Rom

Kein »vatikanischer Schindler«

Papst Pius XII. Foto: dpa

Rom

Kein »vatikanischer Schindler«

Der Film »Shades of Truth« über Papst Pius XII. als Judenretter sorgt für Kritik

 02.03.2015 18:08 Uhr

Ein neuer Film über den wegen seiner Haltung zum Holocaust umstrittenen Papst Pius XII. als Retter von angeblich 800.000 Juden sorgt bereits vor der Premiere für heftige Kritik. Jüdische Historiker bezeichneten die Behauptung als abwegig, der Papst habe eine derart hohe Zahl an Juden vor der Deportation gerettet, wie die Mailänder Tageszeitung »Corriere della Sera« berichtete. Der Film Shades of Truth sollte am Montag in Rom bei einer Voraufführung erstmals einem ausgesuchten Publikum gezeigt werden.

Der in Rom, Berlin, Lissabon und New York gedrehte Film erzählt die Geschichte eines jüdischen US-Journalisten, der durch Recherchen im Vatikan von seinem negativen Urteil über den Papst der Hitler-Zeit abkommt. Nach den Worten von Regisseurin Liana Marabini verdient Pius XII. wegen der Rettung von 800.000 Juden in ganz Europa den Titel »vatikanischer Schindler«. In dem Film spielen Stars wie Christopher Lambert und Giancarlo Giannini sowie der deutsche Schauspieler Gedeon Burkhard mit. In einer Sequenz trägt Pius XII. neben dem päpstlichen Brustkreuz einen gelben Davidstern.

these Der wissenschaftliche Leiter der italienischen Stiftung Shoah-Museum, Marcello Pezzetti, bezeichnete die in dem Film vertretene Behauptung, Pius XII. habe 800.000 Juden das Leben gerettet, als »abwegig«. Die These sei rein ideologisch motiviert, auch katholische Historiker könnten sie nur belächeln. Überdies tue der Vergleich mit dem Judenretter Oskar Schindler (1908–1974) dem katholischen Kirchenoberhaupt unrecht. Schindler habe als fanatischer Nationalsozialist Juden als rassisch minderwertig angesehen, davon könne bei Pius keine Rede sein, so Pezzetti. Ebenso wenig habe es bei Pius einen radikalen Sinneswandel wie bei Schindler gegeben, der später 1100 Juden rettete.

Die italienische Zeitung »Pagine ebraiche« kommentierte den bevorstehenden Kinostart mit den Worten: »Die Archive bleiben geschlossen, aber in der Zwischenzeit schenkt uns das katholische Kino noch einen Film, der die Geschichte umschreibt.« Historiker rechnen damit, dass die Öffnung der vatikanischen Archivbestände aus dem Pontifikat von Pius XII. durch Papst Franziskus in absehbarer Zeit bevorsteht.

trailer Das Filmunternehmen Condor, das Shades of Truth produzierte, bezeichnet Pius XII. im Trailer als die »am meisten missverstandene Figur des 20. Jahrhunderts«. Der Papst, mit bürgerlichem Namen Eugenio Pacelli, gilt wegen seiner Haltung gegenüber dem Massenmord an den europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg bis heute als umstritten.

Ein bereits 1965 begonnenes Seligsprechungsverfahren ist noch immer nicht abgeschlossen. Papst Benedikt XVI. stieß 2009 mit der Anerkennung des »heroischen Tugendgrads« für seinen Vorgänger, der in Roms Kirchen zahlreiche Juden verstecken ließ, auf Kritik. epd

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  24.11.2025

TV-Tipp

Ein äußerst untypischer Oligarch: Arte-Doku zeigt Lebensweg des Telegram-Gründers Pawel Durow

Der Dokumentarfilm »Telegram - Das dunkle Imperium von Pawel Durow« erzählt auf Arte und in der ARD-Mediathek die Geschichte der schwer fassbaren Messengerdienst-Plattform-Mischung und ihres Gründers Pawel Durow

von Christian Bartels  24.11.2025

Nachruf

Das unvergessliche Gesicht des Udo Kier

Er ritt im Weltall auf einem T-Rex, spielte für Warhol Dracula und prägte mit einem einzigen Blick ganze Filme. Udo Kier, Meister der Nebenrolle und Arthouse-Legende, ist tot. In seinem letzten Film, dem Thriller »The Secret Agent«, verkörpert er einen deutschen Juden

von Christina Tscharnke, Lisa Forster  24.11.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  24.11.2025

Nürnberg

»Tribunal 45«: Ein interaktives Spiel über die Nürnberger Prozesse

Darf man die Nürnberger Prozesse als Computerspiel aufarbeiten? Dieses Spiel lässt User in die Rolle der französischen Juristin Aline Chalufour schlüpfen und bietet eine neue Perspektive auf die Geschichte

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Sderot

Zweitägiges iranisches Filmfestival beginnt in Israel

Trotz politischer Spannungen will das Event einen Dialog zwischen Israelis und Iranern anstoßen

von Sara Lemel  24.11.2025

Genetik

Liegt es in der Familie?

Eierstockkrebs ist schwer zu erkennen. Warum ein Blick auf den Stammbaum nützen kann

von Nicole Dreyfus  23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025