Redezeit

»Manchmal kann es die Hölle sein«

André Herzberg Foto: Stephan Pramme

Herr Herzberg, Sie sind als Sänger der Ost-Berliner Band »Pankow« in den 80er-Jahren berühmt geworden. Nun legen Sie Ihr drittes Buch vor. Schreiben Sie lieber, als auf der Bühne zu stehen?
In diesem Moment, in dem ich so viel mit dem Buch beschäftigt bin, habe ich wieder so eine wahnsinnige Sehnsucht nach Musik. Auf der Bühne, so scheint es, ist alles viel einfacher und befreiender. Die Leute hören zu, man schreit herum und macht Quatsch. Man muss nicht so viel nachdenken. Deshalb finde ich die Arbeit am Buch anstrengender. Aber wenn ich ein paar Konzerte gespielt habe, reicht es mir wieder. Dann muss ich zurück an den Schreibtisch.

Ist das Schreiben ein einsamer Job für Sie?

Ja. Das ist manchmal schrecklich. Man hat kein Feedback und weiß gar nicht, wie es wird. Es gibt schreckliche Prozesse, bis ein Buch fertig geschrieben und gedruckt ist, bis es sich auf eine gewisse Weise von einem löst. Aber bis dahin kann es manchmal die Hölle sein.

Sie haben die Geschichte Ihrer Familie aufgeschrieben und begleiten drei Generationen. Am Anfang, um die Jahrhundertwende, lernte Ihr Großvater seine spätere Frau kennen. Sie wurden reich, hatten vier Kinder und eine prächtige Villa in Hannover. Als Juden verloren sie während der Schoa fast alles, konnten aber in letzter Sekunde fliehen. Wann haben Sie davon erfahren?
Ich bin mit dieser Geschichte groß geworden, aber mehr durch Erzählungen. Die Namen waren Figuren in der Ferne. Meine Großeltern habe ich nie kennengelernt, sie lebten zuletzt in Kapstadt bei meinem Onkel Konrad. Sie konnten emigrieren und kamen über mehrere Stationen – Kuba, USA – schließlich zu ihm. Da waren sie um die 90 Jahre alt.

Aber den Onkel, im Buch Konrad genannt, den kannten Sie?
Ja, der kam uns in Ost-Berlin besuchen und hatte schöne Sachen dabei. Der griff in die Hosentasche und packte Münzen aus, beispielsweise runde kupferfarbene oder welche mit einem Loch in der Mitte. Das waren Münzen aus Südafrika, England oder Indien. Ich dachte immer »wow«. Er war die große weite Welt, das war toll. Ich kam ja nicht raus aus Ost-Berlin.

Sie haben eine außergewöhnliche Familiengeschichte. Was ist für Sie das Besondere daran?
Es gibt ein Muster, das sich gleichsam durch die Generationen zieht: Die Sache – oder die Idee – wird höher bewertet als das eigene Kind. Das ist das, was das Buch eigentlich ausmacht. Welche Leute sind das, die bereit sind, den Sohn, es war mein Onkel, zu verstoßen, weil er die Fahne des Kaiserreiches verbrannte? Oder später in der DDR: Weil der Sohn – in diesem Fall ich – den politischen Auffassungen des Vaters widersprach, wurde er von ihm denunziert. Das ist der Kern.

Ihre Eltern haben sich in der Emigration in England kennengelernt. Beide stammten aus Berlin. Nach der Schoa zogen sie nach Ost-Berlin, wo Ihr Vater ein DDR-Funktionär wurde. Er sagte früher gerne, dass Religion Opium fürs Volk sei. Sind Sie als Kind dem Judentum begegnet?
Ja. Durch die Mutter. Sie hat das ein bisschen gepflegt.

Sie wuchsen nach der Trennung Ihrer Eltern bei ihr auf. Als Kind waren Sie in der Synagoge Rykestraße?
Nur einmal. Aber ich kann mich noch sehr genau daran erinnern. Wir waren ja immer auf der Jagd nach Lebensmitteln. Das Einkaufen war stets ein Abenteuer. Es gab eine koschere Schlachterei in der Eberswalder Straße. Dort gab es auch zu Pessach die Pakete mit Mazze. Ich erinnere mich noch an die hebräischen Aufschriften und das komische Packpapier. Es waren Lebensmittel, die es sonst gar nicht gab. Zu Hause zogen wir die Mazze raus, legten sie auf ein Holzbrett und bestrichen sie mit Butter und Salz. Das war toll. Man lernt Judentum auch durchs Essen kennen, also auf eine kulinarische Art. Ich esse bis heute noch gerne Mazze mit Butter und Salz.

Wurde über das Judentum zu Hause gesprochen?
Es gab immer wieder bestimmte Signale, die mit der Nazizeit gekoppelt waren, sodass es letztlich ein Albtraum war. Ich wusste, ich bin jüdisch und muss mich dem stellen. Und das in einem Umfeld, in dem mit dem Thema vergleichsweise ruppig umgegangen wurde, wenn es überhaupt einen Umgang damit gab. Ich habe immer zum Judentum gestanden, musste mir aber einen Weg bahnen. Als es mit der DDR zu Ende ging, bin ich nach Amerika gefahren und habe da das erste Mal so eine Leuchtschrift gesehen: Happy Chanukka. Das traf mich wie der Schlag: Man darf das öffentlich sagen? Ja, man durfte.

War das ungewohnt für Sie?
Ja. Seit diesem Zeitpunkt aber war Jüdischsein nicht mehr nur Belastung, sondern auch positiv besetzt.

Besuchen Sie heutzutage eine Synagoge?
Ich habe mir eine jüdische Gruppe gesucht. Meine Frau ist nicht jüdisch. Für nichtjüdische Partner ist es nicht leicht hineinzukommen. Ansonsten feiere ich zu Hause. Ich feiere Schabbat, da kann ich es als Hausherr so machen, wie ich möchte, und das tue ich auch. Ich wohne immer noch dort, wo ich aufgewachsen bin – in Berlin.

Wie haben Ihre Geschwister auf das Buch reagiert?
Na ja, je näher die Positionen der Familien sind, desto härter die Kritik. Da wäre es vielleicht besser, nach Afrika zu fahren und dort das Buch zu vertreiben.

Wie Ihr Onkel Konrad nach Kapstadt?
Ja, das geht aber auch nicht. in Kapstadt lebt auch meine Cousine ...

Heute liegen Stolpersteine vor der Villa der Großeltern in Hannover. Bedeutet Ihnen das etwas?
Der Umstand an sich nicht. Toll war, dass bei der Verlegung die Familie zusammengekommen ist und sich alle wiedergesehen haben. Alle waren bemüht, sich wohlwollend zu verhalten. Jeder war angerührt von diesem Treffen. Es wurde der Verstorbenen gedacht, das hat keinen kaltgelassen.

Schreiben Sie bereits an Ihrem vierten Buch?
Im Moment sitze ich beim Essen. Ich kann ganz schwer Pläne machen. Wenn es so weit ist, dann merke ich es.

Mit dem Schriftsteller und Musiker sprach Christine Schmitt.

Andre Herzberg: »Alle Nähe Fern«. Roman. Ullstein, Berlin 2015, 272 S., 21 €

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