Im Alter von 86 Jahren ist am Freitag in Budapest der Schriftsteller und frühere Präsident der Berliner Akademie der Künste, György Konrad, gestorben. Er erlag in seinem Budapester Heim einer langen, schweren Krankheit, teilte die Familie der ungarischen Nachrichtenagentur MTI und der Berliner Akademie mit.
Als Kind hatte Konrad den Holocaust überlebt und einen großen Teil seiner jüdischen Familie verloren. In Budapest studierte der Sohn eines Eisenhändlers Literatur, Soziologie und Psychologie. Er arbeitete als Jugendfürsorger und Stadtsoziologe.
REGIMEKRITISCH Sein Romandebüt Der Besucher veröffentlichte er 1969. Der schonungslose Blick auf die offiziell verleugneten Zonen des sozialen Elends im Realsozialismus brachte ihn zunehmend in Opposition zum Regime.
Als Kind hatte Konrad den Holocaust überlebt und einen großen Teil seiner jüdischen Familie verloren.
Nach und nach wurde er zum Dissidenten, der nur im Untergrund - in den Zeitschriften und Publikationen der sogenannten Samisdat-Literatur - zu veröffentlichen vermochte. Reise- und Berufsverbote waren die Folge seines regimekritischen Wirkens. Die demokratische Wende, das Ende des Kommunismus erlebte er, als er bereits jenseits des 55. Lebensjahrs war.
Seine Romane und essayhaften Erzählungen - darunter sind Geisterfest (1986), Melinda und Dragoman (1991), Glück (2003), Sonnenfinsternis auf dem Berg (2005), Das Buch Kalligaro (2007), Gästebuch - Nachsinnen über die Freiheit (2016) und Baumblätter im Wind. Ausgrabung I. (2017) - sind große Erinnerungsliteratur. Mit spielerischem Gestus schafft sich der Autor seine eigenen erzählerischen Gesetze, fügt Porträts, Anekdoten und Abhandlungen in den Erzählfluss ein.
Dabei entstanden Sittenbilder von den gesellschaftlichen und moralischen Zuständen im ungarischen Gulasch-Kommunismus und der darauffolgenden Transformationszeit. Ebenso präzise wie sinnlich anschaulich künden diese von verratenen Idealen, zynischer Anpassung und resigniertem Außenseitertum.
MENSCHENRECHTE Seine Rolle als Citoyen, als moralische Instanz, die den Finger auf die wunden Punkte der Gesellschaft legte, streifte Konrad aber auch nach der Wende nicht ab. Mit Elan setzte er sich für die europäische Einigung ein. Von 1997 bis 2003 war er Präsident der Berliner Akademie der Künste, 2001 erhielt er den Aachener Karlspreis.
Der Intellektuelle Konrad aus Ungarn wurde längst schon als gesamteuropäische Instanz wahrgenommen.
Immer wieder erhob er seine Stimme, wenn er die Menschenrechte und Grundfreiheiten gefährdet sah. Im eigenen Land, wo der markant rechtsorientierte Ministerpräsident Viktor Orban seit 2010 mit autoritären Methoden und populistischer Rhetorik regiert, vermochten seine Einwürfe mit den Entwicklungen kaum mehr Schritt zu halten.
Dennoch beruhige ihn, meinte er in einem Interview im Vorjahr, dass die EU auf die Ungarn am Ende des Tages eine weitaus stärkere Anziehung ausüben würde als Diktatoren.
Der Intellektuelle aus Ungarn wurde längst schon als gesamteuropäische Instanz wahrgenommen. Der Essayist Karl-Markus Gauß meinte einmal halb-ironisch, Konrad wäre geeignet für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Europa, wenn es dieses gäbe.
Nach dem Tod des Schriftstellers György Konrad erinnrten zahlreiche prominente Stimmen in Deutschland an Konrad. Er »war in ganz besonderer Weise ein Zeuge des Jahrhunderts, in dem die Menschen in Europa so schreckliche Erfahrungen gemacht haben«, schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Samstag in einem Kondolenzschreiben.
Mit seinem Eintreten für die Überwindung der europäischen Teilung habe Konrad den Deutschen einen großen Dienst erwiesen, sagt Bundespräsident Steinmeier.
Er habe die Schoa überlebt und später die kommunistische Diktatur in seinem Heimatland Ungarn erlitten. Mit seinem »mutigen Einsatz für den Demokratisierungsprozess in seiner Heimat und seinem Eintreten für eine friedliche Überwindung der europäischen Teilung« habe er »uns Deutschen einen großen Dienst erwiesen«, so Steinmeier.
HEITER Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) würdigte ihn als »eindrucksvollen Mahner«. Angesichts seiner Lebensgeschichte habe Konrad »sein ausgleichendes, fast heiteres Wesen« ausgezeichnet, teilte Grütters mit. Nirgendwo habe er das so eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht wie in seinem Buch Glück.
»Es ist bitter, dass er zuletzt erneut unter der politischen Situation in seinem Heimatland gelitten hat, nicht zuletzt am wieder aufkeimenden Antisemitismus«, schrieb Grütters.
Der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, teilte mit, Konrad habe mit »unverlierbaren Worten« über Schrecken und Folgen des antisemitischen Hasses aufklären wollen. Seine Stimme werde gerade in diesen Tagen fehlen.