Tagung

Nach der Befreiung

Vor 70 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Anlässlich dieses Jahrestags veranstaltete die Bundeszentrale für politische Bildung gemeinsam mit der Humboldt-Universität zu Berlin und der Europa-Universität Flensburg die 5. Internationale Konferenz zur Holocaustforschung. Unter dem Motto »Danach – der Holocaust als Erfahrungsgeschichte 1945– 1949« diskutierten internationale Historiker und Soziologen vom 25. bis zum 27. Januar in Berlin darüber, welchen Einfluss die Jahre von 1945 bis 1949 auf unser heutiges Verständnis des Holocausts haben.

achsen
Den Anfang machte am Sonntag Dan Diner (Leipzig/Jerusalem) mit seinem Vortrag »Zwischenzeit – Über jüdische und andere Konstellationen«. Er skizzierte die Prozesse, die zur Gründung des Staates Israel führten. Laut Diner waren dies zwei »Achsen«, »Ost-West« und »Nord-Süd«.

Als »Ost-West-Achse« bezeichnete Diner vornehmlich die Flucht aus dem Ostblock nach Westeuropa. Die Kollektivierung des Eigentums, die Vereinheitlichung der Gesellschaft durch die Ideologie der Partei und der aufkeimende Nationalismus, sowohl in der Sowjetunion als auch in den neuen Ländern des Ostblocks boten keinen Platz mehr für die jüdische Diaspora.

Die Flüchtlinge aus dem Osten kamen in Lagern für »Displaced Persons« unter und trafen dort auf Schoa-Überlebende. Durch das Aufeinandertreffen verschiedener Teile der Diaspora in den Lagern erlebten sich die Flüchtlinge erstmals als Kollektiv. Sie begriffen, so Diner »dass ihre universellen Menschenrechte nur durch ein Völkerrecht geschützt werden können«. Die Juden in den Lagern wehrten sich gegen eine Repatriierung gen Osten und forderten stattdessen ein eigenes Heimatland, das sie vor Verfolgung schützen konnte. Damit wurde, so Diner, »aus dem liturgischen Begriff des jüdischen Volkes ein nationaler«.

Eine zweite Achse machte Diner zwischen Nord und Süd aus. Exemplarisch sei hierfür das »Scheiteljahr 1947«. In diesem Jahr verkündete der britische Premierminister Clement Attlee den Rückzug Großbritanniens aus Burma.

Für Diner markiert dies »den Beginn des Endes der Kolonialzeit«, denn nur unwesentlich später wurde die indische Unabhängigkeit verkündet. Ein Jahr später wurde, ebenfalls auf einst britischem Territorium, der Staat Israel gegründet. Laut Diner hat der Holocaust »alle Existenzvorstellungen jüdischen Lebens revolutioniert«: Nach 1945 lebten Juden als Volk »nicht mehr textlich, sondern territorial«.

DP-Lager Die anschließende Podiumsdiskussion zum Thema »Displaced Persons – Flüchtlinge – Zwangsmigranten« wurde von Harald Welzer (Flensburg) mit einigen Betrachtungen zum jüdischen Selbstverständnis eingeleitet. Man müsse sich fragen, so der Soziologe, »welchen Einfluss die unmittelbaren Erfahrungen nach dem Kriegsende auf die Erinnerungen der Überlebenden haben«, so Welzer. Michael Brenner (München) veranschaulichte die Erfahrungen der Überlebenden. Er erzählte von Misstrauen und Animositäten zwischen Deutschen und Juden und fragte sich, »ob wir nicht wieder in eine Situation kommen, in der Juden nicht mehr in Europa leben können?«.

Im Anschluss wurden unter der Moderation von Susanne Beer (Berlin) Projekte zur pädagogischen Vermittlung des Holocaust in Schulen und interkulturellen Bildungseinrichtungen vorgestellt, die im Rahmen eines internationalen Wettbewerbs ausgewählt wurden.

Über »Erfahrungen jüdischer Überlebender. Aus den DP-Lagern nach Amerika« referierte am Montag Françoise S. Ouzan (Tel Aviv). Weitere Vorträge und Podien befassten sich mit der politischen, juristischen, kulturellen und wissenschaftlichen Verarbeitung des Holocaust unmittelbar nach 1945. Die Konferenz endete am Dienstag mit einer Übertragung der Gedenkstunde des Bundestags für die Opfer des Nationalsozialismus und vertiefenden Workshops zu den diversen Vortragsthemen.

Leo Baeck Institut

»Die Wissenschaft ist keine Oase«

Michael Brenner über das vor 70 Jahren gegründete Archiv der Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, freie Forschung und bedrohte Demokratie

von Ayala Goldmann  15.06.2025

Kunst

Öffnet die Herzen!

Die Israelin Bracha Lichtenberg Ettinger fordert mit einer intensiven Einzelschau in Düsseldorf die Besucher heraus

von Eugen El  15.06.2025

Interview

Susan Sideropoulos über Styling-Shows und Schabbat

GZSZ-Star Susan Sideropoulos hat im ZDF die neue Makeover-Show »That’s My Style«. Nur wenige wissen jedoch, wie engagiert die Enkelin jüdischer NS-Opfer gesellschaftspolitisch ist

von Jan Freitag  13.06.2025

Aufgegabelt

Pastrami-Sandwich

Rezepte und Leckeres

 12.06.2025

Streaming

Doppelte Portion Zucker

Mit »Kugel« ist den Machern der Kultserie »Shtisel« ein vielschichtiges Prequel gelungen

von Nicole Dreyfus  12.06.2025

TV-Tipp

Das Schweigen hinter dem Schweinderl

»Robert Lembke - Wer bin ich« ist ein kluger Film über Verdrängung, Volksbildung und das Schweigen einer TV-Legende über die eigene Vergangenheit. Nur Günther Jauch stört ein wenig

von Steffen Grimberg  12.06.2025

Kulturkolumne

Annemarie, Napoleon und ich

Gute Bücher wachsen mit, hat mein Großvater immer gesagt. Warum »Desirée« von Annemarie Selinko uns alle überleben wird

von Sophie Albers Ben Chamo  12.06.2025

Aufgegabelt

Himbeer-Sorbet mit Zaatar

Rezepte und Leckeres

 12.06.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  12.06.2025