Antizionismus

Lest nicht beim Juden

West Dunbartonshire ist ein schottischer Landkreis nahe Glasgow gelegen und von so offenkundiger Bedeutungslosigkeit, dass selbst Wikipedia nur 18 Zeilen darüber zu schreiben findet. Doch vorige Woche schaffte die Region mit ihren 90.000 Einwohnern es gleich zwei Mal in die nationalen Medien. Das erste Mal mit einem Rekord: Das einstige Industriegebiet hat mittlerweile die höchste Arbeitslosenquote in ganz Großbritannien. Auf eine freie Stelle kommen 40 Jobsuchende.

West Dunbartonshires örtliche Politiker haben jedoch drängendere Sorgen, wie aus der zweiten Meldung hervorgeht. Die Verwaltung aus schottischen Nationalisten und Labour-Partei hat gerade beschlossen, israelische Bücher aus den örtlichen Bibliotheken zu entfernen. Dies geschieht im Geist der internationalen Solidarität. Der Landkreis boykottiert seit 2009 offiziell alle zionistischen Erzeugnisse, um gegen die Unterdrückung der Palästinenser zu protestieren.

boykott Wie die Entjudung der schottischen Lesehallen vor sich gehen soll, darüber haben die Gemeinderäte noch nicht im Einzelnen nachgedacht. Keinesfalls werde man in Bausch und Bogen jedes israelische Buch aussortieren, versicherte ein örtlicher Politiker dem Londoner »Jewish Chronicle«. Vielmehr würden die Bibliothekare von Fall zu Fall, beziehungsweise Buch zu Buch, entscheiden, was die West Dunbartonshirer lesen dürfen oder nicht.

Das allerdings könnte kompliziert werden. David Grossman etwa ist zwar ein ausgewiesener Friedensaktivist, hat aber in einer Zahal-Eliteeinheit gedient. Auf den Index oder ins Regal? Problematisch ist auch Amos Oz: einerseits Mitbegründer von »Shalom Achschaw«, andererseits Befürworter des Gazakriegs 2008. Selbst der heute militante Antizionist Uri Avnery war in seiner Jugend ein ebenso militantes Mitglied von Menachem Begins rechtszionistischer Untergrundtruppe »Irgun«. Und was macht man mit einem israelisch-arabischen Autor wie Sayed Kashua? Ist der gut, weil unterdrückter Pali, oder böse, weil als erfolgreicher Drehbuchautor für das israelische TV quasi ein Kollaborateur der Besatzer?

modell? Erstaunlich ist nur, dass niemand vorher schon auf die Idee gekommen ist. In Duisburg etwa, wo ein in Sachen Israelboykott besonders rühriger Kreisverband der Linken die Stadt mitregiert, würden manche sicher gerne auch die Stadtbücherei von zionistischen Druckwerken säubern.

Die aussortierten Bücher könnte man anschließend öffentlich verbrennen. Nicht ohne sich Vergleiche mit Naziveranstaltungen ähnlicher Art zu verbitten. »Wer Kritik an den permanenten schweren Menschen- und Völkerrechtsverletzungen durch Israel mit Antisemitismus gleichsetzt, ... macht sich letztlich mitschuldig ... an den Unterdrückungsverhältnissen in Nahost«, würde Ratsfraktionschef Hermann Dierkes die Kritiker bescheiden. Wie gehabt.

Washington D.C.

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