Raumfahrt

Mondflug mit Zohar

Fünfzig Jahre nach der legendä­ren Apollo-Mission hat die NASA in diesen Tagen eine neue unbemannte Mondrakete ins All geschickt. Die Artemis-Mission, benannt nach dem mythischen Zwilling Apollos in der Antike, versucht, an die enthusiastischen Zeiten der Raumfahrt anzuschließen. Die 98 Meter lange Schwerlastrakete SLS ist die stärkste, die die NASA je gebaut hat. Der Start der Rakete, mehrfach verschoben, unter anderem wegen Hurrikan Ian im September, markiert eine neue Phase der Raumfahrt.

Es geht um die Erkundung von längeren Aufenthalten von Menschen auf dem Mond und anderen Planeten. Aufsehenerregend bei dieser Mission sind zwei vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelte »weibliche« Testpuppen an Bord des von der Rakete transportierten Raumschiffs Orion: die mit einer speziellen, von dem israelischen Unternehmen StemRad hergestellten Strahlenschutzweste eingehüllte Zohar, für die eigens ein israelischer Pass ausgestellt worden ist, und ein weiterer Dummy, die »ungeschützt« reisende Phantomfigur Helga.

Strahlung Das in Tel Aviv und Tampa/Florida ansässige israelische Unternehmen StemRad ist ein Pionier auf dem Feld der Erforschung von Materialien, die Schutz gegen aggressive radioaktive Strahlung bieten. Ursprünglich hatte sich die Firma nach der Reaktorkatastrophe 2011 im japanischen Fukushima auf Anzüge für Betroffene in verstrahlten Gebieten konzentriert, später kam dann das Interesse an der Raumfahrt hinzu.

Im Inneren der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt entwickelten speziellen Testaustronautinnen wurden über 5600 passive Detektoren sowie 16 aktive Detektoren installiert, die die Strahlung während des unbemannten Flugs messen. Diese Daten wiederum sind entscheidend für den Test der Strahlenweste des israelischen Unternehmens.

Im All herrschen extreme, für Menschen lebensfeindliche Bedingungen. Für Astronauten stellt das eine permanente Bedrohung dar. »Die Risiken im Weltraum liegen für Astronauten in den Auswirkungen der Schwerelosigkeit, den psychologischen Aspekten und vor allem in den möglichen Langzeitschäden durch die galaktische kosmische Strahlung sowie den Kurzzeitstrahlungseffekten durch ein solares Teilchenereignis«, beschreibt Thomas Berger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt die Gefahren in einem Interview.

phantomkörper Daher wurden die Körper von Zohar und Helga als weibliche Körper nachgebaut, inklusive Fortpflanzungsorganen. Ebenso finden sich Knochen aus Kunststoff in unterschiedlicher Dichte in den Phantomkörpern.

Ein Grund für die Konstruktion femininer Matroschkas, wie solche Puppen in der Raumfahrtforschung genannt werden, ist schlichtweg der, dass immer mehr weibliche Astronautinnen ins All aufbrechen. Die Forscher wollen verstehen, wie die Strahlung auf dem Weg zum Mond auf den Körper einwirkt und wie groß die Risiken für die Gesundheit einer realen Mannschaft sind.

Die 95 Zentimeter lange Zohar trägt daher zusätzlich eine speziell für den Flug entwickelte Strahlenschutzweste mit dem Namen AstroRad. So wird man später bei der Auswertung der Daten sehen können, wie stark die Weste sie und ihre künstlichen Organe vor der intensiven Strahlung geschützt hat.

