SEHEN!

Konfrontation mit der Vergangenheit

Wühlte 1979 die Bundesrepublik auf: die amerikanische Serie »Holocaust« Foto: WDR/Degeto

Es ist genau 40 Jahre her, dass die TV-Serie Holocaust erstmals im deutschen Fernsehen gezeigt wurde. Damals war der amerikanische Vierteiler ein Medienereignis, sowohl international als auch in Deutschland.

Fast jeder zweite Erwachsene in der Bundesrepublik verfolgte im Januar 1979 das Schicksal der jüdischen Arztfamilie Weiss. Die Serie konfrontierte die Westdeutschen in einer bis dato unbekannten Dimension mit ihrer Vergangenheit.

GEDÄCHTNIS Nun zeigen WDR, NDR und SWR Holocaust noch einmal. »Vielen der 20 Millionen Zuschauer brannten sich damals Bilder und Wahrheiten ins Gedächtnis, die man sich bis dahin trotz allem Wissen einfach nicht vorstellen wollte oder verdrängt hatte«, sagte WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, als er kürzlich die Wiederholung der Sendung ankündigte. »Ich selbst habe, wie viele meiner Generation, Holocaust mit der ganzen Klasse als 14-Jähriger im Unterricht gesehen. Es war erschütternd, das werde ich nie vergessen.«

Die Serie konfrontierte die Deutschen mit ihrer Vergangenheit.

Grund dafür, dass Holocaust so etwas wie eine Zäsur in der Rezeption der Judenvernichtung werden konnte, war die für die damalige Zeit ungewöhnliche Erzählform am Beispiel zweier fiktiver Familien, deren Schicksale miteinander verwoben wurden, und zwar die des jüdischen Arztes Josef Weiss sowie jener des Nazis Erik Dorf.

Nach den Worten des Schriftstellers Günther Anders würde diese Art der Darstellung dazu beitragen, eine »Repersonalisierung der Opfer« einzuleiten und sie so der Anonymität zu entreißen. Gedreht wurde die Serie übrigens auch an europäischen Schauplätzen, beispielsweise im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen sowie im Berliner Bezirk Wedding, der die Kulisse für das Warschauer Ghetto bot.

Deutsche Neonazis versuchten die Ausstrahlung mit Sprengsätzen zu verhindern.

NEONAZIS »Im Haus des Henkers wurde vom Strick gesprochen wie nie zuvor«, brachte damals der »Spiegel« das Ganze auf den Punkt. Das gefiel nicht jedem: Sprengsätze, gelegt von Neonazis, detonierten in Sendeanlagen, woraufhin in den Funkhäusern umfangreiche Sicherheitskontrollen eingeführt wurden.

Auch wurde immer wieder Kritik laut, dass es sich um eine US-Produktion handelt, was gleichbedeutend mit »oberflächlich« und »kitschig« zu verstehen war. Mit genau dieser Argumentation verweigerte damals die ARD die Ausstrahlung, weshalb die Dritten Programme die Aufgabe übernehmen sollten.

Bemerkenswert ist ebenfalls der gekürzte Schluss der deutschen Fassung: Während im Original die Überlebenden einen Neuanfang in Palästina wagen, gab es hierzulande nur einen Appell, über die Schoa nicht den Mantel des Schweigens auszubreiten.

»Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss«. WDR, NDR und SWR, Montag, 7. Januar, 22 Uhr

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024