Debatte

»Ich unterstelle dir, liebe Eva Menasse, Ironie«

Die österreichisch-jüdische Schriftstellerin Eva Menasse (53) Foto: picture alliance / Jeff Mangione / KURIER / picture

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»Ich unterstelle dir, liebe Eva Menasse, Ironie«

Der Israelfimmel der Linken. Eine Replik von Michael Wolffsohn auf den ZEIT-Essay der Schriftstellerin Eva Menasse

von Michael Wolffsohn  26.07.2023 20:28 Uhr

Die Welt steht in Flammen, und die Wochenzeitung DIE ZEIT sowie die österreichisch-jüdische Schriftstellerin Eva Menasse und andere Linke brennen für Israel-Bashing.

Ich kenne und mag Eva Menasse. Ich schätze ihre Bücher. Weniger ihre politischen Auslassungen, am wenigsten ihre juden- und israelpolitischen. Sie sind meinungsstark, faktenschwach und oft einfach falsch. Eva Menasse und DIE ZEIT boten uns am 20. Juli Fehlerpralles und begingen deshalb Raub an der Lebenszeit ihrer Leser. Seit meiner Blattkritik, zu der mich die ZEIT freundlicherweise eingeladen hatte, weiß ich, dass man dort bei Meinungsartikeln mit Fakten großzügig umgeht.

establishment Eva Menasse ist nicht nur israelkritisch, sie mag auch das deutsch-jüdische Establishment nicht. Als Kronzeugen benennt sie Israelis und andere Juden, die nicht nur gegen das deutsch-jüdische Establishment wettern. Das ist ihr gutes Recht. Sie hat aber nicht recht, wenn sie suggeriert, der Zentralrat hätte den jüdischen Partikularismus – sprich: das Ghetto im Kopf – erfunden. Der innerjüdische Gegensatz von Partikularismus versus Universalismus ist so alt wie das Judentum. 3000 Jahre. Dass der Zentralrat unter Josef Schuster partikularistisch wäre, kann ich zudem nicht erkennen.

Josef Schuster als rechten Scharfmacher zu verzerren, ist Rufmord.

Die Differenzen zwischen linken und rechten Juden sind ebenfalls nicht neu. Innerhalb der Linken Deutschlands und anderer Staaten gab es seit dem 19. Jahrhundert überproportional viele Juden, doch die meisten Juden waren seit jeher eher liberal und nicht links, und wenn »links«, dann linksliberal. Die winzige Judenheit Westdeutschlands war jahrzehntelang mehrheitlich sozialdemokratisch – wenn man die SPD als »links« bezeichnen möchte. Von der SPD und dann den Grünen wandten sich die meisten deutschen Juden ab, als deren Israelpolitik nur dem Wort und nicht der Tat nach freundschaftlich war.

TRÄUMEREIEN Israelkritische Israelis wie die Soziologin Eva Illouz oder der Philosoph Omri Boehm würden in Deutschland Befremden auslösen, schreibt Eva Menasse. Das Gegenteil ist der Fall. Die Medienwelt, besonders die ZEIT, liegen ihnen und ihresgleichen zu Füßen. Ebenso andere israelische Menasse-Darlings wie David Grossman oder Daniel Barenboim. Ja, Grossman ist ein wunderbarer Mensch und Romanschreiber. Ja, Daniel Barenboim ist ein ganz Großer der Musikwelt und politisch ein Idealist bar jeder realpolitischen Bezüge. Ja, Eva Illouzʼ Bücher über die Soziologie der Liebe sind lesenswert. Ja, die politischen Träumereien von Omri Boehm las ich gern. Leider sind sie wirr und ebenso einseitig wie Eva Illouzʼ Ansichten.

Ausgerechnet Josef Schuster, derzeit Präsident des Zentralrats, als rechten und gar anti-islamischen jüdischen Scharfmacher zu verzerren, ist nicht nur falsch und absurd, sondern geradezu Rufmord. Selten (nie?) stand an der deutsch-jüdischen Spitze eine so zurückhaltende, auf Ausgleich bedachte und besonnene Persönlichkeit wie Josef Schuster. Unter seiner Regie wird nicht zuletzt der jüdisch-islamische Dialog intensiviert.

Ein Hohelied stimmt Menasse auf einen von Schusters Vorgängern an, Ignatz Bubis. »Als in den Neunzigerjahren deutsche Rechtsradikale Flüchtlingsheime anzündeten, reiste Ignatz Bubis gemeinsam mit seinem Generalsekretär Michel Friedman nach Rostock-Lichtenhagen.« Friedman war nie Generalsekretär des Zentralrats. Bubis war 1992 mit Peter Fischer angereist. Dieser war zu DDR-Zeiten Generalsekretär der Jüdischen Gemeinden, Stasi-IM und bekleidete von 1990 bis 2009, also vor der Schuster-Ära sowie von Ignatz Bubis, Paul Spiegel und Charlotte Knobloch geschützt, führende Positionen im Zentralrat.

Eva Menasse verübelt Josef Schuster, dass er nicht nur über die AfD-Erfolge besorgt ist, sondern auch über die israelfeindliche BDS-Bewegung, den derzeitigen Liebling linker und linksliberaler Juden und Nichtjuden. Sie ignoriert, dass Juden nicht nur von Rechtsextremisten bedroht sind. Sie übersieht linksextremistische, islamistische sowie radikalpalästinensische Gefahren, die von Linken verniedlicht und dadurch legitimiert werden.

FAKTEN-FREI Dass Israels Botschafter Ron Prosor seinen Staat gegen die Kritik der »ausgewiesenen Nahost-Expertin Muriel Asseburg« verteidigt, findet Eva Menasse »diffamierend«. Jedes Botschafters Pflicht ist es, seinen Staat zu verteidigen, und zur Demokratie gehören Rede und Gegenrede. Kann eine Romanschreiberin beurteilen, ob Frau Asseburg eine ausgewiesene Nahost-Expertin ist? Diese kennt viele Details über Nahost, übergießt sie jedoch gern mit Anti-Israelismen. Den »Professor für transnationale Soziale Arbeit« an der Fachhochschule Frankfurt, Meron Mendel, kürt Eva Menasse zum Fachmann für Begriffsgeschichte. Ihre Meinung sei frei, ihr Urteil ist jedoch Fakten-frei.

Eva Menasse ignoriert, dass Juden nicht nur von Rechtsextremisten bedroht sind.

Österreichs Ex-Bundeskanzler »Bruno Kreisky seligen Angedenkens« nennt die in Berlin lebende Österreicherin Eva Menasse einen »Realpolitiker«.

O ja, der österreichische Jude Kreisky war koalitionsstrategisch so realpolitisch, dass er Friedrich Peter, im Dritten Reich SS-Mann und formal von 1958 bis 1978, faktisch länger, Nummer eins der FPÖ, einen jüdischen Persilschein ausstellte. Jüdische Kritik an seiner SPÖ-FPÖ-Koalition ab 1983, die Peter mit eingeleitet hatte, kommentierte Kreisky so: »Die Juden nehmen sich so furchtbar viel mir gegenüber heraus, und das erlaube ich nicht.« Kreisky, »seligen Angedenkens«? Ich unterstelle dir Ironie, liebe Eva. Vergiss aber nicht Marcel Reich-Ranickis nur unwesentlich übertriebene Mahnung: »Die Deutschen verstehen keine Ironie.«

Der Autor ist Historiker. Zuletzt erschien von ihm »Ewige Schuld? 75 Jahre deutsch-jüdisch-israelische Beziehungen« (2023).

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