»Es gibt keine bessere Inspiration oder Motivation für die Arbeit, als verliebt zu sein«, sagt Neil Diamond. Dies macht ihn zu einem ausgewiesenen Romantiker, was sich wiederum in seinen Songs niederschlägt. Gäbe es Neil Diamond nicht, so müsste er dringend geboren werden. Ohne ihn wäre die Welt nicht so schön, wie sie sich oft darstellt.
Am 24. Januar 1941 war der zukünftige Barde mit Talent plötzlich da. Die Geburt fand in New York statt. Seine Großeltern väterlicherseits waren Juden aus Polen, die jüdische Familie seiner Mutter kam aus Russland. Rose Rapoport und Akeeba Diamond gaben ihrem Sohn einen sehr amerikanischen Namen, nämlich Neil Leslie.
Die große Frage lautet: Was war in Neil Diamonds Grundschulklasse in der Erasmus Hall High School an der belebten Flatbush Avenue los? Hatte es mit Magie zu tun, dass seine ebenfalls jüdische Kollegin Barbra Streisand in derselben Klasse saß? Der spätere Schach-Großmeister Bobby Fisher war auch ein Klassenkamerad der beiden heutigen Star-Sänger. Tatsächlich besuchten viele spätere Prominente die Erasmus Hall High School, darunter Rebecca Trachtenberg Alpert, eine der ersten Rabbinerinnen überhaupt. Aber wir schweifen ab.

Verguckt oder verliebt
Barbra und Neil sangen jedenfalls im Freshman Chorus and Choral Club, waren damals aber keine Freunde: »Wir waren zwei arme Kinder in Brooklyn. Wir hingen vor der Erasmus High herum und rauchten Zigaretten«, erinnerte sich Diamond einst in einem Interview.
In seiner nächsten Schule, die sich in Brighton Beach befand, fing Neil Diamond an zu fechten, bevor er dann mit 16 Jahren endlich seine erste Gitarre geschenkt bekam. Wenig später wurde er zu einer jüdischen Jugendfreizeit geschickt, deren Teilnehmer ein kleines Konzert des Folk-Sängers Pete Seeger besuchten. Bei dieser Gelegenheit sangen sie diesem ihre selbst geschriebenen Lieder vor.
Diese Vorstellungen beeindruckten Neil Diamond so sehr, dass er an Ort und Stelle beschloss, ebenfalls Songs zu schreiben. Vermutlich war es die beste Entscheidung seines Lebens. Schon bald verfasste er auch Gedichte. Seine Motivation: Er konnte damit Mädchen beeindrucken, in die er sich verguckt oder gar verliebt hatte. Bald baten ihn seine Freunde, auch Lyrik für sie zu schreiben, damit sie damit ebenfalls Eindruck beim anderen Geschlecht schinden konnten.
Von der Hand in den Mund
Sein Medizinstudium brach Neil Diamond ab, als ihm ein kleiner Verlag 50 Dollar pro Woche für das Schreiben von Songs anbot. Nur einige Wochen später war er selbstständiger Liedschreiber. Mit seinem Schulfreund Jack Packer gründete er das Duett Neil and Jack, dessen Singles sich jedoch nicht verkauften. Neil Diamonds Zeit war 1962 noch nicht gekommen.
Er war jedoch weit davon entfernt, sich von Misserfolgen beirren zu lassen und schrieb daher weiter. Ab und zu verkaufte er einen Song, was jedoch nicht bedeutete, dass er viel verdiente. Diamond lebte sprichwörtlich von der Hand in den Mund, bis er den Dreh plötzlich raus hatte: »Etwas Neues begann zu geschehen. Ich stand nicht unter Druck, und plötzlich entstanden interessante Songs. Es waren Lieder mit Aspekten, die in keinen anderen Songs vorkamen.«
»Solitary Man« von 1966 änderte alles. Dieser erste erfolgreiche Song, den niemand geringerer als Neil Diamond schrieb und aufnahm, ist noch heute einer seiner bekanntesten Hits.
