Geburtstag

Kein Schmusejude

Seine Warnungen vor dem politischen Islam lesen sich heute fast prophetisch: Michael Wolffsohn Foto: Uwe Steinert

Deutsch-jüdischer Patriot» ist eine Selbstetikettierung, die erst einmal Verwunderung, nicht selten sogar Widerspruch hervorruft. Besonders dann, wenn man wie Michael Wolffsohn, der am 17. Mai 70 Jahre alt wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg als Sohn einer aus Nazi-Deutschland geflohenen jüdischen Kaufmannsfamilie 1947 in Tel Aviv geboren wurde, die bereits 1954 zurück nach West-Berlin zog.

Nach dem Abitur am Wilmersdorfer Walther-Rathenau-Gymnasium sowie dem Studium der Volkswirtschaft und Geschichte an der Freien Universität Berlin, das er für den dreijährigen Wehrdienst bei den israelischen Streitkräften unterbrach, begann er 1981 seine akademische Karriere an einem Ort, an dem man Juden sonst selten trifft: der Universität der Bundeswehr in München, wo Wolffsohn bis zu seiner Emeritierung 2012 Neuere Geschichte lehrte.

Zahal Dort war er aufgrund seiner Zeit bei Zahal wohl einer der wenigen Experten, die auch über ganz reale Kampferfahrung verfügten. Genau deswegen verstand Wolffsohn im Unterschied zu den meisten anderen etwas davon, was es heißt, Soldat gewesen zu sein. Und darum wurde er von notorischen Rechtsextremen auch immer wieder angefeindet, die seine Loyalität zu Deutschland infrage stellten.

Aber nicht nur über reichlich historische und militärische Expertise verfügt er. Darüber hinaus erwarb sich Wolffsohn durch seine unzähligen Veröffentlichungen und Diskussionsbeiträge den Ruf, einer der profiliertesten und streitbarsten politischen Publizisten in Deutschland zu sein. Mit Büchern wie Verwirrtes Deutschland? oder Meine Juden – Eure Juden verfasste er Schriften, in denen er den Deutschen einen «unaggressiven, nach innen gewendeten Nationalismus» nahelegte.

In den 90er-Jahren ging das manchen gegen den Strich. Henryk M. Broder nannte ihn «meinen rechtsradikalen Freund», und Ignatz Bubis, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, bezeichnete ihn als «Vorzeigejuden» der deutschen Rechten sowie «Juden- und Israelreferenten der ARD». Was überraschen dürfte: In seiner Zeit in Israel hatte Wolffsohn einmal die linke Partei des Friedensaktivisten Uri Avnery gewählt.

Heute dürften viele seiner Kritiker von einst ähnlich denken wie er. Und auch Wolffsohn verstand es schon immer, kräftig auszuteilen. «Als Schmusejude steh’ ich nicht zur Verfügung», schrieb er einmal. So bezeichnete er vor Jahren die jüdischen Gemeinden als «religiös entleert» und «bessere Kaninchenzüchtervereine». Später revidierte er seine Haltung und wurde 2008 sogar Vorstandsmitglied und Kulturreferent der Israelitischen Kultusgemeinde in München. 2009 aber trat er aufgrund «unüberbrückbarer inhaltlicher und organisatorischer Differenzen» von diesem Amt wieder zurück. Die jüdischen Gemeinden machten es ihm nicht leicht und er es ihnen nicht.

Islam Manche seiner Texte von damals klingen heute fast prophetisch – vor allem, wenn es um den Vormarsch und das Bedrohungspotenzial des politischen Islam geht. Zudem hat Wolffsohn mit seinen Forschungsarbeiten wichtige Beiträge dazu geleistet, die Legende von der DDR als antifaschistischem Staat ohne braune Traditionen oder Antisemitismus kräftig zu erschüttern.

Und auch der Erhalt eines Musterprojekts moderner Städtebauplanung und des Reform-Wohnungsbaus in Berlin geht auf sein Konto. Denn sein Großvater, der Filmpionier und Verleger Karl Wolffsohn, hatte in den 20er-Jahren die «Gartenstadt Atlantic» nahe dem Gesundbrunnen im Wedding mitfinanziert. Sie wurde von den Nazis «arisiert», aber nach dem Zweiten Weltkrieg an die Familie Wolffsohn zurückgegeben.

Die Komplettsanierung der unter Denkmalschutz stehenden Anlage erfolgte mit Mitteln aus Michael Wolffsohns eigenem Vermögen. Jetzt ist sie ein vielfach ausgezeichnetes deutsch-jüdisch-türkisch-interkulturelles Wohn- und Integrationsprojekt mit Vorbildcharakter. Die Bezeichnung «deutsch-jüdischer Patriot» bekommt auf diese Weise eine weitere, ungeahnte Bedeutung.

Holzstörche zur Geburt in Niederösterreich. Noch immer werden neben den klassischen Namen viele biblische Namen den Kindern gegeben.

Statistik

Diese hebräischen Vornamen in Österreich sind am beliebtesten

Österreichische Eltern wählen gern Klassiker. Unter den Top Ten sind auch viele Namen biblischen Ursprungs

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Sie ging über Leichen: Doku »Riefenstahl« zeigt eine überzeugte Nationalsozialistin

Das Erste zeigt Andres Veiels vielschichtigen Dokumentarfilm über Leben und Wirken von Hitlers Lieblingsregisseurin Leni Riefenstahl. Der Film geht auch der Frage nach, wie ihre Filme bis in die Gegenwart ausstrahlen

von Jens Hinrichsen  19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025