Wuligers Woche

Liebe linke jüdische Freunde

Uns ging es doch um Frieden und Gerechtigkeit zwischen Juden und Arabern in Israel und Palästina. Foto: dpa

Wuligers Woche

Liebe linke jüdische Freunde

Ein offener Brief. Um Antwort wird gebeten

von Michael Wuliger  09.07.2020 10:53 Uhr

Oder muss ich sagen ehemalige Freunde? Der Kontakt zwischen uns ist abgebrochen, wir reden nicht mehr miteinander. Kommunikation findet, wenn überhaupt, in Form von Anrempeleien in sozialen Medien statt.

Dabei standen wir jahrelang auf derselben Seite. Wir wollten mehr Pluralismus in den oft verknöcherten Gemeinden. Wir machten uns Gedanken über ein jüdisches Leben jenseits von bloßem Schoa-Gedenken. Last but not least ging es uns um Frieden und Gerechtigkeit zwischen Juden und Arabern in Israel und Palästina.

Miteinander Vor allem in dieser Frage sind wir, wie’s aussieht, mittlerweile völlig auseinander. Ihr glaubt weiter an die Möglichkeit eines friedlichen Miteinander der beiden Völker zwischen Mittelmeer und Jordan. Wünschen würde ich mir das auch.

Nur zweifle ich inzwischen daran. Und ich erinnere mich an etwas, das Dan Diner bei einem unserer Treffen vor Jahrzehnten einmal sagte, dass nämlich in Nahost wir Linken zwar moralisch richtig lägen, die Rechte aber leider die Wirklichkeit auf ihrer Seite habe. Die Wirklichkeit ist, dass seit den Tagen des Jischuw die Araber in Palästina nie für einen Kompromiss zu haben waren.

Sie wollten und sie wollen immer noch das ganze Land für sich. Das ist verständlich: »Jedes Volk kämpft gegen die Kolonisation, solange es noch die geringste Hoffnung hat, sich davon zu befreien. So handeln die Araber von Palästina und so werden sie auch handeln, solange sie noch einen Funken solcher Hoffnung haben.« Der Satz stammt von Wladimir Zeev Jabotinsky, dem Vater des rechten Zionismus. Geschrieben hat er ihn 1923 in seinem Essay »Die eiserne Mauer«.

Logik Ich habe Jabotinskys Text vor 20 Jahren zum ersten Mal gelesen und war empört über seine kalte, fast zynische machtpolitische Logik. Dummerweise aber fand ich kein sachliches Argument, um ihn zu widerlegen.

Und bis heute ist mir noch keine realitätstüchtige Alternative zu dieser Position begegnet, die seit 1948 die israelische Politik bestimmt. (Auch Ben Gurion, der Jabotinsky gelegentlich als »Vladimir Hitler« titulierte, folgte in der Sicherheitspolitik den Rezepten seines Rivalen.)

Nun könnte man argumentieren, und manche von euch tun das, dass ein Staat, der von Anbeginn bis heute immer wieder gegen Kernwerte der jüdischen Ethik verstößt (jedenfalls so, wie ihr sie auslegt), moralisch auf falschen Fundamenten steht. Mag sein. Aber was ist die Alternative? Lange Zeit haben wir gedacht, es könnte ein Diasporaleben in liberalen Demokratien sein. Die sind aktuell jedoch in ihrer schwersten Krise seit 1945.

Backlash Und eine Erfahrung aus 2000 Jahren der Zerstreuung ist, dass auf Blütezeiten jüdischen Lebens stets ein blutiger Backlash folgte. Spätestens seit Halle ahnen die meisten, dass das Leben als Minderheit nicht so sicher ist, wie wir es uns eingeredet haben. Mir fällt in letzter Zeit ein weiterer Satz von Jabotinsky ein, diesmal aus den 30er-Jahren: »Beendet die Galut, bevor sie euch beendet.«

Offenbar bin ich inzwischen ein Rechter geworden. Mir ist das, ehrlich gesagt, auch unangenehm. Vielleicht habt ihr ja gute Argumente, um mir aus dem Dilemma herauszuhelfen. Ich bin gespannt!

Biografie

Schauspieler Berkel: In der Synagoge sind mir die Tränen geflossen 

Er ging in die Kirche und war Messdiener - erst spät kam sein Interesse für das Judentum, berichtet Schauspieler Christian Berkel

von Leticia Witte  11.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte, wie eine Arte-Doku zeigt. Bis er eine entscheidende Rolle bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  11.07.2025

Thüringen

Yiddish Summer startet mit Open-Air-Konzert

Vergangenes Jahr nahmen rund 12.000 Menschen an den mehr als 100 Veranstaltungen teil

 11.07.2025

Musik

Nach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte ab

Nach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden

 10.07.2025

Agententhriller

Wie drei Juden James Bond formten

Ohne Harry Saltzman, Richard Maibaum und Lewis Gilbert wäre Agent 007 möglicherweise nie ins Kino gekommen

von Imanuel Marcus  12.07.2025 Aktualisiert

Kulturkolumne

Bilder, die bleiben

Rudi Weissensteins Foto-Archiv: Was die Druckwelle in Tel Aviv nicht zerstören konnte

von Laura Cazés  10.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus, Katrin Richter  10.07.2025

Ethik

Der Weg zum Glück

Nichts ist so flüchtig wie der Zustand großer Zufriedenheit. Doch es gibt Möglichkeiten, ihn trotzdem immer wieder zu erreichen – und Verhaltensweisen, die das Glück geradezu unmöglich machen

von Shimon Lang  10.07.2025

Essay

Das Jewish-Hollywood-Paradox

Viele Stars mit jüdischen Wurzeln fühlen sich unter Druck: Sie distanzieren sich nicht nur von Israel und seiner Regierung, sondern auch von ihrem Judentum. Wie konnte es so weit kommen?

von Jana Talke  10.07.2025