Klima

Nackt im kühlen Sand

So hatte des Talmud es nicht gemeint: eingebuddelte Strandurlauber Foto: imago

Klima

Nackt im kühlen Sand

Schlag› nach in der Tora: Biblische Tipps für heiße Tage

von Chaim Noll  20.07.2010 11:22 Uhr

Dieser Tage ist viel von Hitze die Rede – in Europa. Im Nahen Osten verliert man darüber kaum ein Wort, weil Temperaturen über dreißig Grad Celsius im Sommer eine Selbstverständlichkeit sind. Wer in Israel lebt, gewöhnt sich daran. Oder auch nicht: In Berlin habe ich einen russischen Juden getroffen, der es in Israel wegen der Hitze nicht ausgehalten hatte und deshalb nach Deutschland weitergewandert war. Viel geholfen hat es ihm nicht, wie sich spätestens in diesem Sommer herausstellt.

Die meisten hitzescheuen Israelis haben Klimaanlagen – zu Hause, im Auto, auf der Arbeitsstelle. Sie bewegen sich in Eile aus ihrer klimatisierten Wohnung in den gleichfalls wohltemperierten Wagen, von dort ins gut gekühlte Büro. Und zurück. Der Aufenthalt an frischer Luft wird vermieden und beschränkt sich auf hastiges Huschen von Tür zu Tür, möglichst im Schatten von Bäumen oder Mauern – weil ja frische Luft im Sommer auch immer heiße Luft ist. Nur an freien Tagen, im Urlaub, am Schabbat setzt man sich der Sonne aus. Am Strand zum Beispiel. Da kann es dann gar nicht heiß und sonnig genug sein.

sonne Vielleicht stammt die Scheu, sich an einem Arbeitstag der Sonne auszusetzen, aus uralter Erfahrung. Eine der ersten Erwähnungen des hebräischen Wortes chom, Hitze, findet sich in der berühmten Geschichte im Ersten Buch Moses 18,1, in der Abraham »drei Männer« erscheinen, als er am offenen Eingang seines Zeltes sitzt, und zwar »ki chom ha jom« – in der Hitze des Tages. Was auch heute noch heißt: um Mittag herum. Abraham ist verwirrt, er zweifelt daran, dass die drei Männer vor seinen vom grellen Sonnenlicht geblendeten Augen wirklich Menschen sind – welcher normale Sterbliche würde im Nahen Osten um diese Tageszeit Besuch machen? Gastfreundlich, wie Abraham ist, lässt er ihnen aber Wasser bringen und offeriert den Schatten seiner Bäume. Nur allmählich dämmert dem Patriarchen, dass die drei, die so unverhofft in der Sonnenglut aufgetaucht sind, keine gewöhnlichen Geschöpfe, sondern höhere Wesen sind, nämlich der Gott, den anzubeten er sich entschlossen hat, und zwei seiner Engel.

Also Hitze als Grund, die Besinnung zu verlieren, wenigstens vorübergehend. Chom ist auch die hebräische Vokabel für Fieber. Der Zustand, in den uns innere oder äußere Hitze versetzt, gilt in der Überlieferung der Menschheit als bedenklich, kühlem Nachdenken abträglich, unbedachte Handlungen auslösend. Einen schlecht temperierten Menschen nennen wir auf Deutsch einen Hitzkopf. Hebräisch heißt er »chamum-moach«, wörtlich »erhitztes Gehirn«. Auch das Wort für Feuerwaffe liegt hier in der Nähe, »cham-neschek«.

Wirkungen heißer Luft können noch weiter gehen, daher gibt es ein weiteres althebräisches Wort für Hitze oder Glut, »chorev«, wie es Jakob im Ersten Buch Moses 31,40 verwendet, um seinen Schwiegervater Laban der todbringenden Ausbeutung beim Schafehüten in der Steppe zu beschuldigen: »Haiti va jom achalani chorev« – »am Tage verzehrte mich die Gluthitze«, wörtlich »aß mich die Hitze auf«. Auch über die Israeliten, die in Ägypten Fronarbeit leisten mussten, wird in verschiedenen Midraschim festgehalten, dass die Gluthitze ihre ohnehin qualvolle Arbeit bis zur Unerträglichkeit erschwerte.

Genau genommen bezeichnet »charev« den Zustand durch Hitze erfolgter Austrocknung (oder, wie man heute sagt, Dehydrierung), daher ist »charavah« ein altes Wort für Wüste, wörtlich etwa »Trockenland«. Chorev heißt auch der Berg, an dem, unter Feuergespei und heißem Gewölk, die Kinder Israels ihr Gesetz empfingen, die göttliche Weisung, die Tora. Außer Moses durfte niemand hinaufsteigen – die Ausstrahlung des Feuerberges, seiner heißen, ungeschminkten Gotteswahrheit, wäre für alle anderen tödlich gewesen.

