Musik

Haschana Inschallah Schalom

Rosch Haschana gehört wie Jom Kippur zu den Hohen Feiertagen. Seltsamerweise aber existieren zum Neujahrsfest weit weniger hochkarätige Musikstücke als zum zehn Tage später folgenden Versöhnungstag. Neben synagogalen Liedern und einigen Jazznummern sind es vor allem Popsongs aus Israel, in denen das neue Jahr gefeiert wird. Statt mit einem kunstvollen Kol Nidre, ob klassisch von Max Bruch oder avantgardistisch von John Zorn, muss man also mit Songs wie »On Rosh Hashana« vorliebnehmen.

David Chevans Gruppe »Afro-Semitic Experience« lässt hier jüdische Musik und afroamerikanischen Jazz aufeinandertreffen. Mit von der Partie ist der Trompeter Frank London, Gründer der Gruppe »Klezmatics«. »Afro-Semitic Experience« hat mehrere CDs eingespielt, die allerdings schwer zu bekommen sind. Vielleicht auch deshalb waren diese Alben nie auf den Spitzenplätzen der Verkaufscharts vertreten.

Das gilt auch für einen weiteren überaus kuriosen Rosch-Haschana-Song. Er heißt »Dip Your Apple« und stammt von der israelischen Gesangsformation »The Fountainheads« aus der Oase Ein Prat in der judäischen Wüste. Musikalisch ist der Song eine Replik auf Shakiras WM-Hit »Waka Waka«. Doch statt um dribbelnde Kicker und knackige Hüftschwünge geht es um die traditionellen Äpfel, die in Honig getaucht werden, als Symbol für die süßen Verlockungen des kommenden Jahres. Auf CD hat es diese hinreißende Sing- und Tanznummer noch nicht geschafft. Aber heutzutage kann man sich derlei glücklicherweise auf YouTube anschauen.

leonard cohen Doch Rosch Haschana ist nicht nur Anlass zu fröhlichem Feiern. Es ist auch »Jom Hadin«, der Tag des Gerichts. In den zehn Tagen bis Jom Kippur entscheidet sich unser Schicksal, gibt Gott sein Urteil über den Einzelnen und sein Verhalten im abgelaufenen Jahr ab. Auch dieses Motiv findet sich in der Popmusik, bei Leonard Cohen. Sein Song »Who By Fire« ist die deutlichste Reverenz des kanadischen Songwriters an sein Judentum. In dem Lied zitiert er fast wörtlich aus dem heiligen Vers »Untaneh Tokef« (vgl. S. 42).

Dieses Gebet geht auf die mittelalterliche Legende von Rabbi Amnon von Mainz zurück und zählt zum festen Repertoire der Rosch-Haschana-Liturgie. Dort heißt es: »Wie viele hinübergehen und wie viele geboren werden, wer leben wird und wer sterben, wer zu seiner Zeit und wer vor seiner Zeit, wer durch Feuer und wer durch Wasser«. Mit diesen Worten beginnt auch Cohens Song, den er 1974 veröffentlichte.

Da war er gerade aus Israel von einem Einsatz als Truppenbetreuung während des Jom-Kippur-Kriegs zurückgekehrt, eine Zeit, die dem Sänger in rosaroter Erinnerung geblieben ist: »Ich war mit einigen israelischen Künstlern zusammen. Einer von ihnen war Matti Caspi. Man gab uns einen Jeep und ein paar Taschen. Wir sollten uns so weit wie möglich der Front nähern. Und wenn wir unterwegs ein paar verletzte Soldaten fanden, sollten wir ihnen ein paar Songs vorsingen.«

chava alberstein Doch es gibt in der jüdischen Songwriterszene nicht nur Leonard Cohen, der etwas zu bieten hat an Rosch Haschana. Besonders in Israel existieren hochkarätige Lieder, die hierzulande jedoch kaum bekannt sind. Wenigstens werden die meisten schon einmal die Namen von Interpreten wie Chava Alberstein oder Ofra Haza gehört haben. Alberstein, die in Israel ein Superstar ist, hat vor Jahren ein Album mit dem Titel Karusela Lachagim veröffentlicht.