Jeans mit Flower-Power-Mustern
Viele von uns »jungen Alten« oder »alten Jungen«, die in den 1960er-Jahren geboren wurden, hatten eine Neil-Diamond-Phase. Bei mir setzte sie ein, als ich nach einer Überdosis »Bridge Over Troubled Water« zweier anderer Juden im Alter von elf Jahren etwas Neues suchte. Für das erste Album, auf dem Neil Diamond sogar »La Bamba« sang, bin aber selbst ich zu jung.
Viele seiner frühen Hits wurden jedoch schnell zu Evergreens, mit denen man im Hamburg der frühen 70er-Jahre kollidierte, wenn man NDR 2 einschaltete. »Cherry Cherry« gehörte ebenso dazu wie »I’m a Believer«. Letzteren Song hatte er für die Monkees geschrieben, interpretierte ihn 1967 jedoch selbst. Ihre Version war erfolgreicher als seine.
Neil Diamond passte sich im Lauf der Jahre immer wieder an Modeerscheinungen an. Dies galt sowohl für den Klang seiner Folk-Rock-Balladen als auch für sein Outfit. Auf dem Cover eines seiner größten Alben, nämlich der Live-Aufnahme Hot August Night von 1972, war er nicht mehr brav im Anzug abgebildet, sondern in Jeans mit Flower-Power-Mustern. Auch die Länge seiner Mähne passte.
Etwas nervig
Hot August Night war nicht nur eine brillante Anleitung für die Erstellung guter Live-Alben generell, sondern auch noch so erfolgreich, dass es 15 Jahre später einen Konzertmitschnitt namens Hot August Night II gab. Drei Jahrzehnte nach der ersten Aufnahme im Greek Theater in Los Angeles wurde gar Hot August Night III veröffentlicht.
»Sweet Caroline«, einen Song, der heute auch aufgrund eines Werbespots eine Renaissance feiert, fand ich schon damals etwas nervig, nicht aber »I Am ... I Said« und die meisten anderen Songs. Kurz vor meiner Cat-Stevens-Phase, die ich heute bereue, brachte Diamond Beautiful Noise heraus. Dieses Album tat ich mir noch an, bevor ich mich für 50 Jahre verabschiedete – bis heute.
Nun stelle ich fest, dass der Barde danach noch 15 Studioalben auf den Markt katapultierte sowie mehrere Weihnachts-Schallplatten. Genau wie seine Kollegen Barry Manilow und Herb Alpert klang er auch als »Weihnachtsjude« ziemlich gut.
Verliebter Frauenschwarm
Mit seinen Qualitäten als souverän agierender Entertainer und begabter Songschreiber hatte es Neil Diamond wohl relativ leicht. Hinzu kamen seine tiefe Stimme, die man in Millisekunden identifizieren kann und sein freundliches Äußeres. Das Gesamtpaket machte ihn auch zum Frauenschwarm. Umgekehrt verliebte sich Diamond gern.
Schon 1963 heiratete er seine Schulfreundin Jaye Posner, mit der er zwei Töchter bekam. Sechs Jahre später ehelichte er die Produktionsassistentin Marcia Murphey. Aus dieser Verbindung, die 25 Jahre lang Bestand hatte, gingen zwei Söhne hervor. Dann, 1996, traf Neil Diamond eine neue Liebe in Australien, bevor er weitere 16 Jahre später die 29 Jahre jüngere Katie McNeil heiratete. Seine Aussage »Es gibt keine bessere Inspiration oder Motivation für die Arbeit, als verliebt zu sein« hatte mit ihr und seinem Album Melody Road zu tun.
Neil Diamond ist der Mann, der sich darüber ärgerte, dass der Film Jonathan Livingston Seagull von 1973 ein Flop wurde, obwohl er die Musik dazu geschrieben und gesungen hatte. Er ist der Künstler, der »Sweet Marcia« mal eben zu »Sweet Caroline« umbaute, da sich der Name seiner damaligen Freundin auf nichts reimte.
