Literatur

Kommunistisches KZ-Rührstück

1958 veröffentlichte der Schriftsteller und ehemalige Buchenwaldhäftling Bruno Apitz (1900–1979) seinen Roman Nackt unter Wölfen, der zu einem Welterfolg und zur antifaschistischen Heldenlegende der jungen DDR wurde. Drei Jahre später schottete sich der SED-Staat mit Mauer und Stacheldraht ab. Und wiederum zwei Jahre danach verfilmte Frank Bayer den Bestseller für die DEFA. Die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte eines jüdischen Kindes, das von kommunistischen Häftlingen des KZ Buchenwald auf abenteuerliche Weise gerettet wird, war in den Schulen der DDR Pflichtlektüre.

legende Bruno Apitz war Gründungsmitglied der SED. Doch bevor die literarische Verarbeitung seiner Häftlingszeit erscheinen durfte, musste er mehrfach das Manuskript umschreiben und kürzen, bis es die von der Partei vorgegebene Sprachregelung und historische Deutung erfüllte. Die jetzt von Susanne Hantke und Angela Drescher betreute, wie das Original von 1958 bei Aufbau erschienene Neuausgabe von Nackt unter Wölfen räumt gründlich mit der freilich nicht nur durch die Zensur verursachten Legendenbildung vom heroischen Widerstandskampf der Kommunisten im KZ auf.

Fest steht, dass Apitz die Überlebensgeschichte des jüdischen Jungen Stefan Jerzy Zweig nur vom Hörensagen kannte. Gesicherte Erkenntnis ist ferner, dass der Junge, der als Erwachsener das ehemalige Lager später besucht und dabei vermutlich auch mit Apitz gesprochen hat, nur überleben konnte, weil sein Vater ihn geschickt versteckt hatte. Die Partei hatte mit Jerzy Zweigs Überleben wenig zu tun.

Bruno Apitz ließ dennoch nichts unversucht, um seine völlig fiktive Geschichte vom heldenmütigen und opferbereiten Einsatz der kommunistischen Untergrundorganisation im Lager als authentischen Tatsachenbericht darzustellen. Dabei verschwieg er auch, dass es nicht die Sowjetarmee, sondern die Amerikaner – im Parteijargon »US-Imperialisten« – gewesen waren, die Buchenwald im April 1945 befreit hatten. In späteren Jahren musste der Autor dann etliche Winkelzüge unternehmen, um seinen Lesern zu erklären, »weshalb er seine Kindfigur namens Stefan Cylik zu einer Waise stilisiert und damit den Vater aus der Romanhandlung verbannt hatte«, wie Susanne Hantke im Nachwort berichtet.

linie Der Hauptgrund für solch »dichterische Freiheit« war ideologischer Natur. Für die SED zählte nur der kommunistische Widerstand als »Hohelied menschlicher Solidarität über die Barbarei des Faschismus«.

Am Schluss des Romans geben die Kommunisten im Lager den Befehl zum bewaffneten Häftlingsaufstand mit dem von ihnen geretteten jüdische Jungen als quasi Galionsfigur: »Einer Nussschale gleich schaukelte das Kind über den wogenden Köpfen. Im Gestau der Gestapo quirlte es durch die Enge des Tores, und dann riss es der Strom auf seinen befreiten Wellen mit sich.« »Mit der Zeit«, heißt es im Nachwort, habe Apitz wohl selbst an die Wahrheit seiner erfundenen Geschichte geglaubt.

Bruno Apitz: »Nackt unter Wölfen«. Neuausgabe. Hrsg. von Susanne Hantke und Angela Drescher, Aufbau, Berlin 2012, 586 S., 22,99 €

Bonn

Beethoven-Haus zeigt Ausstellung zu Leonard Bernstein

Die lebenslange Beschäftigung des Ausnahmetalents mit Beethoven wird dokumentiert

 25.04.2024

Potsdam

Chronist der neuen Weiblichkeit

Das Museum Barberini zeigt Modiglianis Menschenbilder in neuem Licht

von Sigrid Hoff  25.04.2024

München

Ausstellung zeigt Münchner Juden im Porträt

Bilder von Franz von Lenbach und anderen sind zu sehen

 25.04.2024

Wien

Spätwerk von Gustav Klimt für 30 Millionen Euro versteigert

Der Künstler malte das »Bildnis Fräulein Lieser« kurz vor seinem Tod

 25.04.2024

Los Angeles

Barbra Streisand: Lovesong als Zeichen gegen Antisemitismus

Für die Serie »The Tattooist of Auschwitz« singt sie das Lied »Love Will Survive«

 25.04.2024

Kommentar

AfD in Talkshows: So jedenfalls nicht!

Die jüngsten Auftritte von AfD-Spitzenpolitikern in bekannten Talk-Formaten zeigen: Deutsche Medien haben im Umgang mit der Rechtsaußen-Partei noch viel zu lernen. Tiefpunkt war das Interview mit Maximilian Krah bei »Jung & Naiv«

von Joshua Schultheis  24.04.2024

Meinung

Der Fall Samir

Antisemitische Verschwörungen, Holocaust-Relativierung, Täter-Opfer-Umkehr: Der Schweizer Regisseur möchte öffentlich über seine wirren Thesen diskutieren. Doch bei Menschenhass hört der Dialog auf

von Philipp Peyman Engel  22.04.2024

Essay

Was der Satz »Nächstes Jahr in Jerusalem« bedeutet

Eine Erklärung von Alfred Bodenheimer

von Alfred Bodenheimer  22.04.2024

Sehen!

Moses als Netflix-Hit

Das »ins­pirierende« Dokudrama ist so übertrieben, dass es unabsichtlich lustig wird

von Sophie Albers Ben Chamo  22.04.2024