Meinung I
Lorenz Beckhardt: »Gratulation! Warum die Ehrung der ARD-Israel-Korrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist«
Jüdische Allgemeine vom 4. Dezember
In einem Punkt ist Lorenz Beckhardt zu widersprechen: »Man kennt sich ganz einfach nicht aus.« Frau von der Tann und die Jury des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises kennen sich sehr wohl aus, denn das, was israelbezogener Antisemitismus ist, wurde oft genug sehr detailliert erläutert. Die Auszeichnung Frau von der Tanns ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der seit über drei Jahrzehnten betriebenen »Wiedergutwerdung der Deutschen« (Eike Geisel), die inzwischen fast vollendet ist. Es braucht nur noch die Machtübernahme der AfD, um die Abwicklung der authentischen Orte des Massenmordes in die Wege zu leiten – deren relativierende Umwidmung wird mit großem Erfolg schon lange betrieben (gerade, wenn man in Sachsen wohnt, weiß man, wie das bewerkstelligt wird). In den 90er-Jahren konnte man noch die Hoffnung haben, dass sich die Historisierung von Auschwitz deutlich länger hinziehen wird. Daran, dass dies bald geschafft sein wird, haben Frau von der Tann und die Friedrichs-Preis-Jury einen hervorragenden Anteil.
Yves Hoffmann, Dresden
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Bildung
Michael Thaidigsmann: »Im Land der Täter. Bis März fällt die Entscheidung, wo die Dependance der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland angesiedelt wird«
Jüdische Allgemeine vom 27. November
Ich bin der Meinung, dass ein solcher Ort des Gedenkens und der Mahnung ein unbedingtes Muss sein sollte. Gerade in Deutschland. Es waren auch meine Vorfahren, die anderen Menschen unermessliches Leid zugefügt haben, und ich schäme mich dafür. Ich habe als Soldat der Nationalen Volksarmee Buchenwald gesehen, und als Tourist habe ich Yad Vashem in Jerusalem besucht. Es war für mich ein Schock fürs Leben, und es belastet mich auch heute noch sehr. Vor allem die Gedenkstätte für die ermordeten Kinder. Ich träume öfter davon. Wahrscheinlich brauchen die Generationen solche Momente. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass intelligente und studierte Leute nicht wissen, was Yad Vashem ist, und auch nichts davon wissen wollen. Man sollte sich diesem Thema niemals verschließen und sich auch der deutschen Schuld stellen. Der Tod war damals ein Meister aus Deutschland. Deswegen ist so ein Ort ganz, ganz wichtig. Damit so etwas nie wieder passiert. Ich kann nicht ändern, was geschehen ist, aber alles dafür tun, dass es nirgendwo mehr eine Schoa gibt, das kann ich. Das sehe ich als Verpflichtung und Achtung gegenüber den Opfern der Schoa.
Falko Stephan, Großhänchen
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Nachruf
Julius H. Schoeps: »Streitbar und nahbar. Der Erziehungswissenschaftler und Publizist Micha Brumlik ist nach langer Krankheit in Berlin gestorben. Ein Weggefährte erinnert sich an eine Freundschaft, die fast 50 Jahre andauerte«
Jüdische Allgemeine vom 13. November
Micha Brumlik war ein Mensch, der den Streit nicht scheute, wenn es um Wahrheit, Gerechtigkeit und Verantwortung ging. Doch Micha war weit mehr als ein öffentlicher Intellektueller. In seinem Denken und seiner Haltung steht er in der Linie jener Denkerinnen und Denker, die das moralische Gewissen des 20. Jahrhunderts geprägt haben: Primo Levi, Viktor Frankl, Hannah Arendt, Erich Fromm, Jorge Semprún. Wie sie suchte auch er nach Wegen, menschlich zu bleiben in einer unvollkommenen Welt. Er war Lehrer, Freund, ein Mensch von seltener Wärme und Empathie. Er hörte zu, auch wenn er widersprach. Er suchte das Gespräch, nicht den Sieg. Und er blieb zeitlebens geprägt von einer tiefen moralischen und spirituellen Haltung, die aus seinem Judentum erwuchs.
Petra Theilhaber, Altona Meadows
9. November
Tobias Kühn: »Erinnerung ohne Empathie ist leer. Wenn Deutschland am Sonntag der Pogromnacht gedenkt, darf Erinnerung nicht nur rückwärtsgewandt sein. Sie muss auch die Angst der Juden von heute im Blick haben«
Jüdische Allgemeine vom 6. November
Wir nähern uns wieder dem 9. November, dem Tag des Gedenkens an die Pogromnacht 1938, als die Schaufenster jüdischer Geschäfte eingeschlagen und jüdische Schulen und Synagogen in Brand gesetzt wurden. Vorausgegangen war der Mord des 17-jährigen polnischen Juden Herschel Grynszpan am deutschen Legationsrat der deutschen Botschaft zu Paris, Ernst von Rath, zwei Tage zuvor, am 7. November 1938. Daraufhin wurde der »Volkszorn« angeordnet, sodass es zu diesen Brandstiftungen, Plünderungen und auch Morden kam. Nachdem der NSDAP-Funktionär Wilhelm Gustloff fast drei Jahre zuvor, am 4. Februar 1936, durch den jüdischen Studenten David Frankfurter in Davos, Schweiz, ermordet worden war, wurde kein Volkszorn gegen Juden ausgerufen, und es gab auch keinen. Denn das sogenannte Dritte Reich achtete auf die internationale Meinung und die öffentliche in Deutschland. Ein derartiges Pogrom wenige Monate vor den Olympischen Spielen in Berlin hätte dem Ansehen Deutschlands und der Spiele daselbst nur geschadet. Wie stark die Nazis auf die öffentliche Meinung Rücksicht nahmen, zeigte sich auch an der kurz vor der Pogromnacht beginnenden Euthanasie-Politik.
Helmut Klezl, Odenwald
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Meinung II
Daniel Neumann: »Das Ende der Zweistaatenlösung. Es ist eine unbequeme Wahrheit: Die Mehrheit der Palästinenser will keine Koexistenz. Sie will keinen Kompromiss. Sie will das, was die Palästinenser immer wollten: das Ende des jüdischen Staates«
Jüdische Allgemeine vom 3. Oktober
Ich wollte mich für diesen ausgezeichneten Artikel bedanken. Er bringt die aktuelle Situation mit der Zusammenfassung der dahinterliegenden ursächlichen historischen Ereignisse auf den Punkt. Die Analyse ist wirklich gut gelungen und die Schlussfolgerung daraus leider unausweichlich: Die Zweistaatenlösung ist am Ende, eigentlich hatte sie wohl nie eine Chance.
Walter Schmidt (per E-Mail)
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