Hetty Berg

»Ich will Kontakt zu den Gemeinden«

Die neue Direktorin des Jüdischen Museums Berlin über ihren Dienstantritt in Zeiten von Corona, ihre Haltung zur BDS-Bewegung und Pläne für die Zukunft

von Ayala Goldmann  19.04.2020 10:05 Uhr

War mehr als 30 Jahre am Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam tätig: Hetty Berg Foto: Yves Sucksdorff / JMB

Die neue Direktorin des Jüdischen Museums Berlin über ihren Dienstantritt in Zeiten von Corona, ihre Haltung zur BDS-Bewegung und Pläne für die Zukunft

von Ayala Goldmann  19.04.2020 10:05 Uhr

Frau Berg, Sie kommen aus den Niederlanden und hatten am 1. April Ihren ersten Arbeitstag als neue Direktorin des Jüdischen Museums Berlin (JMB). Wie sind Sie angereist – in Zeiten von Corona?
Wir sind mit dem Auto aus Amsterdam nach Berlin gefahren. Das war eine sehr ungewohnte Erfahrung, weil die Autobahn fast leer war. Aber es hat alles gut geklappt.

Das Museum ist jetzt für Besucher geschlossen. Wie arbeiten Sie und Ihre Mitarbeiter?
Die meisten arbeiten von zu Hause. Ich habe gleich am ersten Tag mit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern per Videokonferenz gesprochen und viele Fragen beantwortet. Ich hatte mir meinen Arbeitsbeginn natürlich anders vorgestellt. Aber es ist gut, dass ich jetzt hier bin.

Hatten Sie darüber nachgedacht, Ihren Start zu verschieben?
Nein. Ich dachte: Wenn ich gesund bin, dann kann ich nach Berlin kommen. Und das ist glücklicherweise der Fall.

Sie haben Theaterwissenschaften und Management studiert. Ideale Voraussetzungen, um jetzt diese Institution zu leiten?
Ich war mehr als 30 Jahre am Jüdischen Historischen Museum in Amsterdam tätig. Ich habe mehr als 30 Wechselausstellungen kuratiert. Außerdem habe ich die Konzeption und Realisierung von fünf Dauerausstellungen verantwortet. Ab 2002 war ich Chefkuratorin und Mitglied des Managements. Ich habe das Jüdische Kulturelle Viertel in Amsterdam mitgeprägt und -geleitet, dazu gehören das Historische Museum, zwei Ho­locaust-bezogene Stätten, die aktive Synagoge der sefardischen Gemeinde, die älteste noch aktive jüdische Bibliothek der Welt und ein Kindermuseum. Ich kenne die Museumsarbeit wirklich in- und auswendig, und ich bin sehr gut vernetzt. Ich war viele Jahre im Vorstand der europäischen Vereinigung der Jüdischen Museen, habe mit zahlreichen Museen zusammengearbeitet, auch in Israel und den USA. Jetzt kann ich meine Erfahrungen ins Jüdische Museum Berlin einbringen. Für mich ist das eine wunderschöne Chance.

Neben anderen Abschlüssen haben Sie auch eine Ballettausbildung. Tanzen Sie noch?
Ich habe vier Jahre Tanz in London und in Amsterdam studiert, um Ballettlehrerin zu werden. Ballett mache ich nicht mehr, aber ich tanze immer noch gerne.

Sie sind seit 40 Jahren Mitglied der liberalen jüdischen Gemeinde in Amsterdam. Wie funktioniert dort das Gemeindeleben?
Diese Gemeinde wurde in den 30er-Jahren von Berliner Juden gegründet und geprägt. Ich erinnere mich sehr gut an die Zeit, in der die Gründer in der Synagoge immer in der ersten Reihe saßen. Und an ihren deutschen Akzent. Es ist eine große und wachsende Gemeinde. Zum Religionsunterricht werden dort immer mehr Kinder angemeldet.

Woher kommt Ihre Familie?
Im 18. Jahrhundert ist meine Familie, soviel ich weiß, aus Deutschland in die Niederlande eingewandert.

