Berlin

Monster oder Weltenretter?

»Golem«-Skulptur aus hebräischen Holzbuchstaben, die der Künstler Joshua Abarbanel extra für die Ausstellung geschaffen hat. Foto: Gregor Zielke

Er sollte die Juden im Prager Ghetto vor den nach antisemitischen Pogromen lechzenden Christen schützen. Doch irgendwann geriet der von Rabbi Judah Loew aus einem Klumpen Lehm geschaffene Kunstmensch außer Kontrolle – und brannte das Prager Ghetto samt seiner Bewohner nieder.

Der Traum vom Menschen, der selbst ein Wesen kreiert, fasziniert bis heute. Es gibt nicht viele Erzählungen aus dem 16. Jahrhundert, die noch heute so populär sind wie der Mythos der jüdischen Legendenfigur Golem. Inwieweit sich auch zeitgenössische Künstler, Schriftsteller und Regisseure in ihren Werken mit der Kreatur beschäftigt haben, zeigt das Jüdische Museum Berlin in seiner neuen eindrucksvollen Sonderausstellung Golem.

Bibel »Der Golem hat eine lange Karriere hinter sich«, betonte Museumsdirektor Peter Schäfer vergangene Woche bei der Vorstellung der Schau. »Sie beginnt in der Bibel und führt bis in die Gegenwart.« Bereits als Professor an der Universität Princeton in den USA hat er zum Golem publiziert. Mit der Ausstellung erfülle sich für ihn nun ein persönlicher Traum, so der Judaist.

120 Exponate auf rund 1000 Quadratmeter veranschaulichen, wie sich Künstler bis in die Gegenwart immer wieder von der Figur des Golems inspirieren lassen. Eines der jüngsten Objekte ist ein weißes Basecap mit der Aufschrift »Make America Great Again«. US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump verwendet es derzeit in seiner Wahlkampagne. Die Pointe: Kommentatoren sehen den Republikaner als zeitgenössischen Golem, als vermeintlichen Retter, der außer Kontrolle zu geraten droht.

»Golem« ist Hebräisch und bedeutet »unbelebte Materie«. Geformt aus Staub und Erde, so will es die Überlieferung, wird der Golem mittels ritueller Beschwörung und einer hebräischen Buchstabenkombination zum Leben erweckt. In der Mitte des Themenraumes zur jüdischen Mystik liegt eine überlebensgroße Golem-Skulptur, bedeckt mit den hebräischen Holzbuchstaben Mem und Tav. Das Aleph, das für Leben steht, hängt ihm lose um den Hals. Der Künstler Joshua Abarbanel hat das Kunstwerk eigens für die Sonderausstellung geschaffen.

Stummfilm Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der 1915 veröffentlichte Fantasyroman Der Golem von Gustav Meyrink einen regelrechten Boom ausgelöst. Das Buch, das zum Klassiker wurde, greift mystische und kabbalistische Elemente der Legende auf. Im selben Jahr adaptierte Paul Wegener den Stoff erstmals für den Film. Von insgesamt drei Stummfilmen ist nur der letzte erhalten geblieben: Der Golem, wie er in die Welt kam aus dem Jahr 1920 – ein Meisterwerk, auch in Bezug auf die Arbeit des Architekten Hans Poelzig, der für das mythische Prager Ghetto expressionistische Bühnenbilder baute.

Die zerstörerische Kraft des Golems wird mit dem Aufkommen des Faschismus zum beherrschenden Thema: Die als Heilsbringer vom Menschen geschaffene Figur gerät wie damals im Prager Ghetto außer Kontrolle und wird zur Bedrohung für ihren Schöpfer. Diese Lesart setzt sich auch nach 1945 fort, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl lässt die Metapher vom Golem für die Umkehrung und Zerstörung der Schöpfung wiederaufleben. Vom Roboter über Cyborgs bis zu Klonen ist die Utopie von der Schaffung des perfekten Menschen bis heute ungebrochen.

ebenbild Die im Judentum verwurzelte Denktradition, wonach der Mensch nach Gottes Ebenbild geformt ist, versinnbildlicht die Fotoserie von Yves Gellie mit Einblicken in Robotik-Werkstätten in Japan, die das Gruseln lehren: Da sitzt der Schöpfer eines Roboters neben seinem fast identischen Androiden, einem Golem, der anstatt aus Lehm aus Hardware besteht. Zum Leben erweckt wird er nicht durch Mystik, sondern durch Software und Strom.

Der Golem lebt, so die Botschaft der Ausstellung im Jüdischen Museum, ob als Monster oder Weltenretter, in immer wieder neuer Gestalt.

»Golem«. Jüdisches Museum Berlin, Bis zum 29. Januar 2017

Medien

Leon de Winter wird Kolumnist bei der »Welt«

Bekannt wurde er vor mehr als 30 Jahren mit Romanen wie »Hoffmanns Hunger«. Jetzt will der niederländische Autor Leon de Winter in Deutschland vermehrt als Kolumnist von sich hören lassen

von Christoph Driessen  29.04.2025

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  29.04.2025

Fernsehen

»Mord auf dem Inka-Pfad«: War der israelische Ehemann der Täter?

Es ist einer der ungewöhnlichsten Fälle der deutschen Kriminalgeschichte. Die ARD packt das Geschehen in einen sehenswerten True-Crime-Vierteiler

von Ute Wessels  29.04.2025

Berlin

Antisemitismusbeauftragter für alle Hochschulen soll kommen

Details würden derzeit noch im Senat besprochen, sagte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra

 29.04.2025

Jerusalem

Seltenes antikes Steinkapitell wird in Israel ausgestellt

Ein Fund aus dem Jahr 2020 gibt israelischen Archäologen Rätsel auf. Die Besonderheit des Steinkapitells aus römischer Zeit: Es ist mit einem mehrarmigen Leuchter - im Judentum Menorah genannt - verziert

 29.04.2025

Berlin

Jüdisches Museum erforscht Audio-Archiv von »Shoah«-Regisseur

Claude Lanzmann hat mit seiner epochalen Dokumentation »Shoah« Geschichte geschrieben. Das Jüdische Museum Berlin nimmt ein Doppeljubiläum zum Anlass, um das umfangreiche Recherchematerial des Regisseurs zu erschließen

von Alexander Riedel  29.04.2025

Köln

»Charlie Hebdo«-Überlebender stellt Comic zu NS-Raubkunst vor

»Zwei Halbakte« heißt ein 1919 entstandenes Gemälde von Otto Mueller. Die Geschichte des Kunstwerks hat der französische Zeichner Luz als Graphic Novel aufgearbeitet. Mit teils sehr persönlichen Zugängen

von Joachim Heinz  28.04.2025

Berlin

»Eine Zierde der Stadt«

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum im denkmalgeschützten Gebäude der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte eingeweiht

 28.04.2025

Paris

»Bambi«-Neuverfilmung: Nah an Felix Saltens Original

Ganz ohne Spezialeffekte und Animation: In Michel Fesslers »Bambi«-Neuauflage stehen echte Tiere vor der Kamera. Das Buch wurde einst von den Nazis verboten

von Sabine Glaubitz  28.04.2025