Science-Fiction

Mr. Spock in Germany

Leonard Nimoy (1931–2015) als Erster Offizier Mr. Spock in »Star Trek – der Film« 1979 Foto: imago

Star Trek war auch in Deutschland Kult, wo die Science-Fiction-Saga unter dem Titel Raumschiff Enterprise im Fernsehen und in den Kinos lief.

Vor allem der stets logisch auftretende Erste Offizier Mr. Spock alias Leonard Nimoy hatte Hunderttausende deutscher Fans, die ihr Idol bei jeder passenden Gelegenheit mit seinem Vulkaniergruß »Live long and prosper!« zitierten (in der Regel im originalen Englisch – die deutschen Synchronübersetzungen »Lebe lang und in Frieden«, »Lebe lang und erfolgreich« und »Langes Leben und Frieden« kamen doch etwas holprig daher).

hass Es war allerdings jahrzehntelang eine unerwiderte Liebe. Zu Deutschland hatte Leonard Nimoy ein ausgesprochen negatives Verhältnis. »Ich wuchs mit Hass auf Deutschland auf. Ich hasste ihr Land. Ich hasste ihre Sprache«, erinnerte er sich 1999 in einem Artikel für die amerikanische Zeitschrift »Reform Judaism«. Die Nimoys waren jüdische Immigranten aus der Ukraine. Leonard, Jahrgang 1931, wurde groß in der Zeit der Schoa. Die meisten seiner in Europa verbliebenen Verwandten fielen den Deutschen zum Opfer.

Schon deshalb war es für den Schauspieler eine Selbstverständlichkeit, 1968 abzusagen, als das deutsche Fernsehen ihn zu einer Show einladen wollte. Zumal Nimoy dort in voller Spock-Montur einschließlich der spitzen Vulkanierohren auftreten sollte, was für ihn »nach Kitsch roch«. Der Befehlston, in dem die Einladung erfolgte (»Sie werden kommen und die komischen Ohren aufsetzen!«) tat ein Übriges.

16 Jahre später, 1984, zwang Leonard Nimoy sich dann doch zu einem ersten Besuch in der Bundesrepublik. Dort lief gerade Star Trek III: Auf der Suche nach Mr. Spock in den Kinos an, bei dem Nimoy auch Regie geführt hatte. Als PR-Maßnahme ließ ihn Paramount Pictures nach München einfliegen, um den deutschen Kinostart zu begleiten. Zum Besuchsprogramm gehörte auch eine Stadtrundfahrt, bei der eine junge Führerin den amerikanischen Gästen das traurige Schicksal von im Krieg durch alliierte Bombenangriffe zerstörten Häuser erzählte. »Ihre Trauer um Steine und Mörtel machten mich krank«, erinnerte sich Nimoy 14 Jahre danach in »Reform Judaism«. Es war für ihn »ein Beweis, dass meine Gefühle zu Recht bestanden«.

rabbiner
Weitere Deutschlandbesuche kamen danach für Leonard Nimoy nicht infrage. Zwar wurde er immer wieder zu Star-Trek-Fantreffen in die Bundesrepublik eingeladen. Doch die Briefe landeten jahrelang unbeantwortet im Papierkorb.

Es war der Rabbiner seiner Synagoge Temple Israel in Hollywood, John Rosove, der den Schauspieler schließlich überredete, seinen persönlichen Deutschlandboykott zu beenden. »Wissen deine jungen deutschen Fans eigentlich, dass du Jude bist?«, fragte der Rabbiner. »Und wissen sie, dass der Vulkaniergruß jüdischen Ursprungs ist?«

Die erhobene, zwischen Mittel- und Ringfinger gespreizte Handfläche hatte Nimoy 1967 in der ersten Folge der zweiten Staffel von Star Trek »Amok Time« eingeführt. Er kannte die Geste aus den Gottesdiensten, die er als Kind besucht hatte. Dort symbolisiert die gespreizte Handfläche beim Priestersegen »Birkat Kohanim« den hebräischen Buchstaben Schin, der für das Wort »Schaddai« (der Allmächtige) steht.

