Öffentlichkeit

Kritischer Jude vom Dienst

Höre Israel: Rolf Verleger bei einer Kundgebung der Deutsch-Arabischen Gesellschaft vor dem Bundespräsidialamt am 30. Juli Foto: imago

Rolf Verleger ist in diesen Wochen ein vielzitierter Mann. Von ZDF und Deutschlandfunk über die Frankfurter Rundschau, die Badische Zeitung und die Junge Welt bis zur Website islam.de reicht das Spektrum der Publikationen, die dem Lübecker Psychologieprofessor ein Forum bieten. Und was er dort zu sagen hat, wird von anderen Medien gern aufgenommen und weiterverbreitet.

Zum Beispiel, dass »die Israelis in Gaza ein Massaker« anrichten, antisemitische Parolen auf Demonstrationen »Ausbrüche von verständlicher Empörung« sind und die hiesigen jüdischen Gemeinden mit ihrer Solidarität für Israel den Judenhass »geradezu herausfordern«. Zumal die Hamas moralisch im Recht ist: »Würden Sie der Gazabevölkerung das Recht absprechen, sich gegen den Terror Israels zu wehren?«

Fernsehen Soweit Rolf Verleger am 22. Juli im Deutschlandfunk. Drei Tage drauf im WDR sprach er von »einer nationalreligiösen Stimmung mit Tendenzen ins Faschistische«, die in Israel herrsche. An der Regierung seien »Leute, die sagen: Nur ein toter Araber ist ein guter Araber«. Und nicht nur der jüdische Staat sei verkommen: »Das Judentum war mal – in einem Satz formuliert – eine Religion der Nächstenliebe. Davon ist ja nun nichts zu spüren.«

Eine Woche zuvor hatte der 62-Jährige in der dezidiert antizionistischen linksradikalen »Jungen Welt« noch eine Schippe draufgelegt. Die israelischen Reaktionen auf den Mord an den drei Talmudschülern im Westjordanland seien, schrieb Verleger, ein »Pogrom« analog den berüchtigten Pogromen 1905 im Zarenreich. Wobei die Israelis schlimmer seien als die Russen: »›Tod den Juden‹ von damals, ›Tod den Arabern‹ von heute: Ein wesentlicher Unterschied zwischen der damaligen russischen Regierung und der israelischen Regierung von heute ist, dass letztere das Gewaltmonopol behalten will: Die anderen sollen nicht einfach von Rabauken und Wirrköpfen umgebracht werden, sondern strategisch gezielt von Experten.« Kein Wunder, dass »kein normaler Mensch mit solchen Rassisten noch etwas zu tun haben möchte.« Was Rolf Verleger wiederum optimistisch stimmt: »Das wird seine Wirkung haben. Auch das Zarenreich ist zusammengebrochen.«

minderheit Kämen solche Sätze von, sagen wir mal, dem Herrenboutiquebetreiber Erwin Lindemann aus Wuppertal, die Öffentlichkeit würde sie geflissentlich ignorieren. Aber Rolf Verleger ist nicht irgendwer oder -was. Er ist, worauf die Medien, die ihn zitieren, stets hinweisen, »selbst Jude«. Und nicht irgendein Feld-, Wald- und Wiesenjude, sondern ein leibhaftiges, wenn auch ehemaliges Direktoriumsmitglied des Zentralrats sogar.

In der Tat vertrat Rolf Verleger einige Jahre lang die Jüdische Gemeinde Lübeck und die Jüdische Gemeinschaft Schleswig- Holstein im Direktorium, bevor diese ihn abwählten, womit automatisch auch sein Sitz in dem Gremium verloren ging. Das war 2006, als der Psychologieprofessor im damaligen israelisch-libanesischen Krieg öffentlich gegen Israel und dessen Unterstützung durch den Zentralrat Stellung bezog. Seither beschränkt sich Rolf Verlegers öffentliches jüdisches Dasein auf seine Mitgliedschaft in einem Verein namens »Jüdische Stimme für gerechten Frieden im Nahen Osten« mit deutschlandweit ein paar Dutzend Aktivisten. Darauf hinzuweisen, ist Verleger ehrlich genug: »Ich bin ganz klar in der Minderheit«, sagte er dem Deutschlandfunk.

Warum bieten reputierliche Medien einem Mann ein Forum, der nur für sich selbst und eine irrelevante Minderheit unter Deutschlands Juden spricht? Rolf Verleger selbst mag glauben, dass es seine tiefgründigen Analysen des Nahostkonflikts sind, die ihm die mediale Aufmerksamkeit bescheren. Tatsächlich ist der Grund ein anderer.

Vor Jahren arbeitete ich bei einer viel gehörten aktuellen Sendung eines großen öffentlich-rechtlichen Senders. In Nahost war gerade mal wieder ein Krieg zwischen Israel und einem seiner Nachbarstaaten ausgebrochen. Wir diskutierten in der Planungskonferenz, wie man das Thema um neue, spannende Aspekte »weiterdrehen« könnte. »Es muss doch Juden geben, die das scheiße finden«, sagte ein Kollege. Und in der Tat fand sich ein solcher Jude, der am nächsten Morgen mit harschen Worten gegen Israel auf Sendung ging. (Persönliche Information: Ich war es nicht; aber ich habe die Person aufgetan. Wer’s war, verrate ich hier nicht. Die Sache ist inzwischen verjährt.)

sensationsfaktor So oder ähnlich wird es auch seit Ausbruch des derzeitigen Gazakriegs mutmaßlich in vielen Redaktionskonferenzen zugegangen sein. Denn, wer hätte es gedacht: Medien wollen in erster Linie nicht informieren, sondern vor allem Aufmerksamkeit schüren. Die erreicht man aber nicht durch die Vermeldung nüchterner Tatsachen. Sensationen müssen her.

Es gilt die alte Journalistenweisheit: »Hund beißt Mann« ist keine Nachricht, wohl aber »Mann beißt Hund«. Auf die aktuelle Lage in Nahost bezogen: »Juden unterstützen Israel« ist langweilig, weil bereits bekannt, »Jude kritisiert Israel« dagegen spannend, weil unerwartet. Wenn dieser Jude dann auch noch Sprüche loslässt, wie sie nichtjüdische Israel- und Judenhasser sich (noch) nicht trauen offen auszusprechen, gibt das der Geschichte noch zusätzliche Würze. Auch wenn es Rolf Verleger narzisstisch kränken mag: In der Medienlogik hat er in etwa denselben Stellenwert wie ein Kalb mit zwei Köpfen. Er ist die jüdische Freakshow im »israelkritischen« deutschen Medienzirkus.

Eine noch schlimmere Kränkung aber droht ihm wahrscheinlich beim unvermeidbaren nächsten Nahostkrieg in zwei, drei Jahren. Wenn dann in deutschen Redaktionen wieder ein kritischer Jude gesucht wird und jemand sagt: »Wie wär’s mit Rolf Verleger?«, wird es mutmaßlich heißen: »Den hatten wir schon beim letzten Mal. Gibt es nicht jemand Neuen?«

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