»Welcome to Jerusalem«

Mehr als eine Stadt

Nein, Donald Trump hatte im Vorfeld keinen Kontakt zum Jüdischen Museum Berlin. Dass die historische Entscheidung des US-Präsidenten, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, mit der Eröffnung der neuen Ausstellung Welcome to Jerusalem zusammenfiel, war reiner Zufall. »Für dieses Timing können wir nichts. Aber jetzt ist es nun mal so«, sagte Museumsdirektor Peter Schäfer vergangene Woche bei der Eröffnung der Schau.

Passender hätte der Zeitpunkt aber kaum sein können. Denn ganz gleich, wie man zu Trumps Entscheidung stehen mag, sicher ist: Die Welt schaut in diesen Tagen ganz besonders genau auf die Situation im Nahen Osten. Jerusalem, die Stadt des Friedens, hat dabei die Rolle als Kristallisationspunkt der gesellschaftspolitischen Entwicklungen inne. Vor diesem Hintergrund war der Ausstellung das große Interesse zum Start am Sonntag gewiss.

Konflikte »Als Zentrum der drei monotheistischen Religionen mit ihren unvereinbaren Ansprüchen ist Jerusalem seit Jahrhunderten ein Brennpunkt religiöser und politischer Konflikte«, sagte Schäfer. Die Entscheidung von Donald Trump habe dies aktuell noch einmal unterstrichen. »Unsere Ausstellung will keine Lösungen anbieten, aber sie kann Verständnis für die besondere Situation Jerusalems wecken und den Besuchern helfen, sich ein eigenes Urteil zu bilden«, so Schäfer weiter.

Mit einem differenzierten Blick den Kosmos Jerusalem, diese wohl außergewöhnlichste Stadt der Welt, verständlich zu machen, das ist das Kernanliegen der Ausstellung im Liebeskind-Bau. Anhand ausgewählter thematischer Schlaglichter wird die Geschichte Jerusalems von der Zeit des Herodes bis in die Gegenwart dargestellt. Auf rund 1000 Quadratmetern werden in zehn individuell gestalteten Räumen die vielfältigen Herausforderungen der Stadt, in der Religion, Politik und Alltagsleben so unauflöslich verwoben sind, aufgegriffen. Es geht um Wallfahrer, frühe Zionisten, Devotionalienhändler, Kaiser Wilhelm, Osmanen, Siedler, jüdische Feministinnen, Saladin, Briten, Schwaben, orthodoxe Priester und arabische Israelis.

Doch Welcome to Jerusalem geht nicht chronologisch vor. Auf den filmischen Einstieg folgt die Vermessung der Stadt mittels unzähliger Karten, die teils bereits politische Ansprüche illustrieren. Ein nächster Raum widmet sich voll mit Kreuzen und religiösen Souvenirs der Bedeutung Jerusalems als touristischem Pilger- und Wallfahrtsort. Thematisiert werden darüber hinaus etwa die letzten Jahrzehnte des Osmanischen Reichs, unterschiedliche religiöse Auslegungen im Judentum und zeitgenössische künstlerische Positionen.

fernseher Die Ausstellung verdankt ihre eindringliche Wirkung einer starken medialen Prägung. In fast jedem Raum gibt es Leinwände oder Fernseher, die Gläubige bei ihren jeweiligen Gebeten und Ritualen zeigen. Das Bildmaterial der auch in einer Filmlounge gezeigten Echtzeitdokumentation 24h Jerusalem von Regisseur Volker Heise ist allgegenwärtig und spiegelt die Geschichte der Stadt und ihre Kultur unmittelbar mit dem aktuellen Leben dort.

