Ausstellung

Nazi-Kunst versus Moderne

Mehr Gegensatz geht kaum. Schon gar nicht in einem einzigen Ausstellungsraum. Und natürlich fragt man sich, ob es nun besonders taktvoll ist, eine Bronzeskulptur des 1943 in Majdanek ermordeten Otto Freundlich mit einer Monumentalplastik des Hitler-Günstlings Josef Thorak zu konfrontieren. Freundlichs Werke wurden im Kunstsäuberungswahn der Nationalsozialisten aus sämtlichen deutschen Museen entfernt. Seine verzerrend fotografierte Gipsfigur »Der neue Mensch« (1912) musste dazu 1937 für den Titel des Ausstellungsführers Entartete Kunst herhalten, während Thoraks »Herrenmenschen« auf der »Großen Deutschen Kunstausstellung« die Muskeln spielen ließen.

Man kann sich angenehmere, ja »korrektere« Nachbarschaften vorstellen, und man darf davon ausgehen, dass sich Otto Freundlich wie Max Beckmann geweigert hätte, fast Tête-à-Tête mit NS-Künstlern ausgestellt zu werden. Ganz davon abgesehen, dass mit Thorak und dem übereifrigen Reichskunstkammer-Präsidenten Adolf Ziegler Nazi-Künstler in einem öffentlichen Museum präsentiert werden.

entlarven Doch Originale sprechen bekanntlich für sich, ungefähr so, wie der O-Ton einen Redner immer noch am besten entlarvt. Auch deshalb sorgt die Ausstellung GegenKunst in Münchens Pinakothek der Moderne für wichtige Einsichten. Man darf das ganz wörtlich nehmen: Die Werke wirken für sich, gerade durch den Vergleich. Und sie schaffen untereinander eine Distanz, die sich in erster Linie aus den qualitativen Unterschieden speist. Von Augenhöhe kann also nicht die Rede sein.

Am deutlichsten wird das im Umkreis von Max Beckmanns Werk »Versuchung« (1936/37), einer hochkomplexen Auffächerung menschlichen Leids, albtraumhafter Abgründe und blinder Gewalt. Das Triptychon entging der Beschlagnahmung durch die Gestapo und konnte von Berlin ins holländische Exil gebracht werden, um schließlich im Juli 1938 in den Londoner New Burlington Galleries einen Höhepunkt in der Exhibition of Twentieth Century German Art zu bilden.

Die von Emigranten organisierte Ausstellung war eine ausdrückliche Protestaktion gegen die Münchner Femeschau »Entartete Kunst«. Und im Gegensatz zur gleichgeschalteten deutschen Presse, die seit geraumer Zeit gegen Beckmann hetzte, sahen die englischen Kunstkritiker und das in Scharen strömende Publikum in der »Versuchung« das Hauptwerk dieser Vorstellung moderner deutscher Kunst. Dessen Wucht trifft einen noch heute.

NS-Ästhetik Dagegen verblasst Zieglers Damen-Reigen »Die vier Elemente« (vor 1937) und stirbt bei näherem Betrachten bald den Tod der Belanglosigkeit. Gemessen am Anspruch des Ende 1936 zum obersten Kunstrichter des NS-Regimes beförderten Blumenmalers mag das dürftig sein. Aber der am Akademismus des 19. Jahrhunderts orientierte Ziegler fügt sich mit seinen biederen blonden Nackedeis ins Reinheitsideal der Nazis.

Das ist im Grunde nicht weit entfernt von Thoraks marmornen »Zwei Menschen« (1941). Er, der Heroe, hat den Kampf im Sinn, während sie rücklings zu ihm aufblickt und dabei wie in der rhythmischen Kraft-durch-Freude-Gymnastik ergeben die Arme um ihn legt. Geschlechterstereotype, leere Hüllen, gewaltig aufgeblasen durch falsches Pathos – Thorak war der richtige Mann, 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin seine entpersonalisierten Rassenideale auszustellen.

In Ausstellungssaal elf bilden die neusachlich angehauchten »Vier Elemente« und Thoraks hohle Titanen eine befremdende Gemeinschaft. Kurator Oliver Kase hat dabei jedoch auf eine direkte Konfrontation mit der »Gegenkunst« verzichtet. Otto Freundlichs abstrakte Plastik »Der Aufstieg« (1929) steht mit ihrer am Humanismus orientierten Utopie der Gleichheit in einigem Abstand zur braunen Kunst – und würde sie allein durch ihre Reflektiertheit leicht in den Schatten stellen.

Spannungsverhältnis Auch die Triptychen Beckmanns und Zieglers hängen sich nicht gegenüber, ein solcher »High Noon« wäre allzu plakativ. Und doch stellt diese Positionierung im Raum nicht wirklich zufrieden. Kann sie vermutlich auch nicht. Denn was wäre hier schon adäquat? In diesem seltsamen Spannungsverhältnis geht es nicht um eine künstlerische Auseinandersetzung, sondern auf der NS-Seite um ein menschenverachtendes Sein oder Nichtsein.

Insofern liefert Francis Bacons »Kreuzigung« (1965) den angemessenen Kommentar. Dieses dritte Triptychon der Schau verweist auf die brutalen Folgen des Faschismus. Geschundene Leiber, entstellte Körper dominieren ein Szenario, das an ein Schlachthaus erinnert. 1967 markiert dieser erste programmatische Ankauf des Galerie-Vereins (heute PIN.) für die Staatsgalerie moderner Kunst einen gleichwohl späten, von Auseinandersetzung geprägten Neuanfang nach dem Krieg.

Konsequenterweise gehört dazu auch die Beschäftigung mit einem unbequemen Erbe: 900 Werke aus dem Besitz der NSDAP gingen in den 50er-Jahren an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Sie im Depot wegzusperren, wäre keine Lösung. Ein kommentiertes Ausstellen im Kontext der von den Nazis geschmähten Moderne macht längst Sinn. Schon im Hinblick auf die Aufklärung kommender Generationen.

»Gegen Kunst. ›Entartete Kunst‹ – NS-Kunst« – Sammeln nach ‹45«. Pinakothek der Moderne, bis 31. Januar 2016

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