Konferenz

Hebräische Renaissance

In New York diskutieren jüdische Konservative über ihr Verhältnis zu den politischen Parteien

von Daniel Rickenbacher  05.12.2019 14:20 Uhr

Auch jüdische Konservative ziehen Adam Smith (1723–1790) Karl Marx vor.

In New York diskutieren jüdische Konservative über ihr Verhältnis zu den politischen Parteien

von Daniel Rickenbacher  05.12.2019 14:20 Uhr

Im voll besetzen Saal des Grand Hyatt Hotel im Zentrum Manhattans versammelte sich im November die Prominenz der jüdisch-konservativen Bewegung und über 800 Gäste, um der dritten Jahreskonferenz der Tikvah-Stiftung zum Thema Judentum und Konservatismus beizuwohnen.

Die konservative politische Tradition im amerikanischen Judentum kristallisierte sich seit den 50er-Jahren in Opposition zum sowjetischen Sozialismus und dessen lokalen Bewunderern. Das Commentary-Magazin, dessen langjähriger Chefredakteur Norman Podhoretz auf der Konferenz geehrt wurde, spielte eine zentrale Rolle in dieser Geschichte und ist weiterhin die wichtigste Plattform jüdisch-konservativen Denkens in den USA.

reagan-jahre Während der Reagan-Jahre stiegen jüdisch-konservative Intellektuelle zu wichtigen Ideengebern der Republikanischen Partei auf und trugen maßgeblich zur Modernisierung der konservativen Bewegung in den USA bei. Im Gegensatz zu den vorherigen republikanischen Regierungen gestaltet sich das Verhältnis der Trump-Regierung zum jüdischen Konservatismus wechselhaft.

Der jüdische Konservatismus steht der nationalistischen Agenda traditioneller Konservativer, sogenannter »Paleoconservatives«, seit jeher skeptisch gegenüber; nicht zuletzt deswegen, weil prominente Vertreter der paläo-konservativen Richtung wie Pat Buchanan immer wieder durch Antisemitismus auf sich aufmerksam machten.

Jüdische Intellektuelle trugen zur Modernisierung der konservativen Bewegung bei.

Wichtige Vertreter der jüdisch-konservativen Bewegung stehen daher der nationalistischen und isolationistischen Agenda der Trump-Regierung kritisch gegenüber. Andererseits hat die pro-israelische Politik Trumps auch bei den Skeptikern einen tiefen Eindruck hinterlassen.

IDENTITÄT Der Organisator der Konferenz, die Tikvah-Stiftung, ist der Newcomer unter den amerikanischen jüdischen Organisationen. In den letzten Jahren unterstützte die Stiftung eine Reihe von Plattformen, die die jüdische Identität des amerikanischen Judentums und den internationalen Ideenaustausch in der jüdisch-konservativen Bewegung stärken sollen. So fördert die Tikvah-Stiftung orthodoxe Denkfabriken in Israel und unterstützt die Übersetzung liberaler Klassiker wie Adam Smith ins Hebräische.

Wie die Konferenz eindrücklich zeigte, befriedigt die Organisation ein breites Bedürfnis nach einer ideologischen Diversifizierung des amerikanischen Judentums. Die regelmäßigen Antisemitismusskandale, die Erstarkung israelfeindlicher Elemente sowie eine Politik, die von den Betroffenen als direkter Angriff auf ihre religiöse Freiheit verstanden wird, lassen Zweifel aufkommen, ob die Zukunft des amerikanischen Judentums an der Seite der Demokratischen Partei sein wird.

So kündigte der inzwischen ausgeschiedene demokratische Präsidentschaftskandidat Beto O’Rourke an, den gegen die Homosexuellenehe eingestellten religiösen Gemeinschaften die Steuerbefreiung streitig zu machen. Diese Maßnahme würde nicht nur konservative Christen, sondern auch orthodoxe Juden treffen, die aufgrund der demografischen Entwicklung mittelfristig zur vorherrschenden Gruppe innerhalb des amerikanischen Judentums aufsteigen dürften.

Eric Cohen, Geschäftsführer der Tikvah-Stiftung, erklärte denn auch, dass die Zeit, in der linksliberale jüdische Organisationen im Namen des ganzen amerikanischen Judentums sprechen konnten, abgelaufen sei, und dass es neuer jüdischer Institutionen bedürfe, um für die Verteidigung der Religionsfreiheit und die Allianz zwischen den USA und Israel einzutreten.

ANTISEMITISMUS Der Morgen der Veranstaltung stand im Zeichen des grassierenden Antisemitismus. Auch in den USA kommt es mittlerweile fast wöchentlich zu Gewaltakten gegen religiöse Juden – eine für die amerikanischen Juden ungewohnte und erschreckende Wirklichkeit. Malcom Hoenlein, der ehemalige Präsident der Dachorganisation Conference of Presidents of Major American Jewish Organizations, sprach gar von einer antisemitischen Epidemie.

Er machte als ihren Ursprung die antizionistischen Kampagnen in der UN aus, die in den 70er-Jahren begannen und von der jüdischen Gemeinschaft in ihrer Gefährlichkeit lange unterschätzt worden seien. Es bedürfe einer globalen Anstrengung der jüdischen Gemeinschaft im Stil der Kampagne für die sowjetischen Juden, um diese Epidemie zu bekämpfen. Hoenlein betonte die Zentralität Israels für die Sicherheit der Juden. Sonst würde es den Juden so ergehen wie anderen verfolgten Minderheiten im Nahen Osten, wie den Kurden oder Jesiden.

