Werken Tals zählen seine Symphonien 1 bis 6 (CPO 2003/2004), eingespielt von der NDR Radiophilharmonie unter Leitung von Israel Yinon, deren Aufnahmen Josef Tal persönlich beiwohnte.

Sehen!

»Der Meister und Margarita«

In Russland war sie ein großer Erfolg – jetzt läuft Michael Lockshins Literaturverfllmung auch in Deutschland an

von Barbara Schweizerhof  30.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen nun in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

 30.04.2025

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025