Schlechtester Schauspieler
Er entpuppte sich regelmäßig als der Romantiker schlechthin – auch als er bei einem Konzert 1976 in Las Vegas über eine Ex-Freundin sprach, die ihn verlassen hatte, bevor er berühmt wurde. »Du hast mich zu früh sitzen lassen, Baby. Denn guck mal, wer hier auf dieser Bühne steht.«
Auch ist Diamond derjenige, der 1979 auf einer anderen Bühne zusammenbrach, da ein Tumor auf seine Wirbelsäule drückte. Nach einer 12-stündigen Operation schrieb er Abschiedsbriefe an seine Freunde, denn er rechnete nicht damit, dass er überleben würde. Dann war er aber wieder da und drehte den Kinofilm The Jazz Singer.
Dieses Werk, in dem der große Sänger neben Laurence Olivier die Hauptrolle spielte, erntete ein geteiltes Echo. Einerseits bekam Neil Diamond dafür eine Golden Globe-Nominierung. Auf der anderen Seite sackte er aber auch einen Golden Raspberry Award für den schlechtesten Schauspieler ein. Wer gut singt, muss nicht zwingend alles können.

»Jüdischer Elvis«
Diamond ist einem Kritiker zufolge der »jüdische Elvis«, obwohl Elvis selbst ebenfalls Jude war. Diamond ließ sich Perlen auf seine Hemden nähen, damit ihn die Zuschauer aus den hinteren Rängen sehen konnten – in einer Zeit, in der nicht überall gigantische Bildschirme herumhingen.
Und er ist derjenige, der einen patriotischen Song mit dem Titel »America« seinen Großeltern – den vier jüdischen Einwanderern aus Polen und Russland – widmete. Das Lied wurde 1981 bei der Rückkehr von 52 Geiseln aus dem Iran, die 444 Tage lang festgehalten worden waren, gespielt sowie bei einem Event zu Ehren des 1968 ermordeten Bürgerrechtlers Martin Luther King. Auch wurde es 1987 die Wahlkampfhymne für den demokratischen Kandidaten Michael Dukakis, der gegen George Bush Senior verlor.
»›America‹ war die Geschichte meiner Großeltern«, so Neil Diamond. »Der Song ist mein Geschenk an sie. Für mich ist er sehr real. Auf eine gewisse Weise spricht das Lied den Immigranten in uns allen an.«
Geschlossener Kreis
Neil Diamond ist übrigens auch der Mann, der 1987 die Nationalhymne bei der Super Bowl sang, sowie der Künstler, dessen Song »Red Red Wine« von 1967 im Jahr 1983 von der Reggae-Combo UB40 zu einem Mega-Hit gemacht wurde.
Der Kreis schloss sich schon früh. Im Jahr 1977 veröffentlichte Diamond sein Album I’m Glad You’re Here With Me Tonight, das den Song »You Don’t Bring Me Flowers« enthielt. Barbra Streisand interpretierte das Lied ein knappes Jahr später auf ihrer Platte Songbird. Nachdem Spaßvögel die beiden Versionen ungefragt zusammengeschnitten und ins Radio gebracht hatten, nahmen die beiden Sänger endlich eine offizielle Duett-Version von »You Don’t Bring Me Flowers« auf.
Das Publikum war ebenso überrascht wie begeistert, als die früheren Klassenkameraden Barbra Streisand und Neil Diamond das Liebeslied ohne vorherige Ankündigung bei der Grammy-Vergabe von 1980 vortrugen. Es war möglicherweise das erfolgreichste jüdische Gesangsduett aller Zeiten.
Neil Diamond kommt übrigens kurz nach Chanukka wieder ins Kino – zumindest ein bisschen. Der Film Song Sung Blue, benannt nach einem ziemlich kitischigen Song des Meisters, erzählt die wahre Geschichte eines aus einem Ehepaar bestehenden Neil-Diamond-Tribute-Duetts aus Milwaukee.