Israel gilt als Gegenmodell zur Krise der westlichen Demokratien.

Ruth Wisse, die Koryphäe jüdischer Intellektueller in den USA, griff in einer rhetorisch brillanten Rede die »progressiven« Kreise in der Demokratischen Partei an. Sie analysierte den Sozialismus als antisemitische Ideologie, die sich nie mit der Existenz eines jüdischen Volkes abgefunden habe.

sozialismus Auch der jüdische Sozialismus, wie ihn jüngst Bernie Sanders für sich in Anspruch nahm, sei überall ein vergängliches Experiment gewesen, weil er sich nicht um die Bewahrung jüdischer Identität kümmerte. Viele jüdische Intellektuelle haben sich schon nach dem Terror der kommunistischen Oktoberrevolution eingestehen müssen, dass der jüdische Nationalismus als einzige politische Bewegung seine Versprechen gegenüber dem jüdischen Volk auch einlöste.

Eine Ausnahme in ihrer vernichtenden Kritik am Sozialismus machte Wisse im Falle Israels, wo die Arbeiter- und Kibbuzbewegung Bestandteil des nationalen Aufbaus gewesen sei und – nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatte – auch wieder aufgegeben wurde. Sie analysierte scharfsinnig, dass Israels nüchterner Umgang mit dem Sozialismus – ein pragmatisches, relativ unideologisches Testen seiner Möglichkeiten – ein weiterer Grund für den aufflammenden Hass auf Israel in der Linken sei.

Israels Modell untergräbt utopische Fantasien über die Möglichkeiten des Sozialismus. Der Austritt der israelischen Arbeitspartei aus der Sozialistischen Internationale im Jahr 2018, nachdem diese sich BDS angeschlossen hatte, bedeute zugleich das Ende des jüdischen Experimentierens mit dem Sozialismus.

ISRAEL Die Konferenz illustrierte die Umkehrung der Hierarchie zwischen dem amerikanischen und dem israelischen Judentum. Während sich die Amerikaner lange Zeit als großer Bruder der Israelis verstanden, blicken sie heute mit Bewunderung zu Israel auf und erhoffen von dort Antworten auf drängende Probleme. Mehrere Redner priesen Israel als erfolgreiches Gegenmodell zu den krisengeschüttelten westlichen Demokratien.

Der bekannte Historiker Victor Davis Hanson, ein regelmäßiger Gast bei Fox News, stellte fest, dass Israel sich in den letzten 20 Jahren zu einem Stabilitätsgaranten und zu einer Führungsmacht in der westlichen Welt entwickelt habe. Israel zeige damit der Welt, dass die westliche Zivilisation auch im 21. Jahrhundert kein Auslaufmodell sei. Vielmehr beweise Israel täglich, dass traditionelle Werte, ein starkes nationales Ethos und eine wehrfähige Armee keinen Antagonismus zu einer erfolgreichen und freiheitlichen Gesellschaft darstellen, sondern ihr Gedeihen erst ermöglichen.

Donald Trump fand auf der Konferenz kaum Erwähnung.

Der israelische Intellektuelle Yoram Hazony, der mit seinem Buch The Virtue of Nationalism einen Besteller im konservativen Amerika landete, führte in seiner Rede Israels Erfolg auf das Modell des »konservativen Nationalismus« zurück. Nach Hazony begreifen sich die Israelis als historische Subjekte, die eine Mission in der Geschichte zu erfüllen haben. Israelis sind daher auch bereit, in die Familie und in kommende Generationen zu investieren.

Dieses historische Selbstverständnis sei sowohl Westeuropa als auch zunehmend den USA abhandengekommen – mit fatalen Konsequenzen für die wirtschaftliche, demografische und machtpolitische Entwicklung. Statt linksliberale westliche Eliten zu umgarnen, die für Israel nur Verachtung übrig hätten, empfahl Hazony Israel und seinen Unterstützern, dieses konservative Modell mit Überzeugung zu vertreten. Was sich anbahne, sei eine »hebräische Renaissance« westlicher Werte, die einen Weg aus der geistigen Krise biete.

TRUMP Die konservative Bewegung in den USA ist im Umbruch. Der Konservatismus ist unter Trump nationalistischer, populistischer und globalisierungskritischer geworden und hat damit viele jüdische Konservative vor den Kopf gestoßen. Die Konferenz der Tikvah-Stiftung signalisierte eine positive Wende im Verhältnis des amerikanisch-jüdischen Konservatismus zum Nationalismus.

Dennoch wird das Verhältnis zu Trump, der übrigens auf der Konferenz kaum Erwähnung fand, schwierig bleiben. Der jüdische Konservatismus ist primär eine geistige Bewegung und unterscheidet sich damit radikal von Trumps gelebtem Anti-Intellektualismus. Trotz seiner pro-israelischen Politik bestehen zudem Zweifel, ob Trump wirklich ein verlässlicher Bündnispartner Israels ist, die durch die Entscheidung, die kurdischen Bündnispartner in Nordsyrien ihrem Schicksal durch türkische Panzer zu überlassen, weiter genährt wurden.

Auch wenn viele Juden angesichts der zahlreichen Antisemitismusskandale in der Demokratischen Partei nach einer Alternative suchen, ist daher kurzfristig dennoch kein massives Überlaufen zu einer Republikanischen Partei Trump’scher Prägung zu erwarten.

Der Autor forscht am Ben Gurion Institute for the Study of Israel and Zionism der Ben-Gurion-Universität in Israel. Er nahm an der Konferenz als Fellow der Gemunder Family Foundation teil.

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