Bob Dylan

Masal tow, Shabtai Zisel!

Gestatten: Shabtai Zisel ben Avraham. Besser bekannt als Robert Allen Zimmerman. Oder auch – Bob Dylan. Der Mann, der Generationen berührt und bewegt hat und von dem der ehemalige US-Präsident Barack Obama schwärmte, es gebe »keinen größeren Giganten in der Geschichte der amerikanischen Musik«: In wenigen Tagen wird er 80 Jahre alt.

Geboren am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota, als Sohn von Abraham »Abe« und Beatrice »Beatty« Zimmerman, erhält Bob nach seiner Geburt den hebräischen Namen Shabtai Zisel ben Avraham, wächst in einem koscheren Haushalt auf und genießt eine traditionell-jüdische Erziehung. Seine Großeltern väterlicherseits, Zigman und Anna Zimmerman, stammen aus Odessa und sind, als der antisemitische Mob Ende 1905 durch die Straßen der Schwarzmeerhafenstadt zog, vor den Pogromen in die Vereinigten Staaten geflüchtet.

Zigman lässt sich in Duluth, einer am Westufer des Lake Superior, dem größten der Great Lakes, gelegenen Industrie- und Hafenstadt, nieder, wo er sich als Straßenverkäufer und Schuster verdingt. Der soziale Aufstieg der Familie lässt nicht lange auf sich warten: Sohn Abe schließt die Highschool ab, tritt in die Dienste der Standard Oil Company und heiratet bald darauf Beatty Stone, deren Eltern ihrerseits um die Jahrhundertwende aus Litauen in die USA eingewandert waren.

Als Bobby sechs Jahre alt ist, erkrankt sein Vater an Kinderlähmung. Abe Zimmerman muss seine Position als leitender Angestellter bei Standard Oil aufgeben, die Familie zieht in die Heimatstadt der Mutter, das rund 75 Meilen nordwestlich von Duluth gelegene Hibbing, eine überschaubare Kleinstadt mit einer noch überschaubareren jüdischen Gemeinde.

Hier verbringt Bob Kindheit und Jugend, hier besucht er die Hebrew School der orthodoxen Agudas-Achim-Synagoge, von hier aus bricht er in den Sommermonaten nach Webster im benachbarten Bundesstaat Wisconsin auf, wo er die Schulferien im zionistischen Herzl Camp verlebt.
Nach der Barmizwa-Vorbereitung ging Bob Boogie tanzen.

In diese Zeit fallen auch die Barmizwa-Vorbereitungen des jungen Bobby, über die er Jahrzehnte später festhalten sollte: »Es gab in der Stadt keinen Rabbiner, und für mich war es an der Zeit, Barmizwa zu werden. Plötzlich tauchte unter sonderbaren Umständen und für nur ein Jahr ein Rabbiner auf. Er und seine Frau stiegen mitten im Winter aus dem Bus. Er tauchte gerade rechtzeitig auf, damit ich dieses Zeug lernen konnte.

Er war ein alter Mann aus Brooklyn, der einen weißen Bart hatte und einen schwarzen Hut und schwarze Kleidung trug. Sie brachten ihn im Stockwerk über dem Café unter, das der örtliche Treff war. Es war ein Rock ’n’ Roll-Café, in dem ich auch immer abhing. Ich ging jeden Tag hoch, um das Zeug zu lernen, entweder nach der Schule oder nach dem Abendessen. Nachdem ich eine Stunde oder so mit ihm gelernt hatte, kam ich runter und ging Boogie tanzen.«

COFFEESHOPS Nach seinem Abschluss an der Hibbing High School zieht es Bob im Herbst 1959 zunächst in das knapp 200 Meilen südlich gelegene Minneapolis, wo er sich an der University of Minnesota einschreibt und ein Wohnheim der jüdisch geprägten Sigma Alpha Mu Fraternity bezieht. Doch der nette jüdische Junge von nebenan will Bobby nie sein.

Nachdem er bereits zu Highschool-Zeiten einige Bands gegründet hatte, tritt er in Minneapolis häufiger in Coffeeshops auf – unter dem Pseudonym Bob Dylan. Ranken sich um die Wahl seines Künstlernamens allerhand Legenden (nach der gängigsten ist es eine Verneigung vor dem walisischen Dichter Dylan Thomas), so liegen dem Umstand, dass Dylan nicht unter seinem Geburtsnamen in die Musikgeschichte eingehen sollte, auch Erwägungen zugrunde, wie sein jüdischer Familienname auf das Publikum wirken möge.

So beginnt ein im März 1971 von dem Bluesmusiker Tony Glover mit seinem Freund Bob Dylan geführtes und erst kürzlich publik gemachtes Interview mit Dylans scherzhafter Anspielung auf seinen (jüdischen) Freund und Musikerkollegen Bob Neuwirth: »Ich glaube, es hätte nicht geklappt, wenn ich den Namen zu Bob Levy geändert hätte. Oder Bob Neuwirth. Oder Bob Doughnut.« Doch in einer handschriftlichen Randnotiz zeigt sich Dylan nachdenklicher: »Viele Menschen haben die Vorstellung, dass Juden nur Geldverleiher und Kaufleute sind. Viele Leute denken, dass alle Juden so sind. Nun, das waren sie früher, denn das war alles, was ihnen offenstand. Das ist alles, was sie tun durften.«

Minnesota Es ist das Jahr 1960, in den Vereinigten Staaten wird John F. Kennedy als Nachfolger von Dwight D. Eisenhower zum US-Präsidenten gewählt, während in Indochina die ersten nennenswerten Kampfhandlungen des Vietnamkriegs stattfinden, als Dylan aus dem provinziellen Minnesota ausbricht. Er hat Größeres im Sinn: New York. Schon bald zieht er mit seiner Gitarre durch die Kaffeehäuser des Künstlerviertels Greenwich Village, wo sich sein Talent rasch herumspricht.