In einem Oral-History-Projekt des National Yiddish Book Center hat Leonard Nimoy 2013 berichtet, wie er als Kind in einer Bostoner Synagoge die Geste erstmals erlebte: »Fünf oder sechs Männer steigen auf die Bima und stehen der Gemeinde gegenüber. Sie ziehen ihre Tallitot über die Köpfe und beginnen einen Gesang. Mein Vater sagt zu mir: ›Schau nicht hin!‹ Alle Beter haben ihre Augen mit den Händen bedeckt oder den Tallit übers Gesicht gezogen. Ich linse heimlich und sehe, dass die Männer auf der Bima ihre Hände gespreizt ausgestreckt halten. Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber der Anblick und der Klang sind magisch.«

Das, so Rabbiner Rosove, solle Nimoy in Deutschland erzählen. Es könne vielleicht das Verhältnis mancher junger Menschen dort zu Juden grundsätzlich verändern.

herzlich Und so reiste Leonard Nimoy am 30. April 1999 nach Bonn zu einem deutschlandweiten Star-Trek-Fantreffen. 3000 enthusiastische Teilnehmer begrüßten den Spock-Darsteller bei seinem Auftritt. »Minutenlanger tosender Beifall und Jubel, Ovationen, Pfiffe, rhythmisches Klatschen. Ich stand wie gelähmt auf der Bühne«, berichtete Nimoy in »Reform Judaism« einige Wochen nach dem Ereignis. »Nach einiger Zeit legte sich der Beifallssturm. Der Saal war jetzt fast still. Ich schaute das Publikum einen Moment an, dann sagte ich: ›You are so human‹.«

Der typische Spock-Satz war natürlich ein Insiderwitz für die Fangemeinde. Aber in Bonn hatte er noch eine tiefere Dimension. Leonard Nimoy erlebte zu seiner eigenen Überraschung Deutsche, die völlig anders waren, als er sie sich vorgestellt hatte. Als der Schauspieler von den Ursprüngen des Vulkaniergrußes und seiner eigenen jüdischen Familiengeschichte erzählte, »waren die Reaktionen herzlich und ungeheuer wohlwollend.« Nimoy war, wie er schrieb, »zu Tränen gerührt«.

Zum Schluss des Fantreffens betrat er noch einmal die Bühne, um sich zu verabschieden: »Ich nehme Erinnerungen von hier mit, die mich lange begleiten werden. Live long and prosper!«

Vergangene Woche ist Leonard Nimoy 83-jährig in Los Angeles gestorben. Alav haschalom – möge er in Frieden ruhen.

Geschichte

Derrick, der Kommissar von der Waffen-SS

Horst Tappert wurde in der Bundesrepublik als TV-Inspektor Derrick gefeiert - bis ein erhebliches Problem in seinem Lebenslauf bekannt wird

von Thomas Gehringer  11.10.2024

Analyse

Die neuen alten Grenzen der Solidarität

Erstaunt über den aktuellen Judenhass? Lesen Sie doch mal Jean Amérys 60 Jahre alte Texte

von Leeor Engländer  11.10.2024

Sachbuch

Deutschland und Israel nach dem 7. Oktober

Was ist mit den gemäßigten und liberalen Israelis seit dem 7. Oktober? Fania Oz-Salzberger geht dem in ihrem neuen Buch nach. Und streift dabei durch die Geschichte Israels bis hin zum Hamas-Überfall vor einem Jahr

von Leticia Witte  11.10.2024

Medien

Künftig weniger Folgen von »Hart aber fair«

Bei der Talkshow kehrt weiterhin keine Ruhe ein. Die ARD will die Sendung seltener ausstrahlen. Gastgeber Louis Klamroth soll stattdessen neue Formate für die Mediathek entwickeln

von Christof Bock  10.10.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  10.10.2024

Berlin

Neues Schiedsgericht soll Verfahren für Rückgabe von Nazi-Raubgut verbessern

Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände haben sich auf eine neue Instanz im Verfahren zur Rückgabe von NS-Raubgut geeinigt. Zentral ist dabei die »einseitige Anrufbarkeit«. Was steckt dahinter?

von Ann-Marie Utz  10.10.2024

Porträt

Nobelpreis für Literatur: Dieser jüdische Schriftsteller gilt als großer Favorit

Eine Prognose von Maria Ossowski

von Maria Ossowski  10.10.2024 Aktualisiert

Kolumne

Sicherheit, was für ein absurdes Konzept!

Warum ich in diesen »schrecklichen Tagen« zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur an Anemonen denke

von Laura Cazés  09.10.2024

Geschichte

Aufstand der Verzweifelten

Am 7. Oktober 1944 erhob sich das Sonderkommando im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gegen die SS

von Stephan Lehnstaedt  09.10.2024