Wer die Gegenwart Jerusalems verstehen will, muss die Wege und Irrwege der Vergangenheit kennen. Historische Exponate, künstlerische Interventionen und mediale Installationen präsentieren unterschiedliche Zugänge zu den einzelnen Themenblöcken. Im Zentrum der Schau stehen Judentum, Christentum und Islam. Alle drei Religionen beanspruchen Jerusalem für sich. Alle drei verfügen in der Stadt über heilige Stätten: das Judentum über die Westmauer, den letzten Rest des von den Römern 70 n.d.Z. zerstörten Tempels; das Christentum über die um das vermutete Grab von Jesus Christus errichtete Grabeskirche; der Islam über Felsendom und Al-Aksa-Moschee.

Die drei Heiligtümer nehmen in der Ausstellung breiten Raum ein. Ein Modell von Felsendom und Al-Aksa-Moschee, eine seltene Leihgabe aus dem Bibelmuseum in Amsterdam, zeigt detailgetreu den islamischen Heiligen Bezirk Haram al-Sharif. Die eigens für die Schau konzipierte Mediainstallation »Augmented Temple« macht den Besucher mit der Architektur und der Funktion des Herodianischen Tempels der Antike vertraut. Das 3D-Modell zeigt die Besucherströme von Zehntausenden Menschen an hohen Feiertagen und erklärt die Architektur des Tempels.

Fallstricke Durch den Fokus auf die Religionen mit ihren Ansprüchen über die weltlich-politischen Konfliktlinien hinaus verdeutlicht die Ausstellung: Jerusalem wird wohl auf ewig ein sensibles Politikum bleiben, an dem sich die Geister nicht nur scheiden, sondern sich auch immer wieder unversöhnlich gegenüberstehen werden. »Jerusalem ist nicht nur eine Stadt, sondern eine Vorstellung. Jerusalem ist ein geistig-spiritueller Ort, der von den unterschiedlichen Seiten verschieden interpretiert wird«, erklärte Cilly Kugelmann, eine der Kuratorinnen. Während der Konzeption der Schau sei man immer wieder auf Fallstricke gestoßen. Schon die Frage, welche Religion man in einem Text zuerst nennt, könnte hierarchisierend und wertend ausgelegt werden, wie Kugelmann sagte.

Es ist die der Stadt über Jahrhunderte hinweg zugesprochene Heiligkeit und eine vor allem im Judentum und Christentum weit verbreitete Sichtweise Jerusalems als spiritueller Mittelpunkt der Welt, die die Stadt so konfliktträchtig werden lässt. Die von jüdischen, christlichen und islamischen Gläubigen gleichermaßen vorangetriebene Verehrung Jerusalems als heiliger Ort ist für die Stadt Segen und Fluch zugleich.

Segen einerseits, da sie das Einkommen der Bewohner garantiert, lebt doch die Stadt seit der Antike bis heute hauptsächlich von den Einnahmen von Wallfahrern, Pilgern und Touristengruppen, die kontinuierlich Geld in die Kassen spülen. Fluch, da die religiöse Aufladung in Verbindung mit dem jeweiligen Wahrheitsanspruch politische Kompromisse zusätzlich erschwert.

trump Mit der Eröffnung der Jerusalem-Ausstellung im Altbau des Museums schloss zugleich die Dauerausstellung des Jüdischen Museums. Sie soll in den kommenden eineinhalb Jahren grundlegend überarbeitet werden. Eine Wiedereröffnung ist für das Frühjahr 2019 geplant. »Wir sind in einer Umbauphase, aber mit der aktuellen Schau wird es spannend bleiben«, kündigt Programmdirektorin Léontine Meijer-van Mensch an. Spannungsgeladen wird es in den kommenden Wochen auch in Jerusalem weitergehen.

Ebendiese Entwicklung in der Stadt nach Trumps Hauptstadt-Beschluss wird mittelfristig Teil der Ausstellung werden: Am Ausgang ist eine lange Pinnwand mit internationaler Berichterstattung geplant, dort soll eine Chronik Jerusalems von heute bis April 2019 entstehen.

»Welcome to Jerusalem«. Jüdisches Museum Berlin, bis 30. April 2019

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