Musik

Multikulti made in New York

Auf den ersten Blick wirkt Oran Etkin wie ein typischer Vertreter der Goldenen Generation israelischer Jazzmusiker, die derzeit für viel frischen Wind in der internationalen Szene sorgen. Doch der in den USA lebende Klarinettist und Saxofonist setzt sich musikalisch deutlich von seinen Landsleuten ab.

Schon sein Debütalbum Kelenia spielte Etkin nicht mit Israelis, sondern mit afrikanischen Musikern ein, unter ihnen der westafrikanische Gitarrist Lionel Loueke. Loueke ist auch bei Etkins aktuellem Album Gathering Light mit von der Partie, wo er und der »Jazz Passenger«-Veteran Curtis Fowlkes an der Posaune Etkins Tourtrio um den Bassisten Ben Allison und den Schlagzeuger Nasheet Waits ergänzt.

improvisation Zu dieser kosmopolitischen Besetzung passt auch das musikalische Programm des Albums. Von den zwölf Songs verweisen nur zwei unmittelbar auf Etkins Geburtsland Israel: der jiddische Klassiker »Der Gasn Nign« und der israelische Popsong »Shirim Ad Kan« (Lieder bis jetzt) von Nachum Heiman, den in Israel jeder kennt. In diesem todtraurigen Lied geht es um einen Vater, der seinen geliebten Sohn verloren hat.

Ansonsten hat Etkin sich bei dem improvisatorischen Zusammenspiel auf der Basis von Blues, Folk- und Popsongs Musik aus allen Teilen der Welt nutzbar gemacht. Das ist sein Arbeitsprinzip, bei dem er gelegentlich handfeste Überraschungen erlebt: »Als ich einmal in Indonesien tourte, wurde ich eingeladen, mit lokalen Musikern und ihren Bambusinstrumenten zu spielen. Daraus wurde der Song ›Gambang Suling‹. Ein paar Wochen später war ich dann in Ghana, und die Leute dort insistierten, dass es sich dabei um einen ghanaischen Song handele. Ich schätze mal, dass der ghanaische Rhythmus irgendwie seinen Weg in die indonesische Musik gefunden hat.«

Multikulturalität ist Bestandteil von Oran Etkins Biografie: »Ich wurde in Israel geboren, doch ich wuchs in Boston auf. Bei uns zu Hause war Israel, es wurde Hebräisch gesprochen. Und in der Schule war dann Amerika.« Das galt auch musikalisch: »Ich wurde früh vom Jazz geprägt. Zu Hause aber hörten meine Eltern israelische und klassische Musik. Später bin ich dann tief in die Klezmerwelt eingedrungen. Wenn ich aus heutiger Sicht darüber nachdenke, hat dieses Umfeld die Art und Weise vorgegeben, wie ich Musik begreife.«

kinderprojekt
Etkin begann als Fünfjähriger, Klavier zu spielen, drei Jahre später fing er mit der Geige an, mit neun spielte er Saxofon und mit 13 Jahren Klarinette. Mit 14 schrieb er sich zunächst an der Brandeis University und dann an der Manhattan School of Music ein. Zu seinen Lehrern zählen George Garzone, Dave Liebman und Dave Krakauer, aber vor allem Yusef Lateef, den Etkin als wichtigste Inspirationsquelle nennt.

»An erster Stelle war er eine wunderbare Seele von einem Menschen, ein so sanftmütiger und offener Mensch. Er hat mir viel über die Wichtigkeit des Blues beigebracht und über die Offenheit gegenüber anderen Kulturen. Er war einer der Ersten, die fremde Musiktraditionen für den Jazz vereinnahmt haben – sowohl aus Afrika als auch aus Asien. Bei ihm zu studieren hat meine Perspektive auf Musik und Klang verändert.«

Zu Oran Etkins Musikkosmos gehört auch sein erfolgreiches »Timbalooloo«-Projekt, eine Art musikalischer Früherziehungskurs, zu dem Hollywood-Stars wie Harvey Keitel, Naomi Watts oder Liev Schreiber ihre Kinder anmelden. Auf der dazugehörigen CD Wake Up, Clarinet! erklärt der Jazzer mit einfachen Bildern, wie Musik funktioniert. Eine kleine Klarinette steht dabei im Mittelpunkt.

Und was will eine kleine Klarinette tun, wenn sie gerade aufgewacht ist? Natürlich tanzen! Dem Charme des Songs »All I really want to do is dance« kann man sich auch als Erwachsener kaum entziehen. Schön, dass das Stück als Instrumentalversion auch auf Gathering Light zu hören ist: Ganz ohne Worte, aber eminent tanzbar.

Oran Etkins Alben »Kelenia« (2009), »Wake Up, Clarinet!« (2010) und »Gathering Light« (2014) sind alle bei Motema Music/Membran erschienen.

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert