Es ist nicht gerade ein hübsches Kind: ein kahler Kopf mit abstehenden Ohren und ein Körper in einem unförmigen gelben Nachthemd. Dennoch wurde The Yellow Kid zum Star. Das von Richard F. Outcault gezeichnete Kind erschien ab 1895 in New Yorker Zeitungen und führte die Leser durch Geschichten im Großstadt-Dschungel. Die Geburt des merkwürdigen Kindes ist zugleich die des Comics. Erstmals wandten sich in der fortlaufenden Serie Figuren in Sprechblasen an die Leser.
Unter dem Titel Comics! Mangas! Graphic Novels! startet die Bonner Bundeskunsthalle nun bis zum 10. September eine Reise durch die Geschichte des Comics, die mit dem Yellow Kid in New York ihren Anfang nimmt. Rund 300 Exponate, darunter viele Originalzeichnungen, bebildern diese Entwicklung bis in die Gegenwart. In einige Comics können die Besucher sogar mit 3D-Brillen eintauchen. Filmausschnitte zeigen Comics als Trickfilm.
sensation In den Anfängen war es die Erfindung des Farbdrucks, die die Entwicklung des Comics nach vorne brachte. »Für die Leser war das Yellow Kid eine Bildsensation«, sagt Kurator Andreas C. Knigge. In der Folge verdreifachte sich die Auflage des »New York Journal«. Andere Zeitungen zogen nach. Und so entstanden bald zahlreiche Comic-Serien, die wöchentlich in der Presse erschienen.
Die Bildergeschichten waren oftmals eine Familienunterhaltung. »Die ganze Familie wartete jede Woche auf die Fortsetzung«, sagt Knigge. Folglich behandelten die Geschichten häufig Themen aus dem Alltag von Familien. So etwa George McManus’ Strip Bringing Up Father. Er handelt von einer neureichen Familie, die den amerikanischen Traum lebt, aber immer noch ähnliche Alltagskonflikte hat wie der Normalbürger.
Wie groß der Einfluss der bunten Bildergeschichten war, zeigt die Serie um den Seemann Popeye, die seit 1919 erschien. Da dieser stets durch das Verschlingen beträchtlicher Mengen Spinat zum Kraftprotz wurde, stieg in der Folge der Konsum des Gemüses in den USA um 30 Prozent. Comic-Zeichner waren damals folglich gut bezahlte Stars. »Sie waren so berühmt wie später bekannte Filmschauspieler«, sagt Knigge.
Die Zeichner waren jedoch fest an eine Zeitung und deren Anforderungen an die Art des Comics gebunden. Erst in den 30er-Jahren begann sich das Genre von dem Medium Tageszeitung zu emanzipieren. Vor allem Superman brachte den Durchbruch für eigenständig erscheinende Comic-Hefte.
Tim und Struppi Während der Comic in den USA boomte, interessierte sich in Europa lange Zeit niemand für diese Art der Bildergeschichte. »In Deutschland hatten wir Wilhelm Busch und haben den Comic verschlafen«, sagt Knigge. Es war ein Belgier, der dem Genre in Europa zum Durchbruch verhalf. 1929 erfand Hergé Tim und Struppi. Der Reporter Tim, den seine Abenteuer in viele Länder führen, und sein kleiner Hund Struppi sind bis heute populär. Die Ausstellung zeigt neben Original-Zeichnungen auch Ausschnitte aus einer Verfilmung des Stoffs.
In Europa waren belgische und französische Comic-Zeichner wie Hergé oder aber auch Asterix-Erfinder Albert Uderzo führend. Das Schicksal des Vater und Sohn-Erfinders Erich Ohser wirft einen tragischen Blick auf die deutsche Geschichte. Der Sozialdemokrat wurde vom Nazi-Regime zum Tode verurteilt und erhängte sich 1944 selbst in seiner Zelle.
Auch an Japan ging die Comic-Kultur zunächst über drei Jahrzehnte vorbei. Heute boomt die japanische Comic-Form umso mehr. »Rund ein Drittel aller japanischen Druckerzeugnisse sind Mangas«, sagt Knigge, »Tendenz steigend.« Das liege auch daran, dass es praktisch für jede Zielgruppe und jede Befindlichkeit eigene Mangas gebe, erklärt der Comic-Experte.
Vielfalt In Deutschland wurden die japanischen Zeichnungen Ende der 90er-Jahre vor allem bei Jugendlichen beliebt. Damals erschien die deutsche Fassung eines Mangas erstmals nicht gespiegelt, sondern so, wie sie auch im Japanischen gelesen wurde, nämlich von hinten nach vorne.
Trotz seiner thematischen Vielfalt und oft auch künstlerischen Qualität galt der Comic auch in den USA lange Zeit als Schund oder zumindest minderwertige Kinder-Unterhaltung. Das begann sich erst in den 70er-Jahren zu ändern. Zu verdanken ist das vor allem dem jüdischen Zeichner Will Eisner. Der New Yorker eröffnete mit seiner Graphic Novel Ein Vertrag mit Gott 1978 ein neues Kapitel in der Geschichte des Comics. Erstmals erscheint eine Comic-Geschichte, die ein ganzes Buch füllt und dabei ein anspruchsvolles Thema verhandelt: den Tod und das Hadern mit Gott.
Geboren am 6. März 1917 als William Erwin Eisner in Brooklyn, Sohn der Rumänin Fannie Ingber und des Österreichers Shmuel Eisner, der Bühnenbilder für das Jüdische Theater in der 2nd Avenue malte, veröffentlichte er seinen ersten Comic – über Armut in der Bronx – schon 1933. Ab 1940 entwickelte er für eine sonntägliche Zeitungsbeilage seine erste Reihe The Spirit, ein genreübergreifenden Comic mit gewagten filmischen Perspektiven, eine Mischung aus Detektivgeschichte, Melodram, Horror und Mystery, mit einem gehörigen Schuss Komik.
Nach seiner Einberufung zur US-Armee im Jahr 1942 zeichnete Eisner für die Zeitschrift »Army Motors« Comics, die den Soldaten den fachgerechten Umgang mit Waffen und anderem militärischen Gerät beibringen sollten. Als der Zweite Weltkrieg zu Ende war und er ins zivile Leben zurückkehrte, führte er noch bis 1952 The Spirit fort und zeichnete weitere Comicreihen wie Baseball, John Law, Kewpies oder Nubbin the Shoeshine Boy.
schwarz-weiss Will Eisners oft großformatige Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind von einer düsteren Atmosphäre unterlegt, selbst dann, wenn die Geschichten gut ausgehen. Eine leichte Bedrohung liegt immer über ihnen, der allgegenwärtige Antisemitismus, die drohende Armut, Krankheit, Irrsinn und Tod. Eisner nutzt auch in Ein Vertrag mit Gott filmisch wechselnde Perspektiven, zeichnet seine Figuren mit ausdrucksstarker, fast expressionistischer Mimik und Gestik. Er erzählt von einer Welt, die wir hier, in Europa, nur aus Filmen kennen: die Welt der armen jüdischen Emigranten in der »Goldenen Medine« USA.
Die neue Ausdrucksform der Graphic Novel wird auch von aktuellen deutschen Zeichnern wie Matthias Schultheiss oder Isabel Kreitz aufgegriffen. Spätestens mit der Ausstellung in der Bundeskunsthalle dürfte der Comic auch in Deutschland sein Schmuddel-Image endgültig abgestreift haben. epd/ja
Die Ausstellung ist dienstags und mittwochs von 10 bis 21 Uhr sowie donnerstags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr geöffnet.
www.bundeskunsthalle.de