Lehrmaterialien

In schlechtem Licht

Wurden am Dienstag in Berlin präsentiert: die Deutsch-Israelischen Schulbuchempfehlungen Foto: Gregor Zielke

Schulbuchverlage haben großes Interesse daran, gerade Lehrer als Autoren zu gewinnen, sind diese doch ausgewiesene Praktiker und in der Regel auch daran gewöhnt, zielgruppengerecht, klar und verständlich zu formulieren.

Leider stoßen die meist durchaus ehrlich bemühten Feierabendautoren schon bald an ihre Grenzen, wenn sie sich neben ihrer regulären, oft aufreibenden Arbeitswoche auch noch in für sie völlig neue Themenfelder einarbeiten müssen – zumal wenn es um weite und unübersichtliche Themen geht, für die der verbindliche Rahmenplan ohnehin nur vier bis sechs Seiten im Geschichtsschulbuch vorsieht.

verzerrung Was dabei herauskommen kann, wenn sich Schulbuchverlage und Autoren, eingeengt durch eng gefasste Rahmenpläne, daran machen, Schülern der Sekundarstufen I und II Israel und den Nahostkonflikt zu erklären, findet sich in den Untersuchungsergebnissen der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission, die am Dienstag in Berlin ihre neuesten Ergebnisse vorstellte: Meist wird in den Lehrmaterialien, die an deutschen Schulen verwendet werden, ein verzerrtes Israelbild gezeichnet.

Neu ist der Befund nicht. Schon 1985 formulierte die erste Schulbuchkommission: »Der didaktische Zugriff der Darstellung Israels in den Lehrbüchern erfolgt durchweg von den internationalen Beziehungen her, das heißt, Israel erscheint überwiegend, teilweise ausschließlich als ein Element des Nahostkonflikts. Seine politische Ordnung, seine wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur … treten stark, teilweise gänzlich in den Hintergrund.«

Erstaunt muss nun die neue Deutsch-Israelische Schulbuchkommission, die nach vierjähriger Forschungsarbeit am Leipziger Georg-Eckert-Institut ihre Ergebnisse vorlegte, konstatieren, dass dieser zentrale Befund der ersten Kommission nach wie vor gilt. Wenn es in Ländern wie Bayern auch durchaus gelingt, den vorgegebenen Gestaltungsrahmen zu nutzen und das Thema Israel/Nahostkonflikt in Büchern für die Sekundarstufe II relativ ausführlich und meist adäquat zu behandeln, wird das Bild Israels in den meisten anderen Schulbüchern nach wie vor durchweg von Licht und Schatten geprägt. Mit variierenden, mitunter verstörenden Lichtverhältnissen, die ein negatives, also verzerrtes Bild Israels zeichnen.

Didaktik Deutsche Schulbücher sollten künftig »ein breites, facettenreiches Bild der Geschichte Israels zeichnen«, fordern die deutschen und israelischen Wissenschaftler, Fachdidaktiker und Pädagogen in ihrem Bericht. Ausgewertet wurden 400 Geschichts-, Geografie- und Sozialkundebücher aus fünf Bundesländern – Bayern, Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Die Kommission konzentrierte sich dabei auf 94 Texte, in denen es um Israel geht, sowie auf 25 Kapitel aus Geschichtsbüchern, die sich der Darstellung der Schoa widmen. Zudem wurden 44 israelische Schulbücher analysiert.

Der Historiker Alfons Kenkmann, Mitglied der »Arbeitsgruppe Geschichte« der Schulbuchkommission, sieht einen Grund für die mitunter nicht korrekte Darstellung Israels und des Nahostkonflikts in der Herangehensweise: »Was auffällt, ist, dass mit starken Gegenwartsbezügen – das ist ja eine zentrale Kategorie der Geschichtsdidaktik – gearbeitet wird, und dass dieser Gegenwartsbezug dann allmächtig wird.« Da sich die Autoren vor allem an der gegenwärtigen Situation des israelisch-palästinensischen Konflikts abarbeiten, ist es wohl kein Zufall, dass die holzschnittartige Darstellung des Konflikts mit seinen »Gegenwartsbezügen« in den Schulbüchern allzu oft jener ähnelt, die von deutschen Medien transportiert wird.

Dirk Sadowski, der wissenschaftliche Koordinator der Schulbuchkommission, hierzu: »Schulbücher sollten eben nicht die Bilder – und ich meine hier sowohl Illustrationen als auch Sprachbilder – der Medien reproduzieren, sie sollten im Gegenteil ein Korrektiv dazu bilden. Der Unterricht generell sollte ein Korrektiv zu dem bilden, was Schüler aus anderen Bildern erfahren. Schulbücher sollten sich einer anderen Sprache und auch Bildsprache bedienen, um dieses Korrektiv zu sein.« Ein Geschichtsbuch, so Sadowski, »muss den Nahostkonflikt historisch einordnen und die historischen Wurzeln aufzeigen.« Wenn es aber nur mit der Tagesaktualität operiere, »dann hat das Buch meiner Meinung nach seinen Zweck verfehlt.«

überforderung Mit einer Israel gerecht werdenden historischen Einordnung sind die Autoren jedoch meist überfordert und wiederholen lieber jene Behauptungen, die sie der aktuellen Tagespresse entnommen haben. So wird in den Schulbüchern – vor allem durch die Verwendung von auf Emotionen setzenden Pressefotos – oft der Eindruck erweckt, dass in erster Linie Israel für ein Fortbestehen des Nahostkonflikts verantwortlich ist.

Die Schulbuchkommission kümmerte sich nicht nur um das Israelbild, das in deutschen Geschichtsbüchern vermittelt wird, sie untersuchte auch, ob und inwieweit Israel in den Büchern zum Geografie- und Sozialkundeunterricht behandelt wird. Außerdem untersuchten die israelischen Partner der Kommission das Deutschlandbild in den Lehrmaterialien ihres Landes. In israelischen Schulbüchern wird Deutschland nach 1945, gleich anderen europäischen Ländern, nur noch am Rande behandelt. Am meist positiven Bild, das junge Israelis vom heutigen Deutschland haben, ändert dies nichts. Offensichtlich informieren sich die israelischen Schüler anderweitig, wenn es um die Bundesrepublik geht.

Die Deutsch-Israelische Schulbuchkommission verknüpft mit ihren Empfehlungen auch den Vorschlag künftiger Fortbildungen, um Verlage und Autoren in die Lage zu versetzen, die Darstellung in den Büchern zu verbessern. Es bleibt zu hoffen, dass die Adressaten die Empfehlungen annehmen.

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