Meilenstein Der Geschäftsführer von StemRad, Oren Milstein, ist überzeugt, dass die Weste Zohars, vor allem das Material, aus der sie besteht, einen Meilenstein in der Raumfahrt darstellt. Im Interview mit der Jüdischen Allgemeinen blickt Milstein auf die jahrzehntelange Forschungsarbeit zurück. »Um ehrlich zu sein, war ich skeptisch gegenüber der Rakete, wie so viele andere. Wir glaubten an den Erfolg, aber wir waren auch sehr kritisch. Aber dann war es fantastisch zu sehen, wie es funktionierte.«

Nun wartet Milstein ungeduldig auf den 10. Dezember, den Tag der Rückkehr der Rakete auf die Erde. »Wir führen jede Sekunde des Trips Messungen durch, aber die Daten können erst vollständig am Ende der Reise ausgewertet werden.«

Als die Rakete endlich abhob, rief er seine Eltern an. Am liebsten wäre er neben den Phantompuppen an Bord der Rakete gesessen. Zeitgleich laufen bereits die Planungen für die nächsten Mondmissionen, Artemis I und II, welche spätestens 2025 durchgeführt werden sollen, dann mit Menschen an Bord. Hier soll auch Elon Musks Unternehmen SpaceX beteiligt sein, das die Landung auf dem Mond mit einem speziellen Landungsflieger vorbereitet.

Israel wird für die Raumfahrt immer wichtiger.

Für Milstein ist bedeutsam, dass Israel als Akteur in der Raumfahrt eine neue Bedeutung erhält. »Die Leute in Israel realisieren jetzt, dass dieses Projekt etwas sehr Wichtiges ist. Und es wird auch klar, dass eine Reise zum Mond etwas ganz anderes ist als zur Internationalen Raumstation. Es ist wie die erste Apollo-Mission, nur dass sie jetzt Artemis heißt. Und die erste von vielen Missionen, die am Ende Menschen auf den Mars bringen wird. Und wenn dieses in Israel hergestellte Produkt mit der israelischen Flagge darauf auf dem Mond und auf dem Mars getragen wird und die Menschen dort sicher vor Strahlung schützt, ist das in der öffentlichen Wahrnehmung ein großer Dienst für Israels Sache.«

basisstation Das langfristige Ziel der NASA ist es, eine feste Basisstation auf dem Mond zu errichten, einen »Lunar Gateaway«, von dem aus Expeditionen zu entfernten Gebieten der Mondoberfläche starten sollen. Bis 2040 soll es sogar möglich sein, bemannte Raumschiffe zum Mars zu schicken, um die Astronauten dort forschen zu lassen. Es hängt also einiges vom Funktionieren der Schutzweste AstroRad ab, damit Menschen solch eine lange Zeit extremer Strahlung ausgesetzt bleiben können.

Die Begeisterung an der Raumfahrt hatte in den letzten Jahren nachgelassen. So prägend wie die Apollo-Mission vor 50 Jahren als Meilenstein menschlicher Zivilisation war, so wenig greifbar ist für heutige Generationen die damalige Masseneuphorie, die Menschen millionenfach vor die Bildschirme bannte. Hollywood, Netflix und Disney haben unterdessen ein All kreiert, das weitaus eingängiger und spektakulärer zu goutieren ist als die komplexen Sondenfotografien und physikalischen Daten aus den Weiten des dunklen Universums.

Forschung, und somit auch Forschungsförderung, benötigt aber mediale Aufmerksamkeit, um gesellschaftliche Relevanz zu begründen. Kurz bevor am Morgen des 16. November um 7.47 Uhr (MEZ) die Rakete mit dem Raumschiff Orion in die Höhe schoss, sprach die Startdirektorin der NASA, Charlie Blackwell-Thompson, von einer »Generation Artemis« und wandte sich vor allem an junge Menschen mit der Behauptung »This is for you«.

Bewusstseinswandel Auch Oren Milstein von StemRad ist zuversichtlich, dass das Projekt Ausdruck eines Bewusstseinswandels ist. »Es sind so viele Vertragspartner involviert, das war jenseits all unserer Erwartungen.« Neben den USA und Israel sind auch die Europäer intensiv beteiligt. Die Europäische Weltraumagentur ESA liefert wichtige technische Servicemodule und erhält dafür die Garantie, auf einer der nächsten Artemis-Missionen europäische Astronauten an Bord nehmen zu können.