Darf ich fragen, wie Ihre Eltern überlebt haben?
Meine Eltern waren während des Zweiten Weltkriegs Kinder. Die Familien haben überlebt. Ich bin in den Niederlanden aufgewachsen und ein Beispiel für die Zweite Generation.

An Ihrem ersten Arbeitstag hat das Jüdische Museum Berlin einen Tweet mit einer Botschaft von Ihnen versendet. Haben Sie dieses Medium bewusst gewählt? An einem Tweet hatte sich im Juni 2019 der große Krach um das Museum entzündet …
Das heutige Kulturleben ist ohne Social Media nicht möglich. Besonders jetzt, da das Museum wegen der Corona-Krise geschlossen ist, wenden wir uns auf digitalen Wegen an das Publikum.

Ihr Vorgänger Peter Schäfer ist im Juni 2019 nach Kritik − auch des Zentralrats der Juden in Deutschland − an besagtem Tweet aus der Pressestelle des Jüdischen Museums Berlin als Direktor der Einrichtung zurückgetreten. Der Tweet hatte Kritik linksgerichteter israelischer Akademiker am Anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestags zum Inhalt. Sind Sie in Kontakt mit Herrn Schäfer, gab es eine Übergabe?
Ich möchte mich dazu nicht äußern. Das ist irrelevant.

Wie stehen Sie zur Einladung von Anhängern der anti-israelischen BDS-Bewegung ins Jüdische Museum Berlin?
Ich lehne die BDS-Bewegung ab und habe bereits öffentlich gesagt, dass ich keine BDS-Aktivisten einladen werde. BDS ruft nicht nur zum Boykott Israels auf, sondern auch zum Boykott der Teilnahme von israelischen Künstlern und Wissenschaftlern an öffentlichen Diskursen in der ganzen Welt. So kommt man in der Diskussion nicht weiter.

Wie unabhängig kann das Jüdische Museum Berlin von politischen Einflüssen sein?
Es ist eine unabhängige Einrichtung, die vom deutschen Staat finanziert wird. Und gerade in Zeiten immer stärkerer Polarisierung muss es ein gesellschaftlich relevanter Ort sein, an dem man wichtige Debatten führt, aber es darf nicht für politische Zwecke instrumentalisiert werden und muss sich nicht zur Tagespolitik äußern. In anderen Ländern Europas mischen sich Regierungen in das Kulturleben ein. Deutschland ist in dieser Hinsicht ein Vorbild.

Wie wollen Sie die jüdische Gemeinschaft in die Arbeit des Jüdischen Museums einbeziehen?
Selbstverständlich will ich den Kontakt zu den jüdischen Gemeinden und den jüdischen Gemeinschaften in Berlin ausbauen. So, wie ich es in dem Tweet formuliert habe: »Das jüdische Leben in Berlin ist im Wandel – eine neue Generation mit unterschiedlichen Hintergründen und einer Menge Ideen tritt hervor. Als Ort der Begegnung und des Austauschs soll das JMB diesen vielfältigen Perspektiven Raum geben.« Aber gleichzeitig ist das Museum für alle da, die sich mit jüdischer Geschichte und Kultur beschäftigen wollen, und das sind Juden und Nichtjuden. Die Geschichte der Juden in Deutschland ist immer auch eine gemeinsame Geschichte. Und ich möchte, dass das Jüdische Museum Berlin alle gleichermaßen anzieht und einbezieht.

Viele Schüler besuchen normalerweise die Einrichtung, zahlreiche von ihnen kommen aus Familien mit Migrationshintergrund aus muslimisch geprägten Ländern. Wollen Sie den jüdisch-muslimischen Dialog am Jüdischen Museum Berlin fortsetzen? Und wenn ja, wie?
Diversität und Identität, Integration, Ausgrenzung und Migration sind zentrale Themen der deutsch-jüdischen Geschichte und Vergangenheit, aber auch der deutschen Gegenwart. Wenn wir vom jüdischen Leben erzählen, sprechen wir immer auch über ganz aktuelle Fragen. Es geht darum, wie die Mehrheit einer Gesellschaft mit Minderheiten umgeht und wie diese untereinander auskommen. Obwohl sehr viele unterschiedliche Gruppen und Menschen in Deutschland zusammenleben, wissen sie oft wenig voneinander. Und gerade Schüler, gerade junge Menschen sind eine sehr wichtige Zielgruppe.

