Comics

Gezeichnete Erlöser

Vor 80 Jahren machte die Welt Bekanntschaft mit Superman und Co. Die Helden von einst sind die Superheroes in Hollywoodfilmen von heute. Foto: dpa

Die Ähnlichkeit mit Moses, der in einem Weidenkorb auf dem Nil ausgesetzt wurde, springt einem geradezu ins Auge: Auf einem dem Untergang geweihten Planeten namens Krypton legen Eltern im letzten Moment vor der großen Explosion ihr Baby in eine Raumkapsel und schicken es auf eine weite Reise.

Diese endet erst auf der Erde, wo amerikanische Farmer den Säugling bei sich aufnehmen. Das war quasi die Geburtsstunde von Superman. Und seine »geistigen Erschaffer« hießen Jerry Siegel und Joe Shuster, beides Söhne jüdischer Einwanderer aus Osteuropa, die in den USA eine neue Heimat gefunden hatten.

Superkräfte Vor genau 80 Jahren machte die Welt Bekanntschaft mit ihrem »Baby«, als es im Juni 1938 das Titelblatt von Action Comics Nummer 1 zierte. Aber Superman erinnert an eine weitere jüdische Figur: den Golem, der der Legende nach die Juden in Prag vor der Verfolgung schützte. Denn aus dem Findelkind wurde Clark Kent, hinter dessen spießiger Fassade sich ein Wesen mit magischen Kräften verbirgt, das immer dann rechtzeitig in Erscheinung tritt, wenn Menschen in Gefahr geraten.

Siegel und Shuster schufen damit eine der Ikonen des amerikanischen Comic-Himmels, der vor Superhelden und anderen Actionfiguren bald nur so wimmeln sollte. 1941 kamen diese kostümierten Weltenretter auf eine Auflage von 15 Millionen und hatten rund 60 Millionen Leser. Und beide Autoren waren nicht die einzigen Juden, die aus den gezeichneten Geschichten eine Kunstform zur Blüte brachten, die als so amerikanisch gilt wie Apple Pie oder Coca-Cola.

»Juden haben die Comicindustrie von Anfang an geprägt«, so Arie Kaplan, Autor von Masters of the Comic Book Universe Revealed! und Mitarbeiter des Satiremagazins MAD. Für ihn war das kein Zufall, insbesondere weil das »Goldene Zeitalter« der Comics, also die Jahre zwischen 1930 und 1950, in eine für Juden äußerst problematische Zeit fiel: den Aufstieg des nationalsozialistischen Deutschlands sowie die Weltwirtschaftskrise. »Zugleich spiegeln ihre Geschichten den sich verändernden Status von Juden in der amerikanischen Gesellschaft wider.«

Faustschlag Darin dreht sich häufig alles um den Kampf gegen ultimative Superschurken, Anerkennung und die Rettung unschuldiger Menschen vor dem Bösen. Ihre Helden waren aber nicht offen jüdisch konnotiert. Nur einmal gaben Siegel und Shuster Superman einen entsprechenden Twist. 1940 lassen sie Superman in der Folge »How Superman Would End the War« zu Hitler sagen: »Gern würde ich dir einen nichtarischen Faustschlag verpassen.« Geradezu emblematisch ist ebenfalls die Episode, in der Superman Hitler und Stalin am Schlafittchen packt und vor ein Weltgericht bringt.

Die ersten jüdischen Comiczeichner waren noch typische »Straßenjungs« ohne formale künstlerische Ausbildung. Gleiches gilt für ihre Herausgeber. Oft handelte es sich um Personen mit einer brillanten Geschäftsidee. So wie Maxwell Charles Gaines, eigentlich Max Ginzberg. Er war ein großer Fan der sogenannten Funnies, lustigen, kurzen Comicstrips, die aus nur wenigen Bildern bestanden. Wochentags wurden sie in den Tageszeitungen in Schwarz-Weiß abgedruckt, am Samstag oder Sonntag in Farbe.

Sie hießen Joe Palooka, Mutt and Jeff oder Hairbredth Harry. Nun dachte sich Gaines, dass er vielleicht nicht der einzige Amerikaner sei, der diese Bildergeschichten mochte. Er tat sich mit Harry Wildenberg von Eastern Color Printings zusammen und veröffentlichte im Februar 1934 mit Famous Funnies das allererste Comic-Heft der Welt.

