Porträt

Markant und wandlungsfähig

Lior Ashkenazi Foto: dpa

Niemand kann Vater werden, ohne zuvor Sohn gewesen zu sein. Für einen Schauspieler ist diese lebensgeschichtliche Selbstverständlichkeit alles andere als banal. Sie zeichnet Wege vor und eröffnet Spannungsfelder, in denen seine Figuren ihre Identität finden können.

In der Spanne zwischen diesen zwei Rollen verschieben sich Fürsorge und Verantwortung, muss der Widerspruch von Nachfolge und Zweifel ausgetragen werden. Der Schauspieler kann in verschiedenen Lebensphasen einen Konflikt aus gegensätzlichen Perspektiven heraus entwickeln. Und wenn das Publikum ihn schon in jungen Jahren kennengelernt hat, besitzen seine Vaterfiguren unweigerlich eine Backstory.

Macht Lior Ashkenazi hat diesen Parcours in erstaunlich kurzer Zeit zurückgelegt. Er ist vor der Kamera schnell herangereift. Die jungen Männer, die er in Hochzeit wider Willen (2001) und Walk on Water (2004) noch mit leisem Sarkasmus aufbegehren ließ, sind flink hineingewachsen in die Sphäre der Macht und Autorität.

Zwar liegen ihm die selbstgewissen Patriarchen (noch) nicht. Aber immerhin hat er in den letzten Jahren bereits zweimal israelische Premierminister verkörpert, einen fiktiven (in Norman) und einen realen (Yitzhak Rabin in 7 Tage in Entebbe), welche ihm sogar redlich staatstragend gerieten.

Dabei ist der Schauspieler gerade einmal 49 Jahre alt. 1994 schloss er das Schauspielstudium in seiner Heimatstadt Ramat Gan ab, ging ans Theater, arbeitete als Synchronsprecher für Disney-Filme und stand 1996 erstmals vor einer Fernsehkamera. Dreimal hat er seither den Ophir, den Preis der israelischen Filmakademie, gewonnen. »Lior Ashkenazi goes international« titelte das »Jewish Journal« begeistert im März. Dabei ist seine Filmauswahl von Anfang an bemerkenswert europäisch.

Ausdruck Die Filme, mit denen er seinen Durchbruch erlebte (Hochzeit wider Willen im Jahr 2001 und Walk on Water) entstanden als Koproduktionen; er trat in italienischen Filmen sowie neben Fanny Ardant und Gérard Depardieu auf. Sein Gesicht ist markant, aber im Ausdruck wandlungsfähig. Eine kleine Narbe zieht sich über das Grübchen an seinem Kinn: Ihm wurde schon früh eine Wunde beigebracht. Verletzbar wirkt er dadurch nicht, eher sturmerprobt. Wenn er einen Bart trägt, ist er auf Anhieb nicht wiederzuerkennen. Aber die großen Augen unter den schweren Lidern verraten ihn rasch.

Mit dem Tempo, in dem er seine Karriere vorantrieb, geht einher, dass sich Sohn- und Vaterrollen nicht eindeutig trennen lassen, sondern oft überlagern. Dafür braucht es einen Virtuosen der Gleichzeitigkeit, der achtsam ist für das Echo früherer Leinwandmomente. In Samuel Maoz’ Foxtrot, der am 12. Juli in die deutschen Kinos kommt, spielt er Michael Feldmann, dem zwei Soldaten die Nachricht überbringen, dass sein Sohn während eines Gefechts an einem Kontrollpunkt gefallen ist.

Kein Wort kommt über Michaels Lippen, das seine Trauer und seinen inneren Aufruhr bezeugen würde. Er lässt es geschehen, dass die Soldaten ihn wie ein hilfloses Kind behandeln. Sein Bruder, der hinzugeeilt ist, ist ihm keine Hilfe. (Das sind Geschwister in Ashkenazis Filmen nie, sofern sie überhaupt auftauchen: Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist in ihnen ungeteilt.) Später sucht er seine Mutter im Altersheim auf. Bevor er ihr die Todesnachricht übermitteln kann, wird der gestandene Mann in die Rolle des Sohnes zurückgedrängt: »Steck dein Hemd in die Hose!«, fährt sie ihn an.

Schuldgefühl Michael hat eigene, traumatische Kriegserfahrungen, über die er mit seiner Frau nie sprechen konnte. Sie legt ihm das Schweigen als Schwäche aus. Erst spät weiht Maoz die Zuschauer in sein Geheimnis ein, offenbart ein Schuldgefühl, das unerlöst blieb, obwohl die Geburt seines Sohnes eine kurze Hoffnung auf Vergebung weckte.

Diese Sehnsucht hegt auch der Mossad-Agent Eyal, den er 13 Jahre zuvor in Walk on Water spielt und von dem es eingangs heißt, er liebe seinen Beruf, der aber am Ende erkennt, dass er nicht mehr töten kann. Er wird heimgesucht von der Erinnerung an einen kleinen Jungen, dem er ein Lächeln schenkte, bevor er dessen Vater wenige Augenblicke später ermordete. Seine Frau ertrug das gemeinsame Leben nicht mehr und beging Selbstmord. Eyals Mangel an Tränenflüssigkeit ist ein überdeutliches Symbol für die Unfähigkeit zu trauern, dem Ashkenazi jedoch große gestische Selbstverständlichkeit verleiht.

Der hochrangige Mossad-Offizier, den er in Eran Riklis’ Aus nächster Distanz (Filmstart 12. August) spielt, wirkt wie eine böse Replik auf die frühere Rolle: Er ist ein undurchschaubarer Taktiker, der Freund und Feind manipuliert, aber sich vielleicht doch an die Regel hält, die Seinen zu schützen.

Überraschungen Ashkenazi ist kein Verführer, er verlangt nicht, dass die Zuschauer seinen Figuren sofort Vertrauen schenken (er weiß, dass sie es nicht immer verdienen), sondern zieht es vor, sie allmählich in deren Innenleben einzuweihen. Die Unergründlichkeit kann das Vorspiel erfreulicher Überraschungen sein. Das gelingt ihm besonders gut in der Zusammenarbeit mit Joseph Cedar. Der aufstrebende Politiker, der sich in Norman tatsächlich Jahre später an das großzügige Geschenk eines Fremden erinnert, ist eine schöne Fantasie der Erreichbarkeit.

Noch vielschichtiger legen Regisseur und Schauspieler dessen Rolle in ihrem Meisterwerk Footnote (2011) an. Ashkenazi spielt darin einen Philologieprofessor, dessen Vater ein Talmudforscher ist, der für sein Lebenswerk mit dem israelischen Staatspreis ausgezeichnet werden soll. Der Vater scheint der gewissenhaftere, strengere Forscher zu sein, der Sohn der mondänere, geschmeidigere.

Ashkenazi legt seine Rolle mit dem sicheren Instinkt eines Komödianten an, was den Konflikt umso dramatischer macht, in den er gerät: Bei der Bekanntgabe des Preisträgers ist ein Missgeschick passiert, denn tatsächlich soll der Sohn ihn erhalten. Auf die Entscheidung, die dieser nun trifft, hat Ashkenazi den Zuschauer zuvor nur ganz sacht vorbereitet. Sie zerreißt ihm das Herz und wird ihm schlecht vergolten: Manchmal sind Väter ihrer Söhne nicht würdig.

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