Roman

Kunst der Gefasstheit

Louis Begley wurde 1933 als Ludwik Begleiter in Stryi (damals Polen) geboren, arbeitete jahrelang als Rechtsanwalt und veröffentlichte 1991 seinen ersten Roman »Lügen in Zeiten des Krieges«. Foto: imago/STAR-MEDIA

Der Text springt einen an. Denn ein Telefon klingelt. Der 84-jährige Hugo Gardner, der sich gerade zum Lunch in seinem New Yorker Klub ein paar Straßen weiter aufmachen will, nimmt den Anruf entgegen und erfährt von einer Rechtsanwalts­stimme, dass sich seine Frau, mit der er 40 Jahre verheiratet war, scheiden lassen will.

Nicht will, sondern wird. Valerie, 20 Jahre jünger als Hugo, hat einen anderen. Der kommt ebenfalls aus der Upper Class, ist ihrem Alter gemäß, kultiviert, gut aussehend – und außerdem widere Hugo sie ohnehin schon sehr lange an.

schockschläge Hugo ist geschockt. Immer einmal wieder ist Hugo in Louis Begleys neuestem Roman Hugo Gardners neues Leben geschockt. Diese kleinen oder größeren Schockschläge verteilen sich sehr fein über die gesamte Story. Machen sie fast aus, verpassen ihr ihre spezielle Note.

Kleinere und größere Schockschläge verteilen sich sehr fein über die gesamte Story.

Und eigentlich sind es noch mehr die den Schocks folgenden nächsten Momente, in denen der Leser Hugo, der wachen Auges berichtet, bei einfach allem über die Schulter sieht. Da zeigt sich eine faszinierende, die Ereignisse annehmende Gelassenheit, eine über den Lauf der Dinge erhabene Souveränität. Da versteht sich einer auf die Kunst der Gefasstheit. So lässt sich weiterleben, trotz alledem und bis zum Schluss. In Hugos Leben wird immer sehr gut gegessen, immer sehr gut getrunken (man lässt sich da gerne »leise volllaufen«), immer noch gibt es sehr guten Sex.

OSTKÜSTE Man befindet sich schließlich in einer der Romanwelten Louis Begleys. Die ist weiß, wohlhabend und bevölkert von der Ostküsten-Elite. Damit muss man sich bei Begley abfinden. Louis Begley wurde 1933 in Stryi, damals Polen, heute in der Ukraine gelegen, geboren, als Ludwik Begleiter. Er hat mit seinen Eltern knapp überlebt. Man emigrierte in die USA. Fasste Fuß und kam nach oben. Auch diese »Geschichte« gehört zu den Romanen, die Begley schreibt, mit dazu, wie sehr er sich auch immer dagegen wehren mag, für Werkinterpretationen die Vita des Autors mit in die Waagschale zu werfen.

Für dieses trotz harter Schläge ruhige Treiben unseres Hugo hält er Mittel bereit, mit denen er in aller Meisterschaft umgeht. Begleys Romane, in denen oft sehr viel geredet, geplaudert, konversiert wird, verzichten auf Zitatstriche, ohne dass man sie je vermisste. Man gleitet durch die Gespräche. Und zu dieser an der Realität entlang schleifenden »So ist das Leben nun einmal«-Haltung passt eben auch, dass, was gesagt wurde, eventuell noch einmal gesagt wird zu einer anderen, noch unwissenden Person, und das stört nicht im Geringsten.

TOPJOURNALIST Hugo Gardner, in seinen jüngeren Jahren Topjournalist und Auslandskorrespondent des gewichtigen »Time Magazine«, weiß zusätzlich zu allem anderen Schlamassel um den Prostatakrebs, der in ihm schlummert, weiß um die Sorgen seiner lebensunsicheren Tochter Barbara, weiß um die irritierende Bieder- und Langweiligkeit seines Sohnes Rod.

Es geht auch um Donald Trump, der mitten im Buch zum Präsidenten der USA gewählt wird.

Interessiert geblieben, arbeitet er an einem Buch über die Bush-Administration und den Irakkrieg, das er während eines Kongresses in Paris vorstellen wird, der Stadt, die er sich schon in seiner Zeit als Journalist erobert, in der ihn ein stürmisches Liebesabenteuer in Bann geschlagen hatte. Jeanne gibt es noch. Sie kümmert sich um ihren sehr senilen Mann und nimmt Hugo voller Begierde mehr als nur in ihre Arme.

Hugo nimmt das alles einfach mit. Auch, dass er am Ende von diesem Zauberwesen Jeanne abserviert wird, so wie er sie damals abserviert hatte. Er nimmt alles mit, allerdings auch im sicheren Bewusstsein, dass es in Zürich ruhige Zimmer, ruhige Menschen gibt, die einen auf Wunsch in aller Ruhe ins Jenseits befördern.

therapien Hugo ist selbstbestimmt, und das ist sein Glück. Zum besorgten Arzt, der auf weitere Therapien dringt, die er allesamt ablehnt, sagt er: »Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin nicht lebensmüde. Ich liebe das Leben, auch wenn ich einsam und oft unglücklich bin. Aber ich möchte nach meinen eigenen Maßstäben leben.«

Es geht also um den wichtigen, kleinen Rest triumphierender Hoffnung, der am Leben hält und der dem Roman seinen melancholischen Ton gibt. Denn es geht ja auch um Donald Trump, der mitten im Buch zum Präsidenten der USA gewählt wird: »Siebenundsiebzigtausend Wähler in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania hatten das Land einem eingebildeten, böswilligen Arschloch ausgeliefert.« Und dabei ist das alles, dank Begley, noch äußerst unterhaltsam erzählt.

Louis Begley: »Hugo Gardners neues Leben«. Übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp, Berlin 2021, 235 S., 24 €

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