Jubiläum

Lebensabend eines Tauchers

Claude Lanzmann Foto: Marco Limberg

Claude Lanzmann hat mit seinem neunstündigen Film Shoah Weltruhm erlangt. Er ist einer der geist- und eindrucksvollsten Intellektuellen der Sartreschen Epopöe. Wenn man so will, ist er einer der ältesten »Neffen« aus dem Hofstaat des Jahrhundertphilosophen vom Montparnasse. An diesem Freitag wird der Regisseur, Filmproduzent und Autor 90 Jahre alt.

Lanzmann war nicht nur einer der engsten Freunde Jean-Paul Sartres, sondern über sieben Jahre auch der Lebensgefährte von dessen Partnerin Simone de Beauvoir, mit der er zwei Jahre sogar auf engem Raum gutbürgerlich zusammengelebt hat. Allein schon diese Leistung im »juste milieu« der »Philosophie der Freiheit« mit ihrem linksliberalen Moraldünkel gilt es zu bestaunen.

Fresko Lanzmanns jüngstes Werk, dessen Titel an den Taucher auf dem berühmten Fresko im süditalienischen Paestum erinnert, versammelt eine Fülle von Reportagen, Erzählungen, Porträts und politisch kämpferischen Artikeln, die er seit 1947 vor allem für die von Sartre gegründete Zeitschrift »Les Temps modernes« verfasst hat – was ihn nicht davon abhielt, auch für konkurrierende Blätter zu schreiben.

Das Bild vom Taucher scheint der eigenen Stilisierung durchaus zu entsprechen. Denn wie das alles anfing und sich bis in unsere Tage weiterentwickelte, umkreist die Spanne eines abenteuerlichen Lebens, das seinesgleichen sucht.

Es hat etwas von einem Abschiednehmen, wenn Lanzmann schon im Vorwort aus Victor Hugos Gedicht »Der Schlaf des Boas« zitiert: »Allein bin ich, es sinkt der Abend mir herab, und meine Seele neigt, o Herr, sich auf das Grab, so wie des Ochsen Haupt zur Wasserkühle strebt.«

Er sieht sich am Lebensabend spiegelbildlich als Taucher, der seine Entscheidungen im Leben traf wie »Kopfsprünge, Sturzflüge ins Leere«. Die Texte, die Lanzmann ausgewählt hat, zeigen einen Autor, der fesselnd schreiben kann, sich in jede Polemik stürzt, dabei eine Lebensfreude und Vitalität ausstrahlt, die von plastischer Ausdrucksweise und präziser Sprachhaltung geprägt ist.

Soraya Das gilt für seine oft brillant geschriebenen Porträts des Pantomimen Marcel Marceau oder der Schauspieler Richard Burton und Jean-Paul Belmondo. Lanzmann hat als schreibender Reporter viel Prominenz aus der Nähe erlebt, mit den einzelnen Menschen gesprochen, sie ausführlich interviewt – unter anderem auch die unglückliche einstige persische Kaiserin Soraya. Daraus sind engagierte Texte entstanden, sensibel, rücksichtsvoll, ohne jedes geschmäcklerische Gehabe.

Auch seine Reportagen zeichnen sich durch klare Position und eine Parteinahme aus, wie man sie heutzutage nur noch selten zu lesen bekommt. Etwa in dem Text über einen katholischen Priester, der in einem Dorf seine heimliche Geliebte samt Fötus ermordet und am Ende mit einem milden Urteil davonkommt – aus Lanzmanns Sicht eine Kapitulation vor der Kirche. Die Geschichte des Priesters von Uruffe wühlte in den 50er-Jahren ganz Frankreich auf.

Die Reportagen über die Flucht des Dalai Lama und den ersten Besuch eines Papstes in Israel zeigen, wie empfänglich Lanzmann für die Andersartigkeit religiöser Grundstimmung seinerzeit war. Eindrucksvoll schildert er, wie der Dalai Lama »in einer violetten Mönchsrobe, auf dem Pony sitzend, ein letztes Mal die heilige Stadt und seinen Palast, den Potala«, betrachtet. »Da ist nichts, nicht einmal ein Seufzen, nichts Finsteres in seinem schönen göttlichen Blick.«

Sartre Der Autor, der sich als Kind noch scheute, sich zu seiner jüdischen Herkunft zu bekennen, macht aus seiner Anteilnahme am Schicksal Israels kein Hehl. Den jüdischen Staat hat er immer verteidigt gegen alles und jeden, auch gegen Sartre, dem er klarmachte, dass die Juden nicht auf die Antisemiten gewartet hätten, um zu existieren, und dass die Israelis ein Volk seien, das trotz Pogromen, Verfolgung und dem Holocaust auf seine Art ein Subjekt der Geschichte geworden sei.

Im Alter mag sich Lanzmann von manchen Emotionen innerlich entfernt haben. Doch der Völkermord an den europäischen Juden hat ihn damals wie heute nicht losgelassen: »Ich bin von der Welt weder übersättigt noch ermattet, und 100 Leben, das weiß ich nur zu gut, würden mich nicht müde machen.«

Claude Lanzmann: »Das Grab des göttlichen Tauchers. Ausgewählte Texte«. Aus dem Französischen von Erich Wolfgang Skwara. Rowohlt, Reinbek 2015, 543 S., 26,95 €

Andrea Kiewel

»Sollen die Israelis sich abschlachten lassen?«

Die »Fernsehgarten«-Moderatorin äußert sich im »Zeit«-Magazin erneut deutlich politisch zu ihrer Wahlheimat

 03.07.2025

Medien

»Ostküsten-Geldadel«: Kontroverse um Holger Friedrich

Der Verleger der »Berliner Zeitung« irritiert mit seiner Wortwahl in Bezug auf den jüdischen Weltbühne-Gründer-Enkel Nicholas Jacobsohn. Kritiker sehen darin einen antisemitischen Code

von Ralf Balke  03.07.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  03.07.2025

Sehen!

»Hot Milk«

Die Mutter-Tochter-Geschichte unter der Regie von Rebecca Lenkie­wicz ist eine Adaption des Romans von Deborah Levy

von Anke Sterneborg  03.07.2025

Aufgegabelt

Iced Tahini Latte

Rezepte und Leckeres

 02.07.2025

Essay

Wenn der Wutanfall kommt

Kleine Kinder können herausfordern. Was macht das mit Eltern? Reflexionen einer Mutter

von Nicole Dreyfus  02.07.2025

Meinung

Die Erforschung von Antisemitismus braucht Haltung und Strukturen

Damit die universitäre Wissenschaft effektiv zur Bekämpfung von Judenhass beitragen kann, muss sie zum einen schonungslos selbstkritisch sein und zum anderen nachhaltiger finanziert werden

von Lennard Schmidt, Marc Seul, Salome Richter  02.07.2025

Nach Skandal-Konzert

Keine Bühne bieten: Bob-Vylan-Auftritt in Köln gestrichen

Die Punkband hatte beim Glastonbury-Festival israelischen Soldaten den Tod gewünscht

 02.07.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 3. Juli bis zum 10. Juli

 02.07.2025