Im März 1962 veröffentlicht er sein erstes Album, Bob Dylan. Bis heute sollen 74 weitere Alben und über 90 Singles folgen, darunter so ikonische Hymnen der 60er- und 70er-Jahre wie »The Times They Are a-Changing«, »Mr. Tambourine Man«, »Hurricane«, »Knockin’ on Heaven’s Door«, »Blowin’ in the Wind« und »Like a Rolling Stone«.

In der Tradition der Troubadoure erzählt Dylan – anfangs unter dem starken Eindruck von Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung – Geschichten, wobei seine Songtexte von Anbeginn an von großer Poesie geprägt sind. Schon 1963 erklärt er: »Mann, nicht die Melodien sind wichtig, es sind die Texte. Die Melodien sind mir schnuppe.« Noch im selben Jahr erhebt die »New York Times« Dylan zur »wichtigsten Dichterstimme unserer Zeit«. Neben Arthur Rimbaud zählen zu seinen dichtenden Vorbildern Ovid, Petrarca, William Shakespeare ebenso wie James Joyce, Bertolt Brecht oder Jack Kerouac. Auch Moby Dick (Melville), Im Westen nichts Neues (Remarque) und die Odyssee (Homer) seien ihm stete literarische Begleiter, wie Dylan später bekennen wird.

Steht am Beginn seines musikalischen Schaffens neben Idolen wie Buddy Holly und Woody Guthrie die amerikanische Folkmusik, schöpft Dylan bald Inspirationen aus Ragtime Blues und Rock ’n’ Roll, Shantys aus Georgia und Balladen aus den Appalachen, Cowboy-Songs und Arbeitsliedern sowie der Tradition des Great American Songbook. Unüberhörbar bleibt dabei auch eine ordentliche Prise jüdischen Humors, etwa bei der Darbietung des weniger als eine Minute kurzen »Talkin’ Hava Negeilah Blues« aus dem Jahr 1963: »Here’s a foreign song I learned in Utah / Ha-va-ne-gei-lah / O-de-ley-e-e-oo«.

JESUS-PHASE Dylans Verhältnis zur eigenen Jüdischkeit bleibt indes zeitlebens von größter Ambivalenz geprägt. Seinem Judentum zu entkommen, vermag ihm nicht recht zu gelingen, wie seine Großtante Ethel Crystal später konstatierte: »Er denkt jüdisch, sehr jüdisch. Er wurde ja so erzogen.« Ab Ende der 70er-Jahre bekennt sich Dylan als charismatisch wiedergeborener Christ vorübergehend zum evangelikalen Christentum. Was folgt, ist seine »Jesus-Phase«, eine kurze und von kreativer Dürre geprägte Schaffensperiode, aus der zwischen 1979 und 1981 eine Trilogie christlich-religiöser Alben hervorgeht.

»Neighborhood Bully« ist der wohl pro-israelischste Rocksong überhaupt.

Doch schon bald darauf findet Dylan zum Judentum zurück: Im September 1983 reist er mit seinem ältesten Sohn Jesse für dessen Barmizwa nach Israel.

Einen Monat später, der erste Libanonkrieg liegt gerade ein Jahr zurück, veröffentlicht er das Album Infidels, in dem er mit »Neighborhood Bully« den mutmaßlich pro-israelischsten Rocksong der Musikgeschichte aufnimmt, der sich gerade dieser Tage als von beklemmender Aktualität erweist: »Well, the neighborhood bully, he’s just one man / His enemies say he’s on their land / They got him outnumbered about a million to one / He got no place to escape to, no place to run / He’s the neighborhood bully // The neighborhood bully just lives to survive / He’s criticized and condemned for being alive / He’s not supposed to fight back, he’s supposed to have thick skin / He’s supposed to lay down and die when his door is kicked in / He’s the neighborhood bully // The neighborhood bully been driven out of every land / He’s wandered the earth an exiled man / Seen his family scattered, his people hounded and torn / He’s always on trial for just being born / He’s the neighborhood bully«. In den Jahren 1987, 1993 und 2011 führen Dylan Konzerte nach Israel.

nobelpreis 1988 wird der mehrfache Grammy- und spätere Academy-Award-Gewinner in die »Rock and Roll Hall of Fame« aufgenommen. Zu den zahlreichen weiteren Anerkennungen seines Werks zählen so prestigeträchtige Auszeichnungen wie der Prinz-von-Asturien-Preis (2007), der Pulitzer-Preis (2008), die National Medal of Arts (2009) und die Presidential Medal of Freedom (2012).

75 Jahre ist Dylan alt, als ihm 2016 durch die Schwedische Akademie der Nobelpreis für Literatur zugesprochen wird, als erstem Musiker und viertem amerikanischen Juden. Ausgezeichnet wird er »für seine poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Songtradition«. Für Horace Engdahl, Mitglied des Nobelpreiskomitees, ist Dylan »ein Sänger, der eines Platzes neben den griechischen Barden, neben Ovid, neben den romantischen Visionären, neben den Königen und Königinnen des Blues, neben den vergessenen Meistern der brillanten Standards würdig« sei. Die Kritiker der Komitee-Entscheidung, jene »in der literarischen Welt, die aufstöhnen«, müsse man »daran erinnern, dass die Götter nicht schreiben, sie tanzen und sie singen«.

Anlass zum Tanzen und Singen gibt es dieser Tage allemal: Am Montag begeht der »Rimbaud der Rockmusik« seinen 80. Geburtstag. Masal tow, Shabtai Zisel. Happy Birthday, Bob!

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert