»Der Schwarze Kanal«

»Holocaust-Verzwergung«

Chef-Kommentator des DDR-Fernsehens, Karl-Eduard von Schnitzler bei seinem letzten Auftritt im DDR-Fernsehen (Oktober 1989) Foto: dpa

»Der Schwarze Kanal«

»Holocaust-Verzwergung«

Der Historiker Escher über die DDR-Propagandasendung und ihre Berichterstattung über Israel, Juden und die Schoa

von Joachim Heinz  30.10.2019 17:05 Uhr

Heute vor 30 Jahren, am 30. Oktober 1989, verabschiedete sich »Der Schwarze Kanal« von der Mattscheibe. Fast drei Jahrzehnte lang moderierte Karl-Eduard von Schnitzler (1918–2001) die DDR-Propagandasendung. Im Interview blickt der Berliner Historiker Clemens Escher auf ein Stück deutsch-deutscher Fernsehgeschichte zurück.

Herr Escher, wer und was genau steckte hinter dem Format »Der Schwarze Kanal«?

Die Sendung ist eng verwoben mit der Person des Moderators, Karl-Eduard von Schnitzler. Der war überzeugter Kommunist und blieb ein Hardliner bis zum Schluss. Seine Sicht auf die Welt unterschied nur zwischen hell und dunkel. Das Dunkle, der Schmutz, das war »Der Schwarze Kanal«. Und Schnitzler selbst gedachte, den Part der Kläranlage zu übernehmen.

Was schwamm denn alles durch diesen Kanal?

Von März 1960 bis Oktober 1989 las von Schnitzler fast jeden Montagabend dem Weststaat die Leviten. Sendeausschnitte aus dem Westfernsehen wurden gezeigt und anschließend vom Moderator sarkastisch kommentiert.

Woher kam die Idee?

Im Westen gab es »Die rote Optik«, in der Thilo Koch die Fernsehpropaganda der DDR auseinandernahm. Dem wollten die Verantwortlichen im Osten Deutschlands offenbar etwas entgegensetzen.Von Schnitzler selbst lernte sein Handwerk beim Rundfunk in der britischen Besatzungszone, dem NWDR.

Wie kam er zum DDR-Fernsehen?

Er siedelte 1947 in die Sowjetische Besatzungszone über und machte sich schnell als scharfzüngiger Kommentator einen Namen im Rundfunk, entdeckte dann aber sehr bald das aufstrebende Medium Fernsehen für sich. In gewisser Hinsicht war er damals also ein Pionier, auch wenn er in späteren Jahren wie ein Fossil wirkte.

Was machte die regelmäßige Bildschirmpräsenz mit dem Moderator?

Er sagte nicht ohne Stolz von sich, er habe die Sendung nie ausfallen lassen, und trat als Promi auch in Unterhaltungsformaten auf. Er hielt sich wohl selbst für begabt auf diesem Gebiet - auch wenn er das ganz sicher nicht war. Einfordern konnte von Schnitzler solche Auftritte, weil er einen großen Bekanntheitsgrad hatte, vergleichbar etwa einem Hans-Joachim Kulenkampff im Westen. Wobei »Sudel-Ede« später neben Stasi-Chef Erich Mielke unter vielen DDR-Bürgern zur größten Hassfigur wurde.

Welches Verhältnis hatte von Schnitzler zu den DDR-Oberen?

Leider gibt es noch keine Schnitzler-Biografie. Aber das Verhältnis zur Nomenklatura muss gut gewesen sein.

Warum?

Von Schnitzler genoss den ihm nachgesagten Ruf des Filou und Lebemanns, auch wenn ihn das grundsätzlich angreifbar machte. Dann gab es da noch den Presserummel um seine vierte Ehefrau, die Ungarin Marta Rafael, die 1983 bei einem Ladendiebstahl in einem West-Berliner Kaufhaus ertappt wurde. Ein Sportjournalist oder ein Moderator der Unterhaltungssendung »Ein Kessel Buntes« hätte da längst seinen Hut nehmen müssen.

Irritierend wirken von Schnitzlers Aussagen zum Judentum und zu Israel. War er ein Antisemit?

Schnitzler war kein DDR-Goebbels. Aber er hat zweifelsohne mit antisemitischen Vorurteilen gespielt und sie ohne Hemmungen benutzt. Da war etwa von Jesusmördern und Finanzspekulanten die Rede.

Wie lässt sich das alles einordnen?

Schnitzlers Antisemitismus kam im Kleid des Antizionismus daher. Statt von Juden sprach er von Zionisten; das »Weltjudentum« wurde durch »Israel« ersetzt. Er betrieb eine Holocaust-Verzwergung, indem er die von den Nationalsozialisten betriebene Vernichtung der europäischen Juden als Aneinanderreihung von imperialistischen Schandtaten unter klassenkämpferischen Gesichtspunkten deutete.

Gibt es eine Art Erbe des »Schwarzen Kanals«?

Man sollte das sicher nicht überbewerten. Aber das tiefe Misstrauen gegenüber den Medien und dem Establishment, das heutzutage gerade im Osten so verbreitet scheint, könnte eine Folge der jahrzehntelangen Beschallung durch den »Schwarzen Kanal« sein. Ehrlicherweise muss man aber auch festhalten: Mit seiner kauzigen Art und seinem verschwörerischen Geraune dürfte von Schnitzler heute allenfalls noch eine kleine Fangemeinde am Narrensaum des Internet haben.

Die Idee, TV-Ausschnitte zu kommentieren, lebt weiter.

Ich würde allerdings Oliver Kalkofes »Mattscheibe« oder die ZDF-Nachrichtensatire »heute-show« nun wirklich nicht mit dem »Schwarzen Kanal« vergleichen wollen. Für die Ironie, erst Recht die Selbstironie, hatte von Schnitzler ganz und gar kein Talent.

Das Interview führte Joachim Heinz.

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