Film

Kino übers Kino

Woody Allen reinszeniert in »Rifkin’s Festival« Szenen aus beliebten Klassikern, ansonsten aber wirkt die Komödie brav und einfallslos

von Jens Balkenborg  07.07.2022 15:00 Uhr

Filmszene mit Wallace Shawn und Elena Anaya Foto: 2020 The Media Pro Studio, Gravier Productions, Inc, and Wildside S.L.R.

Woody Allen reinszeniert in »Rifkin’s Festival« Szenen aus beliebten Klassikern, ansonsten aber wirkt die Komödie brav und einfallslos

von Jens Balkenborg  07.07.2022 15:00 Uhr

Seine Produktivität ist nach wie vor atemberaubend. Woody Allen dreht nicht ganz, aber doch fast jedes Jahr einen Film. In Zahlen: Mit Rifkin’s Festival präsentiert der seit 56 Jahren auf dem Regiestuhl sitzende, heute 86-jährige Filmemacher seinen 49. (!) Film, mal nur die eigenen Regiearbeiten, nicht die reinen Drehbücher gezählt.

Allen ist ein geliebtes wie gehasstes Stück Filmgeschichte. Geliebt, weil er dem Kino mit seinen neurotisch-verschwätzten Klassikern wie Der Stadtneurotiker oder Manhattan, der Dostojewski-Neuinterpretation Match Point, seinen Charakterstudien Whatever Works und Blue Jasmine sowie mit vielen anderen Filmen eine Menge geschenkt hat.

Gehasst von vielen wegen den medial durchgewalzten, von Allen bestrittenen Missbrauchsvorwürfen durch seine frühere Lebensgefährtin Mia Farrow und der gemeinsamen Adoptivtochter Dylan Farrow. Allen soll die damals Siebenjährige sexuell missbraucht haben – eine bis heute nicht aufgelöste Geschichte, die Hollywood seit 30 Jahren beschäftigt.

FILMLIEBHABER Auch in Rifkin’s Festival schreibt sich Allen, dessen Filme etwas von einer kinematografischen Psychoanalyse haben, selbst in das Skript. Hier ist sein Mehr-oder-weniger-Alter-Ego Mort Rifkin (Wallace Shawn), ein gealterter Filmliebhaber, der seine Frau, die PR-Agentin Sue (Gina Gershon), zum Filmfestival nach San Sebastián begleitet.

»Rifkin’s Festival« nimmt eine vermeintliche Wirklichkeit zum Anlass für eine Ode an das Kino.

Mort wirft ein Auge auf Sue, die wiederum, sehr zum Unmut ihres cinephilen Mannes, ein Auge auf ihren jungen, erfolgreichen Klienten, den Regisseur Philippe (Louis Garrel), geworfen hat. Sues Geschwärme, dass Philippe in seinem nächsten Film Araber und Israelis versöhnen wolle, kontert Mort mit: »Ah, er macht jetzt Science-Fiction.« Sand im Beziehungsgetriebe ist programmiert, und auch dass Mort sich in die wesentlich jüngere Ärztin Jo Rojas (Elena Anaya) verguckt, überrascht nicht wirklich.

Man hat das alles schon oft bei Woody Allen gesehen: die liebeszweifelnden älteren und jüngeren Typen, das intellektuelle Allen’sche Gerede und sein metareflexives Spiel mit Kino und Wirklichkeit.

WELTPREMIERE Der Film spielt auf dem Filmfestival in San Sebastián, wo er auch Weltpremiere feierte, und stellt sich ganz bewusst gegen einen Satz, den Philippe einmal sagt: »Heute wird jeder Film, der sich nicht mit der Wirklichkeit auseinandersetzt, von Kritikern hoch gelobt.« Rifkin’s Festival nimmt eine vermeintliche Wirklichkeit zum Anlass für eine Ode an das Kino.

Woody Allen hätte gut daran getan, seinem Film mehr Leben einzuhauchen.

Das mag bisweilen Charme haben, etwa wenn Allen seine geliebten Klassiker nicht nur zitiert, sondern ganze Szenen daraus reinszeniert. Einmal sitzen Mort und Sue in Godard’scher Außer Atem-Manier auf dem Bett und diskutieren, ein anderes Mal liegen die beiden gemeinsam mit Philippe wie in François Truffauts Jules und Jim am Strand. Vielleicht doch eine Ménage-à-trois? Am Ende gibt Christoph Waltz den Schach spielenden Tod in einer Hommage an Ingmar Bergmans Das siebente Siegel.

Insgesamt ist Rifkin’s Festival aber eine recht müde und brave Nummer, selten sind die Gespräche so pointiert wie bei den bereits erwäh
nten Arabern und Israelis. Auch die Mechanik der Erzählung ist spürbar und einfallslos: Es passiert das Erwartbare, bevor Mort mal wieder träumt und eine Klassiker-Hommage folgt und so weiter und so fort.

»Das Leben ist unbedeutend, aber nicht leer, füllen Sie es«, heißt es in existenzialistischer Manier am Ende. Woody Allen hätte gut daran getan, seinem Film mehr Leben einzuhauchen.

Der Film läuft ab 7. Juli in den Kinos.

Restitution

Horten und die schmutzige Diamanten

Bei Christieʼs sorgt eine Juwelen-Versteigerung für Ärger. Nicht nur jüdische Organisationen stören sich an dem Verkauf – aus gutem Grund

von Ralf Balke  10.06.2023

Aufgegabelt

Erdbeer-Dattel-Eis

Rezepte und Leckeres

 10.06.2023

Rezension

Über Istanbul nach Palästina

Ein neues Buch beleuchtet, welche Rolle die Türkei für jüdische Flüchtlinge aus Südeuropa spielte

von Stephen Tree  10.06.2023

Literatur

Zur Verlumpung der Kunst

Ein Blick in die Feuilletons von Lion Feuchtwanger über die NS-Zeit

von Daniel Hoffmann  10.06.2023

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  09.06.2023

Film

Künstlerischer Extremismus

Im Thriller »How to Blow Up a Pipeline« widmet sich Regisseur Daniel Goldhaber gewalttätigen Umweltaktivisten in Texas

von Jens Balkenborg  08.06.2023

Musik

Der Hyperaktive

Omer Meir Wellber wird Generalmusikdirektor der Hamburger Staatsoper. Ein Porträt

von Stephen Tree  08.06.2023

Glosse

Der Rest der Welt

Begegnungen der dritten Art oder Mit Israelis im Fitnessstudio

von Ayala Goldmann  08.06.2023

Studie

Hoffnung für Blutkrebspatienten

Israelischen Forschern gelingt bahnbrechender Durchbruch in der Behandlung des Multiplen Myeloms

von Lilly Wolter  08.06.2023