»Censored Voices«

Im Schatten des Siegestaumels

Jeder kennt die ikonischen Bilder: jubelnde und vor Freude weinende israelische Soldaten an der Kotel, aufgenommen unmittelbar nach der Eroberung Ost-Jerusalems während des Sechstagekrieges 1967. Israel wurde damals nicht, wie von seinen Gegnern beabsichtigt, vernichtet, sondern ging als klarer Sieger hervor – kein Wunder, dass die Stimmung euphorisch war.

Genau in diesem Moment des allergrößten Triumphs bereisten der Historiker Avraham Shapira und der Schriftsteller Amos Oz mit einem Tonbandgerät im Gepäck einige Kibbuzim, wo sie frisch aus dem Krieg heimgekehrte Soldaten nach ihren persönlichen Eindrücken und Gefühlen befragten.

zensur Als sie die Ergebnisse in einem Buch veröffentlichen wollten, machte ihnen damals die israelische Militärzensur einen Strich durch die Rechnung. Nach eigenen Angaben wurden rund 70 Prozent des Materials gestrichen, den Rest veröffentlichten Shapira und Oz in dem Buch Der siebente Tag: Soldaten sprechen über den Sechstagekrieg.

Diese Tonbandaufzeichnungen hat die Regisseurin Mor Loushy aus Tel Aviv nun als Ausgangsmaterial für ihren Dokumentarfilm Censored Voices benutzt. Premiere hatte das Werk 2015 auf dem Sundance Film Festival und der Berlinale, jetzt kommt es in die deutschen Kinos. Historisches Bildmaterial von den Kriegsschauplätzen auf dem Sinai, dem Golan oder im Westjordanland kombinierte die junge Regisseurin dabei mit den O-Tönen von damals.

Das Ergebnis ist in der Tat überwältigend: Zu sehen ist das ganze Ausmaß der Zerstörung und viel menschliches Leid. Oftmals werden gefallene oder gefangen genommene Ägypter gezeigt. Oder Palästinenser auf der Flucht, darunter viele Frauen und Kinder. Und dazu immer wieder die Stimmen der israelischen Soldaten aus dem Juni 1967.

berichte »Die Gegner«, berichtet einer der Interviewten, »sind umgefallen wie Schießbudenfiguren.« Man schoss auf sie »routiniert, als ob es ein Spiel im Sommerlager wäre«. Andere berichten von willkürlichen Erschießungen von Zivilisten: »Ich erkannte die Schoa wieder. Ich sah ähnliche Dinge wie im Zweiten Weltkrieg.« Mor Loushy erklärte in einem Interview denn auch die Intention ihres Projekts: »Ich wollte das dominante israelische Narrativ vom Triumph des Jahres 1967 umschreiben.«

Das ist ihr gutes Recht. Im innerisraelischen Diskurs Mythen hinterfragen und damit Diskussionen anregen, ist eine feine Sache. »Aber viele Menschen außerhalb des Landes werden sich nicht unbedingt immer an die genauen Umstände von 1967 erinnern und den Film als eine weitere Anklage gegen Israel instrumentalisieren«, gibt selbst Yossi Klein Halevi, Journalist und politisch eindeutig dem Friedenslager zugehörig, zu bedenken. »Das ›Beschuldige-Israel-zuerst!‹ können wir einfach nicht länger ertragen.« Die Tatsache, dass Kriege grausam sind und Menschen dabei leiden, sei auch keine neue Erkenntnis, so Halevi.

Am Ende des Films wird Amos Oz, mittlerweile 77 Jahre alt, gefragt, was er heute von den Aussagen auf den Tonbändern von vor knapp 50 Jahren hält. Seine lapidare Antwort: »Ich habe das Gefühl, dass wir die Wahrheit ausgesprochen haben.« Das Fazit eines anderen Kriegsteilnehmers von einst lautet: »Der Zionismus ist eine Tragödie, von Anfang an.«

Spätestens jetzt muss man sich auch nicht wundern, warum – angefangen von der nordrhein-westfälischen Filmförderung, dem Rundfunk Berlin-Brandenburg bis arte – für Censored Voices wie bei so vielen anderen israelischen Filmen, die sich extrem kritisch mit den Verhältnissen im eigenen Land auseinandersetzen, wieder einmal zahlreiche wichtige europäische Geldgeber mit an Bord geholt werden konnten.

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Magdeburg

Telemann-Preis 2026 für Kölner Dirigenten Willens

Mit der Auszeichnung würdigt die Landeshauptstadt den eindrucksvollen Umgang des jüdischen Dirigenten mit dem künstlerischen Werk Telemanns

 19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Kino

Unter erschwerten Bedingungen

Das »Seret«-Festival zeigt aktuelle israelische Filmkunst in Deutschland – zum ersten Mal nur in Berlin

von Chris Schinke  19.11.2025

Bonn

Bonner Museum gibt Gemälde an Erben jüdischer Besitzer zurück

Das Bild »Bäuerliches Frühstück« aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird restituiert

 19.11.2025

Perspektive

Humor hilft

Über alles lachen – obwohl die Realität kein Witz ist? Unsere Autorin, die israelische Psychoanalytikerin Efrat Havron, meint: In einem Land wie Israel ist Ironie sogar überlebenswichtig

von Efrat Havron  19.11.2025

New York

Rekordpreis für »Bildnis Elisabeth Lederer« bei Auktion

Bei den New Yorker Herbstauktion ist wieder ein Rekord gepurzelt: Ein Klimt-Gemälde wird zum zweitteuersten je versteigerten Kunstwerk – und auch ein goldenes Klo wird für einen hohen Preis verkauft

von Christina Horsten  19.11.2025

Glosse

Der Rest der Welt

Süchtig nach Ruhamas Essen oder Zaubern müsste man können

von Nicole Dreyfus  19.11.2025

TV-Tipp

Ein Skandal ist ein Skandal

Arte widmet den 56 Jahre alten Schock-Roman von Philip Roth eine neue Doku

von Friederike Ostermeyer  18.11.2025