Sachbuch

Mazze mit Schinken

Demonstrant mit Schweinemaske in Tel Aviv

Das »unmögliche Schwein« bringt die Problematik bereits auf den Punkt. Denn »Impossible Pork« heißt eines der vielen neuen Fleischersatzprodukte, das aus Soja-Proteinen, pflanzlichen Ölen und Wasser besteht und wie richtiges Schweinefleisch schmecken soll. Endlich könnten auch Juden, die Wert auf die Einhaltung der Speisegesetze legen, in den Genuss eines Burgers kommen, der nach Schwein schmeckt, aber nicht vom Schwein stammt, und sogar noch eine Scheibe Käse drauflegen.

Doch mit dem Hinweis auf die Empfindsamkeiten praktizierender Juden verweigert die Orthodox Union dem Produkt das Koscherzertifikat. »Wir werden seit Jahrtausenden dazu angehalten, keine Schweine zu essen«, zitiert der Religionswissenschaftler Jordan D. Rosenblum den dafür verantwortlichen Rabbiner Menachem Genack. »Es dauert eine Weile, bis der Mensch begreift, dass es sich um synthetisches Fleisch handelt und nicht um echtes Schwein.« Offensichtlich ist Schweinefleischimitat im Unterschied zu »fake Bacon«, der aus Truthahn hergestellt wird, oder Garnelen-Imitaten, die alle bereits für koscher erklärt wurden, etwas, das jenseits der Norm ist.

Um diese irritierende Entscheidung wirklich verstehen zu können, muss man sie in den Kontext der mehr als 3000 Jahre alten Geschichte von Juden und ihrem Verhältnis zu Schweinen einordnen, betont Jordan D. Rosenblum. Und um das zu belegen, zeigt er nicht nur, wann in den rabbinischen Schriften das Borstenvieh zum Inbegriff aller nicht koscheren Lebensmittel mutierte, sondern auch, welche Bedeutungsebenen entstanden, die dafür sorgten, dass Juden und Schweine im Laufe der Geschichte untrennbar miteinander verbunden wurden.

Das Christentum hat zahlreiche Elemente des Judentums übernommen, und dazu zählte ebenfalls die negative Konnotation des Schweins

So hat das Christentum zahlreiche Elemente des Judentums übernommen, und dazu zählte ebenfalls die negative Konnotation des Schweins – unabhängig davon, dass es bald auf christlichen Tellern landete. Aber man verachtete Juden, weil sie ihrem alten Glauben treu blieben und sich der Konversion entzogen. Und irgendwann wurden sie deshalb von der christlichen Mehrheitsgesellschaft in Beziehung gesetzt.

»In dem Maße, wie sich Schweine von buchstäblichen Bestien in verkörperte Allegorien für Laster, Straffreiheit und vor allem Ketzerei verwandeln, werden die Kategorien Schweine, Juden und schlechte Christen miteinander vermischt«, befindet Rosenblum und verweist auf eine mittelalterliche Geschichte, wonach Jesus Juden in Schweine verwandelt haben soll. Dies war lange Zeit auch ein christliches Narrativ, das erklärte, warum Juden kein Schweinefleisch essen wollten: Es wäre schlichtweg Kannibalismus. Auch die Tatsache, dass im frühneuzeitlichen Spanien konvertierte Juden als »Marranos« verunglimpft wurden, ein alter Begriff für Schweine, weil man sie verdächtigte, insgeheim der alten Religion weiter verbunden zu sein, steht in diesem Zusammenhang.

»Karl-Marx-Spezialsandwich«

Für Rosenblum spielt das Schwein ebenfalls eine zentrale Rolle, wenn es um Assimilation geht. So habe der als Kind zum Christentum konvertierte Karl Marx im Frühjahr gerne Mazze mit Schinken verspeist. Dieses »Karl-Marx-Spezialsandwich« deutet er als eine »Brücke, die seine Vergangenheit und seine Gegenwart miteinander verband« und womöglich mehr stillte als nur seinen Hunger.

Dem Religionswissenschaftler Rosenblum gelingt es, ein diffiziles Thema informativ und zugleich mit einer gewissen Leichtigkeit aufzugreifen. Beispielhaft dafür ist die Wiedergabe eines Gesprächs mit einem Rabbi, der lieber anonym bleiben will und das Verhältnis von Juden zu Schweinen wunderbar zusammenfasst: »Ich esse Garnelen. Kein Jude ist jemals gestorben, weil er sich weigerte, Garnelen zu essen. Aber Schweinefleisch, niemals. Garnelen sind treif, aber Schweinefleisch ist antisemitisch.«

Jordan D. Rosenblum: »Forbidden – A 3,000-Year History of Jews and the Pig«. New York University Press, New York 2024, 272 S., 30 $

Hören!

Marc Blitzstein

Beim Musikfest Berlin wird die »geometrische Oper« des amerikanisch-jüdischen Komponisten aufgeführt

von Stephen Tree  19.09.2025

Geheimnisse und Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richer  19.09.2025

München

Nach dem Eklat: Jetzt spricht erstmals Lahav Shani

Der israelische Dirigent hat zu dem Vorfall geschwiegen - bis jetzt

von Britta Schultejans  19.09.2025 Aktualisiert

Hochstapler

»Tinder Swindler« in Georgien verhaftet

Der aus der Netflix-Doku bekannte Shimon Hayut wurde auf Antrag von Interpol am Flughafen festgenommen

 19.09.2025

Berlin

Weimer: Keine Kulturförderung für Antisemitisches

Der Kulturstaatsminister zeigt sich empört über Feindlichkeit gegen Juden in der Kulturszene. Er will Richtlinien ändern

 19.09.2025

München

Filmproduzent kritisiert Branche: Wenig Engagement für Juden

Oft werde sich lautstark für Diversität ausgesprochen, doch wenn es um den Kampf gegen Antisemitismus gehe, schweige die deutsche Medienbranche irritierend, meint Martin Moszkowicz

 19.09.2025

Eurovision Song Contest

CDU-Politiker: ESC-Boykott, wenn Israel nicht auftreten darf

Steffen Bilger fordert: Sollte Israel vom ESC ausgeschlossen werden, müsse auch Deutschland fernbleiben. Er warnt vor wachsenden kulturellen Boykottaufrufen gegen den jüdischen Staat

 18.09.2025

Ehrung

Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland für Tamar Halperin

Die in Deutschland lebende israelische Pianistin ist eine von 25 Personen, die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am 1. Oktober ehrt

von Imanuel Marcus  18.09.2025

Ausstellung

Liebermann-Villa zeigt Architektur-Fotografien jüdischer Landhäuser

Unter dem Titel »Vision und Illusion« werden ab Samstag Aufnahmen gezeigt, die im Rahmen des an der University of Oxford angesiedelten »Jewish Country Houses Project« entstanden sind

 18.09.2025