Es hat ein knallbuntes Cover, und genauso klingen auch die Songs. Einer davon heißt »Matanah Lerosh Hashana« – Ein Geschenk zu Rosch Haschana. Deutlich zu hören ist, dass der Song in den 70er-Jahren produziert wurde, mit flottem Tanzbeat und verirrter Querflöte garniert. Der Komponist des Songs ist kein Geringerer als Matti Caspi, einer der berühmtesten Songschreiber Israels. Caspi, der im Jom Kippur-Krieg mit Leonard Cohen von Armeebasis zu Armeebasis tingelte, hat für fast alle Stars der israelischen Pop-Szene komponiert.

ofra haza Nur für eine nicht: Ofra Haza. Von der jemenitischstämmigen Sängerin mit dem kultverdächtigen Skischanzen-Pony, die mit »Im Nin’alu« 1988 einen Welthit hatte, gibt es gleich zwei Rosch-Haschana-Lieder. Ein Song heißt schlicht »Shana Tova«. Ofra Haza hat es im israelischen Kinderkanal gesungen, begleitet von Uza, der Gans, und Shabi, der Schnecke.

Hazas zweites, von ihr selbst komponiertes Neujahrslied »Ha-schana Inschallah« ist weitaus anspruchsvoller. Die letzte Songzeile lautet: »Ha-schana Inschallah Schalom«. Darin wünscht Ofra Haza ihren Zuhörern ein gutes neues Jahr. Nicht nur den Juden in aller Welt, sondern auch den Arabern. Dem mag man sich gerne anschließen. Schana Towa also: Ein gutes Jahr – so Gott will, in Frieden!

Musik

»Piano Man« verlässt die Bühne: Letztes Billy-Joel-Konzert

Eine Ära geht zuende: Billy Joel spielt nach zehn Jahren vorerst das letzte Mal »Piano Man« im New Yorker Madison Square Garden. Zum Abschied kam ein Überraschungsgast.

von Benno Schwinghammer  26.07.2024

Zahl der Woche

16 Sportarten

Fun Facts und Wissenswertes

 26.07.2024

Lesen!

Ein gehörloser Junge und die Soldaten

Ilya Kaminsky wurde in Odessa geboren. In »Republik der Taubheit« erzählt er von einem Aufstand der Puppenspieler

von Katrin Diehl  25.07.2024

Ruth Weiss

»Meine Gedanken sind im Nahen Osten«

Am 26. Juli wird die Schriftstellerin und Journalistin 100 Jahre alt. Ein Gespräch über ihre Kindheit in Südafrika, Israel und den Einsatz für Frauenrechte

von Katrin Richter  25.07.2024

Streaming

In geheimer Mission gegen deutsche U-Boote

Die neue Action-Spionagekomödie von Guy Ritchie erinnert an »Inglourious Basterds«

von Patrick Heidmann  25.07.2024

Bayreuth

Das Haus in der Wahnfriedstraße

Die Debatten um Richard Wagners Judenhass gehen in eine neue Runde. Nun steht sein antisemitischer Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain im Fokus

von Axel Brüggemann  25.07.2024

Sehen!

»Die Ermittlung«

Der Kinofilm stellt den Aussagen der Zeugen die Ausflüchte der Angeklagten gegenüber

von Ayala Goldmann  25.07.2024

Kommentar

Der »Spiegel« schreibt am eigentlichen Thema vorbei

In seiner Berichterstattung über das Abraham-Geiger-Kolleg konstruiert das Magazin eine Konfliktlinie

von Rebecca Seidler  25.07.2024 Aktualisiert

Literatur

Dieses Buch ist miserabel. Lesen Sie dieses Buch!

Eine etwas andere Kurzrezension von Ferdinand von Schirachs Erzählband »Nachmittage«

von Philipp Peyman Engel  24.07.2024 Aktualisiert