Zwei Stellen sind in Ihrem Haus vakant: die Programmdirektion, die früher Léontine Meijer van-Mensch innehatte, und die Leitung der Akademie des Museums, bisher besetzt mit Yasemin Shooman. Beide haben das Jüdische Museum Berlin verlassen. Sollen die Stellen wieder ausgeschrieben werden, und wenn ja, wann?
Ich fange erst einmal an zu arbeiten. Ich will die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und das Haus kennenlernen und werde mich dann entscheiden, was zu tun ist. Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit dem ausgezeichneten Team.

Die neue Dauerausstellung und die Kinderwelt ANOHA sollten ursprünglich am 17. Mai eröffnet werden ...
Es geht uns im Moment wie vielen anderen. Wir planen von Tag zu Tag. Angesichts der aktuellen Entwicklungen ist der 17. Mai nicht zu halten. Aber wir arbeiten mit aller Kraft daran, die Ausstellungen so schnell wie möglich fertigzustellen.

Was planen Sie für die Zukunft?
Ich finde Ausstellungen reizvoll, die ein genuin jüdisches Thema verhandeln und es gleichzeitig für größere, universelle Fragen öffnen, wie damals die »Golem«-Ausstellung. Ich denke an eine Ausstellung über Juden und Sexualität, mit allen ethischen Dimensionen dieses Themas, auch mit aktuellen Aspekten wie jüdischen Dating-Apps. Eine andere Ausstellung, die ich gerne machen würde, ist zu James Simon, einem der bekanntesten jüdischen Mäzene. Das wäre in Zusammenarbeit mit anderen Berliner Museen wie dem Pergamon-Museum ein sehr schönes Projekt, in das wir die jüdische Perspektive einbringen könnten.

Eine Ihrer bekanntesten Ausstellungen in Amsterdam hieß »Wer nicht weg ist, wird gesehen«. Worum ging es dabei?
Um jüdisches Leben in den Niederlanden in der Nachkriegszeit. In Amsterdam hatten wir damals in unseren Sammlungen sehr wenige Exponate aus den Jahren nach dem Krieg und noch nie eine Ausstellung über diese Zeit. Der Fokus liegt ja sehr oft auf der Schoa und dem zerstörten jüdischen Leben. Ich denke, es ist auch eine Aufgabe des Jüdischen Museums Berlin, den Reichtum, die Lebendigkeit jüdischen Lebens zu zeigen, in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Viele Besucher denken in Zusammenhang mit Juden an die Schoa. Jüdisches Leben ist so viel mehr, und ich möchte, dass die Besucher das spüren.

Was wünschen Sie sich vor allem für das Jüdische Museum Berlin?
Ich wünsche mir für uns und alle Menschen, dass die Corona-Krise bald vorbei ist und das kulturelle Leben wieder beginnen kann. Ich freue mich sehr, meine Mitarbeiter dann auch persönlich kennenzulernen − real ist besser als digital –, mit ihnen zusammenzuarbeiten − und das Jüdische Museum bald zu eröffnen.

Wenn Sie sich vorstellen, in fünf Jahren auf Ihre Arbeit zurückzuschauen, was wäre Ihr größter Erfolg?
Ich hoffe, dass das Jüdische Museum Berlin mit der neuen Dauerausstellung, der Kinderwelt ANOHA und der W. Michael Blumenthal Akademie, den Sammlungen, dem Programm von Ausstellungen, Veranstaltungen und Vermittlungsangeboten – digital wie vor Ort – das führende jüdische Museum in Europa sein wird. Und dass die Zahl der Besucher aus Deutschland und auch aus Berlin wächst.

Mit der neuen Direktorin des Jüdischen Museums Berlin sprach Ayala Goldmann.

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