Spekulation

Koschere Fischsauce

Des Himmelsgottes Zorn: Touristen in Pompeji Foto: Ulrich Sahm

Den Untergang der antiken Stadt Pompeji deuteten manche jüdische Zeitgenossen als Strafe Gottes für die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Das glaubt jedenfalls Hershl Shanks. Shanks ist Herausgeber der angesehenen Zeitschrift Biblical Archeology Review und laut New York Times der »berühmteste Amateur unter biblischen Archäologen«. Weil die Zerstörung des ersten und des zweiten Tempels in Jerusalem sowie die Zerstörung Pompejis durch den Ausbruch des Vesuv fast auf den gleichen Tag im August fallen, prüfte Shanks, ob die Juden damals, vor 1931 Jahren, an eine göttliche Strafe glaubten.

Laut der Bibel (2. Könige 25,8 und Jeremias 52,12) zerstörten die Babylonier den Tempel Salomos am 7. oder 10. des Monats Av im Jahr 586 v.d.Z. Den zweiten Tempel des Herodes zerstörten römische Legionäre am 9. des Av im Jahr 70, also am 29. oder 30. August. Römischen Historikern zufolge brach der Vesuv im Jahr 79 um den 24. August aus und zerstörte Herculaneum, Pompeji, Stabia sowie andere Orte rund um das heutige Neapel. Augenzeugen beschrieben den Vulkanausbruch und den Untergang von Pompeji als apokalyptisches Ereignis.

zorn Shanks wollte wissen, ob es jüdische Reaktionen auf Pompeji gegeben habe. Der Harvard-Judaist Shaye Cohen riet ihm, die Sibyllinischen Orakel zu lesen. In diesem mutmaßlich von einem jüdischen Verfasser im Jahr 80, ein Jahr nach der Zerstörung Pompejis, geschriebenen Werk heißt es: »Schießt im italischen Land aus einer Erdkluft ein Feuerzeichen auf zum weiten Himmel und kehrt zurück, verbrennt gar viele Städte, vernichtet viele Männer, und viel schwarze Asche füllt den Himmel ... dann soll man draus des Himmelsgottes Zorn erkennen, weil man der Frommen Unschuldsvolk vernichten will.«

Shanks forschte weiter. Im 19. Jahrhundert entdeckte man in den Ruinen von Pompeji eine kaum noch lesbare lateinische Kohle-Inschrift an einer Hauswand: »Sodom und Gomorrah«. Plünderer oder ehemalige Besitzer des Hauses hinterließen sie wohl. Shanks prüfte, ob Juden in Pompeji gelebt haben. Dabei stieß er auf die früheste Darstellung einer biblischen Szene, des Urteils des Salomo (1. Könige 3, 16-18). Shanks fragt nicht, ob das Fresko von Juden oder von Frühchristen stammte.

essen Er fand zudem einen anderen kuriosen Beweis. Die Römer liebten Garum, eine Fischsauce. Da sie aus Seegetier hergestellt wird, ist sie nicht koscher. In Pompeji wurde der Garum-Laden eines Aulus Umbricius Scaurus entdeckt. Unter den dort gefundenen Amphoren tragen einige die Aufschrift GAR CAST: »Garum« und dann vielleicht »CASTimionale«, also rein, züchtig, unschuldig, einwandfrei. Das könnte laut Shanks »koscher« bedeuten. Bereits Plinius der Ältere erwähnte ein »anderes Garum« – womöglich ein koscheres Garum für Juden.

Widerspruch erhebt die Archäologin Hannah Cotton von der Hebräischen Universität. Sie schrieb über eine Garum-Amphore aus Masada am Toten Meer und behauptete, dass es auch andere Religionen mit Speisegesetzen gab, etwa den Isiskult. Shanks hält jedoch an seiner These fest, dass es eine jüdische Gemeinschaft in Pompeji gegeben habe und dass die Juden damals die Vernichtung Pompejis als Strafe Gottes für die Zerstörung des Tempels gesehen hätten. Wenn man bedenkt, dass Shanks vermeintlich sensationelle Entdeckung allein auf einem kaum lesbaren Grafitti und einem umstrittenen Koscherstempel auf einer Amphore für eine römische Fischsauce basiert, muss man wohl darauf warten, dass noch andere Anhaltspunkte gefunden werden.

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  17.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  16.11.2025

TV-Tipp

»Unser jüdischer James Bond«

Die Arte-Doku »Der Jahrhundert-Spion« erzählt die schillernde Lebensgeschichte des Ex-CIA-Agenten Peter Sichel, der seinerzeit den Ausbruch des Kalten Kriegs beschleunigte

von Manfred Riepe  16.11.2025

Aufgegabelt

Noahs Eintopf

Rezepte und Leckeres

 16.11.2025

Kunst

Illustrationen und Israel-Hass

Wie sich Rama Duwaji, die zukünftige »First Lady von New York«, auf Social Media positioniert

von Jana Talke  13.11.2025

Kino

Zwischen »Oceans Eleven« und Houdini-Inszenierung

»Die Unfassbaren 3« von Ruben Fleischer ist eine rasante wie präzise choreografierte filmische Zaubershow

von Chris Schinke  13.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 13.11.2025

Film

Dekadenz, Krieg und Wahnsinn

»Yes« von Nadav Lapid ist provokativ und einseitig, enthält aber auch eine tiefere Wahrheit über Israel nach dem 7. Oktober

von Sascha Westphal  13.11.2025