Pulitzer-Preis Bald sprangen andere Zeichner und Herausgeber auf den Zug auf und begannen gleichfalls, Funnies aus Zeitungen nicht einfach nur zu sammeln und abzudrucken, sondern eigene zu produzieren. Dafür brauchte man natürlich Zeichner. Und dass darunter überdurchschnittlich viele Juden waren, hatte ganz konkrete Gründe. Denn in den großen Werbeagenturen herrschte nicht selten ein antisemitischer Ton, weshalb die Stars der Szene wie Rube Goldberg, der Mike and Ike, Lala Palooza und Foolish Questions schuf und 1948 für seine politischen Cartoons den Pulitzer-Preis erhielt, manchmal gar keine Alternative als das Zeichnen von Funnies blieb, um sich wirtschaftlich über Wasser zu halten.

Oft wurden die Comics unter ungeheurem Produktionsdruck im Akkord geschaffen, was sich auch in der ästhetischen Qualität bemerkbar macht. Doch trotz aller groben Linien: Bilder und Texte in Kombination entfalteten eine Dynamik und ein Erzähltempo, das insbesondere jüngere Leser begeisterte.

Der Erfolg von Superman – die Hefte hatten nun bis zu 64 Seiten und verkauften sich fast eine Million Mal – brachte zahlreiche Nachahmer auf den Plan. Bald gab es einen »Wonder Man«, dem die Herausgeber von Superman mit ihren Rechtsanwälten aber ein rasches Ende bescherten. Der Ideenklau war zu offensichtlich. Einer der Zeichner von Wonder Man war übrigens der junge Will Eisner, der nicht nur einer der prominentesten Comiczeichner wurde, sondern gleich ein weiteres Genre schuf: die Graphic Novel.

Meilenstein Eisner selbst stammte aus der Bronx in New York, wo er zusammen mit Robert Kahn, der später als Bob Kane die Figur Batman erfand, und Stanley Lieber, Erschaffer der berühmten Marvel Comics und besser bekannt unter dem Namen Stan Lee, die Schulbank gedrückt hatte.

»Innerhalb nur weniger Monate entstand eine ganz neue Industriebranche, deren Pioniere fast ausschließlich jüdisch waren«, schreibt der Comicexperte Julian Voloj. »Es war zwar nicht die Werbebranche, aber es war gewinnbringend.« Doch wie die Namensänderungen andeuten, waren nicht alle Protagonisten mit ihrer jüdischen Herkunft glücklich. »Aber gleichzeitig schämte man sich auch, keine wirkliche Kunst, sondern eben nur billige Popkultur zu schaffen.« Comics zu zeichnen, war für sie alle ein Bekenntnis zu Amerika und zugleich ein Meilenstein der Integration in die Gesellschaft, der sie gleichzeitig ihren künstlerischen Stempel aufdrückten.

Dieser Prozess war nach dem »Goldenen Zeitalter« der Comics keinesfalls beendet. Auch in den Jahrzehnten danach gab es ein Bedürfnis nach Superhelden und anderen Actionfiguren. Und ein Künstler wie Jack Kirby, geboren als Jacob Kurtzberg, bediente es mit seinen Fantastic Four. »Einer aus dieser Figurengruppe, Ben Grimm – auch bekannt als The Thing –, fühlte sich wie ein Freak, weil kosmische Strahlen ihn in ein oranges Monster mit einer Granithaut transformiert hatten«, erklärt Arie Kaplan. »Mit Ben Grimm haben Stan Lee und Jack Kirby die Superhelden zu einer Metapher für Juden, Afroamerikaner und andere Minderheiten gemacht.«

x-men Ihr Hulk, Thor oder Iron Man wurden zu Sinnbildern für Außenseiter. Und in den 70er-Jahren schuf Chris Claremont, der als Jugendlicher in einem Kibbuz in Israel gelebt hatte, für X-Men mit Kitty Pryde eine Figur, die mit ihrem Magen David an der Halskette offen als jüdisch identifizierbar war.

Die nächste Generation jüdischer Zeichner war bereits mit Comics aufgewachsen und sozialisiert worden. Und Art Spiegelmans bahnbrechende Erzählung Maus, Will Eisners Vertrag mit Gott oder Harvey Pekars American Splendor ließen jüdische Themen in den Mittelpunkt ihrer Geschichten rücken. Zudem waren Comics längst als Kunstform akzeptiert.

Vielleicht wäre es ja an der Zeit, über die erste Generation von jüdischen Künstlern selbst einmal einen Comic oder eine Graphic Novel zu machen. Denn als Pioniere des Genres sind sie die eigentlichen Superhelden.

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