TV-Kritik

»Kein Judentum to go«

Sieben Wochen ist es her, dass ein Urteil des Landgerichts Köln öffentlich wurde, wonach die religiöse Beschneidung von Jungen strafbar sei. Sieben Wochen, in denen sich jeder, der eine Meinung – oder auch keine – zur Beschneidung hat, zu Wort melden konnte. Auch der ARD-Talk »Menschen bei Maischberger« hat am Dienstagabend das Thema aufgegriffen.

Eingeladen hatte Sandra Maischberger den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, die Islamkritikerin Necla Kelek, Christa Müller von der Linkspartei und Baden- Württembergs Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). Die beiden Ärzte Sebastian Isik und Wolfgang Bühmann ergänzten die Runde mit Erfahrungen aus der Praxis.

Komiker-Nation In den sieben Wochen hat sich einiges getan. Dass sich die Debatte spätestens seit Angela Merkels Aussage, Deutschland mache sich zur Komiker-Nation, wenn es die Beschneidung verbieten würde, auch auf Bundesebene abspielt, sieht man an der großen Zahl von Politikern, die sich seitdem zu Wort gemeldet haben.

Wie soll Deutschland nun mit der religiösen Beschneidung umgehen? Ist es, wie Maischberger fragte, ein »Glaubenskrieg oder eine lächerliche Debatte«? Dieter Graumann betonte die »elementare Bedeutung« der Brit Mila. »Sie vereint uns alle« und sei »ein Stück Selbstbehauptung im Sturm der Geschichte«. Ganz anders sah das Christa Müller, die als Vorsitzende des Vereins »(I)NTACT« gegen Mädchenbeschneidung in Afrika kämpft. An der Linken-Politikerin ließ sich das wohl größte Problem der Debatte erkennen: Zu viele wissen nur wenig oder gar nichts über die Beschneidung von Jungen.

Während Müller beinahe auf jede Frage den Dreh zur Gleichsetzung von Mädchen- und Jungenbeschneidungen fand, argumentierte die Islamkritikerin und Frauenrechtlerin Necla Kelek eher aus persönlichen Erfahrungen in ihrem Umfeld. Sie erzählte von der Beschneidung ihrer Neffen und welches Trauma dieser Eingriff bei ihnen hinterlassen habe. Bei einem Kind nämlich beginne die Schamphase genau mit sechs Jahren, das hätte schon Sigmund Freud gewusst. Und der, das wiederum wusste wiederum Dieter Graumann, war auch beschnitten.

Trauma Das große Wort Trauma. Kelek, die sich gerade diesem Aspekt mit großer Angriffslust widmete, setzte der – wie Graumann sagte – »4.000-jährigen Erfahrung« Hypothesen von Traumaforschern entgegen. Das wiederum fand Bilkay Öney, die nur ab und an wirklich aus sich herauskam, »schwierig«, weil Kelek als Soziologin doch sehr persönlich argumentierte.

Ganz pragmatisch wurde es dann mit den Ärzten Sebastian Isik und Wolfgang Bühmann, die sich mit ihren praktischen Erfahrungen schon fast einen Wettstreit lieferten. So könne Isik in fünf bis sieben Minuten beschneiden, und Bühmann blickt auf exakt 1.012 derartige Eingriffe zurück.

Isik, der Sandra Maischberger mit seinen Argumenten pro Beschneidung und Hygiene teilweise zum Grinsen brachte, ist überzeugt, je früher die Beschneidung durchgeführt würde, desto besser sei es. »In dieser Angelegenheit liebe ich die Juden«, sagte der Hamburger Arzt, der en detail die Funktion der Vorhaut beschrieb. Allein sein Wort »Unterhosenfusselsammelstelle« wird wohl nachhaltig im Gedächtnis der Zuschauer haften bleiben.

Trotzdem: Die Probleme, die die unsichere Rechtslage mit sich bringt, die Zwickmühle, in der Ärzte stecken, wie es Bühmann beschrieb, und auch die Frage, ob man Kinder letztendlich selbst entscheiden lassen sollte, ob sie beschnitten werden wollen, blieben während der 75-minütigen Sendung ungeklärt.

Christa Müller jedenfalls ist als Katholikin überzeugt, dass sich Religion der Zeit anpassen müsse. Allerdings, so antwortete Dieter Graumann, wäre es undenkbar, »Weihnachten im Sommer« zu feiern. Denn: »Religiöse Regeln kann man nicht wie Steuergesetze ändern. Ein Judentum to go. Das geht nicht.« Letztendlich sei die Debatte ein »Toleranztest«, der die Kernfrage stelle: »Wie viel des anderen sind wir bereit hinzunehmen?«

Nicht hinnehmbar fand Graumann die offenen und versteckten Vorwürfe der Kindesmisshandlung. Die Unterstellung, Juden würden ihren Kindern mutwillig Schaden und Schmerzen zufügen, nannte Graumann »tief verletzend«. Jüdische Eltern würden für ihre Kinder durchs Feuer gehen und hätten es auch schon getan, betonte der Zentralratspräsident.

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025

Haskala

Medizin für die jüdische Nation

Aufgeklärte jüdische Ärzte sorgten sich um »Krankheiten der Juden«. Das wirkte auch im Zionismus nach

von Christoph Schulte  15.07.2025

Literatur

Vom Fremden angezogen

Die Schriftstellerin Ursula Krechel, Autorin des Romans »Landgericht«, wird mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet

von Oliver Pietschmann  15.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  15.07.2025

Musik

Zehntes Album von Bush: »Wie eine Dusche für die Seele«

Auf ihrem neuen Album gibt sich die britische Rockband gewohnt schwermütig, aber es klingt auch Zuversicht durch. Frontmann Gavin Rossdale hofft, dass seine Musik Menschen helfen kann

von Philip Dethlefs  15.07.2025

Medien

Die Deutsche Welle und Israel: Mitarbeiter werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor

Die Hintergründe

von Edgar S. Hasse  14.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte. Bis er eine entscheidende Rolle von den Coen-Brüdern bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  14.07.2025

Musik

Der die Wolken beschwört

Roy Amotz ist Flötist aus Israel. Sein neues Album verfolgt hohe Ziele

von Alicia Rust  14.07.2025

Imanuels Interpreten (11)

The Brecker Brothers: Virtuose Blechbläser und Jazz-Funk-Pioniere

Jazz-Funk und teure Arrangements waren und sind die Expertise der jüdischen Musiker Michael und Randy Brecker. Während Michael 2007 starb, ist Randy im Alter von fast 80 Jahren weiterhin aktiv

von Imanuel Marcus  14.07.2025