Der deutsche Astronaut Alexander Gerst würde gern mitfliegen, stößt aber Medienberichten zufolge bislang noch beim deutschen Wirtschaftsministerium auf Skepsis hinsichtlich der enormen Kosten für eine solche Beteiligung. Klug wäre es dennoch, diese Skepsis zu überwinden.

Angesichts von Krieg und Zerstörung auf der Erde ist zu hoffen, dass die neuen Artemis-Missionen im All etwas von dem berühmten Overview-Effekt zurück auf die Erde tragen. Der Begriff wurde von Wissenschaftlern in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt. Die Wissenschaftler hatten in systematischen Interviews Astronauten nach ihren Erfahrungen im All befragt. Viele der Astronauten hatten geantwortet, dass sie durch den Blick auf die im Raum schwebende Erde die Fragilität des Planeten und die Bedeutungslosigkeit von kriegerischen Konflikten begriffen hätten und dieses Gefühl in ihnen lebendig geblieben wäre.

Interview

Schauspieler Jonathan Berlin über seine Rolle als Schoa-Überlebender und Mengele-Straßen

Schauspieler Jonathan Berlin will Straßen, die in seiner Heimat Günzburg nach Verwandten des KZ-Arztes Mengele benannt sind, in »Ernst-Michel-Straße« umbenennen. Er spielt in der ARD die Rolle des Auschwitz-Überlebenden

von Jan Freitag  08.11.2025

Interview

»Mascha Kaléko hätte für Deutschland eine Brücke sein können«

In seinem neuen Buch widmet sich der Literaturkritiker Volker Weidermann Mascha Kalékos erster Deutschlandreise nach dem Krieg. Ein Gespräch über verlorene Heimat und die blinden Flecken der deutschen Nachkriegsliteratur

von Nicole Dreyfus  08.11.2025

Erinnerungskultur

»Algorithmus als Chance«

Susanne Siegert über ihren TikTok-Kanal zur Schoa und den Versuch, Gedenken neu zu denken

von Therese Klein  07.11.2025

Erinnerung

Stimmen, die bleiben

Die Filmemacherin Loretta Walz hat mit Überlebenden des KZ Ravensbrück gesprochen – um ihre Erzählungen für die Zukunft zu bewahren

von Sören Kittel  07.11.2025

New York

Kanye West bittet Rabbi um Vergebung

Der gefallene Rapstar Kanye West hat sich bei einem umstrittenen Rabbiner für seine antisemitischen Ausfälle entschuldigt

 07.11.2025

Rezension

Mischung aus Angst, alptraumhaften Erinnerungen und Langeweile

Das Doku-Drama »Nürnberg 45« fängt die Vielschichtigkeit der Nürnberger Prozesse ein, erzählt weitgehend unbekannte Geschichten und ist unbedingt sehenswert

von Maria Ossowski  07.11.2025

Paris

Beethoven, Beifall und Bengalos

Bei einem Konzert des Israel Philharmonic unter Leitung von Lahav Shani kam es in der Pariser Philharmonie zu schweren Zwischenfällen. Doch das Orchester will sich nicht einschüchtern lassen - und bekommt Solidarität von prominenter Seite

von Michael Thaidigsmann  07.11.2025

TV-Tipp

Ein Überlebenskünstler zwischen Hallodri und Held

»Der Passfälscher« ist eine wahre und sehenswerte Geschichte des Juden Cioma Schönhaus, der 1942 noch immer in Berlin lebt

von Michael Ranze  07.11.2025

Provenienzforschung

Alltagsgegenstände aus jüdischem Besitz »noch überall« in Haushalten

Ein Sessel, ein Kaffeeservice, ein Leuchter: Nach Einschätzung einer Expertin sind Alltagsgegenstände aus NS-Enteignungen noch in vielen Haushalten vorhanden. Die Provenienzforscherin mahnt zu einem bewussten Umgang

von Nina Schmedding  07.11.2025