Wasser Wasser und Schatten lindern die Wirkung der sengenden Sonnenstrahlen, deshalb ist von ihnen in den biblischen Büchern mindestens ebenso oft die Rede wie von der Hitze selbst. Die in die Wüste gesandte Hagar wird mitsamt Sohn Ismael von Gott gerettet, indem sie mitten in der hitzeflimmernden Einöde plötzlich einen Brunnen erblickt. Auf der vierzig Jahre währenden Wüstenwanderung der Israeliten ist immer wieder von Wassermangel und unverhoffter Errettung die Rede, etwa wenn Moses – Buch Exodus, 17,1 ff. – »Wasser aus dem Felsen« schlägt oder ein ungenießbares Rinnsal in Trinkwasser verwandelt. Solches »Wasser aus dem Felsen« ist in der Negevwüste im Süden Israels auch heute immer wieder zu finden und wird von Geologen mit der Schichtung verschiedener Bodensubstanzen erklärt, die Wasser abweisen oder speichern.

Schatten Auch Schatten kann lebensrettend sein. Der Prophet Elias legt sich erschöpft in das dunkle Dickicht eines Ginsterstrauches, nachdem er auf seiner Flucht vor einem Mordkomplott der Königin Jesebel eine Tagereise südlich von Beer Sheva in die Wüste geeilt war, vermutlich in einem durch Erhitzung exaltierten Zustand, wie das Erste Buch Könige 19,4 erzählt. Erwachend, abgekühlt und beruhigt, findet er Wasser und einen in Asche gebackenen Kuchen – Symbole dafür, wie göttliche Hilfe dem zuteil wird, der klaren Kopfes seine Lage überblickt. Gleichfalls himmlische Rettung erfährt der Prophet Jonah, dem sein Schöpfer ein Schatten spendendes, »kikaion« genanntes Gesträuch wachsen lässt, das jedoch am nächsten Tag wieder verdorrt, sodass Jonah abrupt die Wirkung der Gluthitze spürt und – ähnlich Elias – lieber sterben möchte als sie fürderhin zu erleiden. Doch auch er übersteht den Hitzeschock – ein erschütterndes, wenngleich glücklich endendes Erlebnis. Von Rabbi Schimeon bar Jochai berichtet der Talmud (Traktat Shabat, 33/34), er sei, verfolgt von römischen Soldaten, mit seinem Sohn in eine Höhle geflüchtet, wo die beiden gelehrten Männer im Schatten gesessen und den ganzen Tag die Tora studiert hätten, wozu sie sich nackt in ein mit Sand gefülltes Erdloch setzten. Das hinderte sie an unnötiger Bewegung und schonte zugleich, wie der Talmud betont, ihre Kleider.

Was also bringt Rettung in der Hitze? Sich langsam bewegen, Aufregung meiden, Bewaffneten aus dem Weg gehen. Sich stattdessen mit der Tora – oder einem anderen guten Buch – in Ruhe, geistige Betrachtung und Schatten zurückziehen. Statt einer Höhle kann es auch die städtische Wohnung mit verhängten Fenstern sein, statt der Kuhle mit kühlendem Sand die heimische Badewanne voll kaltem Wasser.

Kommentar

Politisches Versagen: Der Israelhasser Benjamin Idriz soll den Thomas-Dehler-Preis erhalten

Wer wie der Imam den 7. Oktober für seine Diffamierung des jüdischen Staates und der jüdischen Gemeinschaft instrumentalisiert, ist eines Preises unwürdig

von Saba Farzan  28.10.2025

Fernsehen

Selbstermächtigung oder Männerfantasie?  

Eine neue Arte-Doku stellt den Skandalroman »Belle de jour« des jüdischen Schriftstellers Joseph Kessel auf den Prüfstand  

von Manfred Riepe  27.10.2025

Stuttgart

»Mitten dabei!«: Jüdische Kulturwochen beginnen

Konzerte, Diskussionen, Lesungen und Begegnungen stehen auf dem vielfältigen Programm

 27.10.2025

Biografie

Vom Suchen und Ankommen

Die Journalistin hat ein Buch über Traumata, Resilienz und jüdische Identität geschrieben. Ein Auszug aus ihrer ungewöhnlichen Entdeckungsreise

von Sarah Cohen-Fantl  26.10.2025

Alina Gromova

»Jedes Museum ist politisch«

Die neue Direktorin des Jüdischen Museums München über ihre Pläne

von Katrin Diehl  26.10.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Herbstkaffee – und auf einmal ist alles so »ejn baʼaja«

von Nicole Dreyfus  26.10.2025

Auszug

»Ein Neuanfang ist möglich«

Der israelische Schriftsteller Eshkol Nevo führt sein Kriegstagebuch trotz Waffenstillstand weiter

von Eshkol Nevo  26.10.2025

Geheimnisse und Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  26.10.2025

Aufgegabelt

Couscous mit Gemüse

Rezept der Woche

von Katrin Richter  24.10.2025