Jüdisches Filmfestival

»Ich wollte zeigen, dass es auch eine jiddische Kultur gibt«

»A yididshe Mamme«: Die Sängerin Belina blieb der jiddischen Sprache ihr Leben lang verbunden. Foto: Marc Boettcher

Jüdisches Filmfestival

»Ich wollte zeigen, dass es auch eine jiddische Kultur gibt«

Eine Dokumentation von Marc Boettcher erinnert an die zu Unrecht vergessene Sängerin Belina

von Ayala Goldmann  16.06.2022 10:28 Uhr

Sie war ein Star der 60er- und 70er-Jahre, heute ist sie fast vergessen: Unter dem Namen Belina schaffte die polnische Jüdin Lea-Nina Rodzynek als Folksängerin den Durchbruch in Deutschland. Ihr LP-Album 24 Songs and one Guitar (1963 gemeinsam mit dem Gitarristen Siegfried Behrend) hielt sich 40 Wochen lang in der westdeutschen Hitparade.

Der Filmregisseur Marc Boettcher erinnert in seiner Dokumentation Belina – Music for Peace an die Frau aus dem polnischen Dorf Sterdyn in der Nähe von Treblinka, die während der Schoa fast ihre gesamte Familie verlor, in Hamburg ein neues Zuhause suchte und jiddische Lieder aus dem Ghetto vor deutschen Jugendlichen sang.

Der Film, zuerst gezeigt im Oktober 2021 auf dem Jüdischen Filmfestival in Wien, war am Mittwoch beim Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg (JFBB) in der Neuen Synagoge zu sehen und wird am Donnerstag und Freitag erneut präsentiert.

INTERVIEWPARTNER Mit der 1925 geborenen Belina konnte der Regisseur nicht mehr selbst sprechen. Dafür mit ihrer Cousine aus Frankreich und ihrem Sohn, dem Hamburger Journalisten Michael Rodzynek. Zudem interviewte Boettcher für seinen Film zahlreiche Sängerinnen und Musiker wie Nana Mouskouri, Jocelyn B. Smith, Joana (Johanna Emetz), Sharon Brauner, Alexandra Marisa Wilcke, Giora Feidman und die Journalistin und Fotografin Sharon Adler.

Auch die Schauspielerin Claudia Brodzinska-Behrend (heute 84) kommt mit ihren Erinnerungen an Belina zu Wort: Sie ist die Witwe des Gitarristen Siegfried Behrend, mit dem Belina 1965 im Auftrag des Goethe-Instituts als »musikalische Diplomatin« um die Welt tourte. Das Aus für das Duo Belina & Behrend in den 70er-Jahren läutete das Ende von Belinas Karriere ein. Nach schwerer Krankheit starb sie 2006 und wurde in Hamburg beerdigt.

In einem historischen Interview erklärte Belina, die in Deutschland unter vielen anderen auch die Schallplatte Es brennt – Jiddish Songs herausgebracht hatte: »Ich wollte gerade mit dem jiddischen Repertoire der deutschen Jugend zeigen, dass es auch eine jiddische Kultur gibt, und zwar eine sehr alte, eine uralte.«

versöhnung Regisseur Marc Boettcher sagte über seinen Film: »Mich faszinierte an der Geschichte Belinas, dass sie als polnische Jüdin Deutschland repräsentierte nach dem Weltkrieg, in 17 Sprachen sang und in 120 Ländern war, um das Land der Täter, also Deutschland, zu repräsentieren. Sie hat zum Verzeihen aufgerufen und war die Stimme der Versöhnung.«

War Belina, die nicht öffentlich über ihre Verfolgung während der NS-Zeit sprach – ihre Mutter wurde 1941 erschossen, ihr Vater und ihre Brüder starben in Treblinka, sie selbst überlebte mit falschen Papieren als Zwangsarbeiterin in Deutschland -, tatsächlich eine »Friedenssängerin«?

Lesen Sie mehr dazu in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.

Der Film »Belina – Music for Peace« läuft beim Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg am Donnerstag, 16. Juni, um 15 Uhr im Kino Passage in Berlin-Neukölln und am Freitag, den 17. Juni, um 19 Uhr auf dem Jüdischen Theaterschiff MS Goldberg in Berlin-Spandau.

Restitution

»Das Ausmaß hat uns überrascht«

Daniel Dudde über geraubte Bücher, Provenienzforschung an Bibliotheken und gerechte Lösungen

von Tobias Kühn  15.07.2025

Haskala

Medizin für die jüdische Nation

Aufgeklärte jüdische Ärzte sorgten sich um »Krankheiten der Juden«. Das wirkte auch im Zionismus nach

von Christoph Schulte  15.07.2025

Literatur

Vom Fremden angezogen

Die Schriftstellerin Ursula Krechel, Autorin des Romans »Landgericht«, wird mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet

von Oliver Pietschmann  15.07.2025

Interview

»Eine Heldin wider Willen«

Maya Lasker-Wallfisch über den 100. Geburtstag ihrer Mutter Anita Lasker-Wallfisch, die als Cellistin das KZ Auschwitz überlebte, eine schwierige Beziehung und die Zukunft der Erinnerung

von Ayala Goldmann  15.07.2025

Musik

Zehntes Album von Bush: »Wie eine Dusche für die Seele«

Auf ihrem neuen Album gibt sich die britische Rockband gewohnt schwermütig, aber es klingt auch Zuversicht durch. Frontmann Gavin Rossdale hofft, dass seine Musik Menschen helfen kann

von Philip Dethlefs  15.07.2025

Medien

Die Deutsche Welle und Israel: Mitarbeiter werfen ihrem Sender journalistisches Versagen vor

Die Hintergründe

von Edgar S. Hasse  14.07.2025

TV-Tipp

Der Mythos Jeff Bridges: Arte feiert den »Dude«

Der Weg zum Erfolg war für Jeff Bridges steinig - auch weil der Schauspieler sich gegen die Erfordernisse des Business sträubte. Bis er eine entscheidende Rolle von den Coen-Brüdern bekam, die alles veränderte

von Manfred Riepe  14.07.2025

Musik

Der die Wolken beschwört

Roy Amotz ist Flötist aus Israel. Sein neues Album verfolgt hohe Ziele

von Alicia Rust  14.07.2025

Imanuels Interpreten (11)

The Brecker Brothers: Virtuose Blechbläser und Jazz-Funk-Pioniere

Jazz-Funk und teure Arrangements waren und sind die Expertise der jüdischen Musiker Michael und Randy Brecker. Während Michael 2007 starb, ist Randy im Alter von fast 80 Jahren weiterhin aktiv

von Imanuel Marcus  14.07.2025