Nachruf Ernst Nolte

Ins Abseits geschrieben

Zum Tod des umstrittenen Historikers und Faschismusforschers

von Michael Brenner  23.08.2016 21:46 Uhr

Ernst Nolte (1923–2016) Foto: dpa

Zum Tod des umstrittenen Historikers und Faschismusforschers

von Michael Brenner  23.08.2016 21:46 Uhr

Es gibt Menschen, die man in völlig anderer Erinnerung behalten würde, wenn sie zu einem anderen Zeitpunkt gestorben wären. Wäre der Historiker Ernst Nolte 1985 verstorben, so hätten wir ihn als einen der wichtigsten deutschen Intellektuellen seiner Zeit in Erinnerung behalten.

Ein Nachruf hätte seine vergleichende Betrachtung totalitärer Bewegungen des 20. Jahrhunderts, Der Faschismus in seiner Epoche (1963), als historisches Standardwerk gepriesen, seine Redebeiträge als rhetorische Meisterleistungen hervorgehoben und den Berliner Geschichtsprofessor als einen der Herausgeber der Briefe und Tagebücher Theodor Herzls erwähnt.

Historikerstreit Nun lebte der 1923 in Witten als Sohn eines Volksschullehrers geborene Nolte allerdings noch weitere 30 Jahre und wird der Nachwelt vor allem in einem Zusammenhang im Gedächtnis bleiben: als ein von den Rechten gefeierter Geschichtsrevisionist, dessen 1986 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichter Aufsatz über das Nichtvergehen der Vergangenheit eine vehemente Reaktion von Jürgen Habermas und damit den Historikerstreit auslöste. Nolte skizzierte darin seine Grundthese, die Verbrechen des Nationalsozialismus seien im Grunde genommen eine Reaktion auf die Verbrechen des Bolschewismus.

Der Heidegger-Schüler, der vehement die Einzigartigkeit des Holocaust bestritt, machte sich in diesem Aufsatz zum Anwalt des gemeinen Volks, dem ein Maulkorb vorgehalten werde, und fragte: »Steckt nicht in vielen Argumenten und Fragen ein Kern des Richtigen, die gleichsam eine Mauer gegen das Verlangen nach immer fortgehender ›Auseinandersetzung‹ mit dem Nationalsozialismus aufrichten?« Sei es nicht etwa erlaubt zu fragen, so Nolte weiter, ob so mancher nicht persönliche Interessen verfolge, wenn er von dieser Vergangenheit nicht lassen wolle? Nolte gab damit den Ton für viele folgende Befürworter des Schlussstrichgedankens an, allen voran Martin Walser in seiner Frankfurter Paulskirchenrede 1998.

Thesen Nolte hätte sich korrigieren, gar entschuldigen können. Er ritt sich aber immer tiefer hinein in den Schlamassel. Seine folgenden Bücher untermauerten und radikalisierten seine Thesen von 1986, kritische Beobachter sahen nun in seiner klassischen Faschismusstudie Anzeichen zur Relativierung des Nationalsozialismus, er durfte nicht Herausgeber der Herzl-Schriften bleiben. Nolte betrachtete Hitlers Kriegserklärung an die Juden als Reaktion auf Chaim Weizmanns Bekenntnis zu England, griff das Verbot der Holocaustleugnung scharf an und erklärte 1994 in einem Interview, dass man nicht ausschließen könne, dass mehr Holocaust-Opfer durch Seuchen zugrunde gingen als in den Gaskammern.

Anfang der 90er-Jahre wurde ich als Gasthörer einer seiner Vorlesungen selbst Zeuge seiner nun am äußersten rechten Rand angekommenen Auffassungen. Er sprach damals vor den Anfangssemestern unbekümmert von der angeblichen Zustimmung zu den Nürnberger Gesetzen aus zionistischen Kreisen, illustrierte die vermeintlichen Affinitäten zwischen Nationalsozialismus und Zionismus mit den Wandschmierereien ultraorthodoxer Juden und zitierte andauernd ›einen britischen Historiker‹, dessen Namen zu nennen er sich auch nach mehrfachem Fragen eines Studenten beharrlich weigerte. Es war offensichtlich, dass er damit den Holocaustleugner David Irving meinte, wie er auch anerkennend von einem ›französischen Politiker‹ sprach, ohne Le Pen beim Namen zu nennen.

Angela Merkel
Auch wenn Nolte sich zunehmend als Märtyrer verstand und viele Kollegen ihn mieden, wurden ihm weiterhin Ehrungen zuteil. So erhielt er in der Münchner Residenz im Jahr 2000 den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschlandstiftung. Die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel verweigerte ihre Teilnahme, doch vor allerlei politischer Prominenz hielt der damalige Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller, die Laudatio, in der er Nolte als »einzigen Geschichtsphilosophen unter den deutschen Historikern« lobte.

Für den Großteil der Nachwelt wird der am 18. August im Alter von 93 Jahren verstorbene Nolte dagegen eher als Lehrbeispiel dafür dienen, wie ein einstmals seriöser Intellektueller sich selbst ins gesellschaftliche Abseits manövrieren kann.

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